650 Jahre lang lagen Unter- und Oberko­chen in »Fehde«. Nachdem Oberko­chen in der Person von Peter Traub seit mehre­ren Jahren einen Unter­ko­che­ner Bürger­meis­ter hat, wurde 1997 anläß­lich des Stadt­fes­tes auf Initia­ti­ve des Heimat­ver­eins Oberko­chen durch einen »Friedens­ver­trag« der Schluß­strich unter die bis nach dem 2. Weltkrieg munter gepfleg­ten Boshaf­tig­kei­ten, die man sich jahrhun­der­te­lang gegen­sei­tig angetan hatte, gezogen.

So konnte Heimat­ver­eins­vor­sit­zen­der Dietrich Bantel zu einer gemein­sa­men Vortrags­ver­an­stal­tung im Schil­ler­haus am Donners­tag, 19. Novem­ber 1998, nahezu 70 inter­es­sier­te Besucher aus Oberko­chen, Unter­ko­chen, Aalen und Ebnat begrü­ßen, die das Thema des Oberko­chen Unter­ko­che­ner Doppel­ver­trags im Schil­ler­haus zum Thema
Oberko­che­ner Bohrer­ma­cher und Unter­ko­che­ner Ketten­schmie­de
angelockt hatte. ”Heute Abend seien nur »Koche­mer« da”, stell­te Bantel fest.

Im ersten Teil des Doppel­vor­trags stell­te Dieter Schmidt, Vorsit­zen­der der Kultur­ge­mein­de Unter­ko­chen, das in Unter­ko­chen seit der Mitte des letzten Jahrhun­derts heimisch gewor­de­ne Handwerk des Ketten­schmieds vor. Ab ca. 1920 wurde das Handwerk indus­tria­li­siert. Der histo­ri­sche Rückblick ging von einer vorchrist­li­chen bronze­zeit­li­chen Kette aus.

Oberkochen

In den Mittel­punkt seiner Ausfüh­run­gen stell­te Schmidt einen Bericht über die Ketten­schmie­de von Josef Eisen­barth, Unter­ko­chen, der in fundier­ter, aber auch anschau­li­cher und launi­ger Weise dieses harte Handwerk beschreibt. Je nach Stärke der zu ferti­gen­den Kette nennt man die Schmie­de Feinschmie­de oder Stark­schmie­de, deren Arbeits­zeit von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends ging. Hitze, Qualm, Schwerst­ar­beit — haupt­säch­lich bei den Stark­schmie­den. Mindes­tens einmal am Tag mußte das Hemd gewech­selt werden.

Beim Ferti­gen kräfti­ger Ketten mußte man zu zweit sein, haupt­säch­lich, wenn mit Gesen­ken gearbei­tet wurde: Während der eine Schmied das Gesenk in die richti­ge Stellung brach­te, mußte ein zweiter, meist jünge­rer, mit dem schwe­ren Vorschlag­ham­mer arbei­ten und das einge­häng­te, noch offene Glied zusammenschlagen.

Größten­teils rauch­ten die Ketten­schmie­de Pfeife. Zum Anzün­den nahmen sie einfach eine glühen­de Kohle aus dem Feuer, ohne einen Schmerz zu verspü­ren. »Es roch ledig­lich ein wenig nach angebrann­tem Horn; so große Schwie­len hatten sie an den Händen, daß sie nichts mehr spürten.«

Der letzte bei der Firma RUD ausge­bil­de­te Ketten­schmied, Josef Rekto­rik, war mit nach Oberko­chen gekom­men und trug mit safti­gen Erklä­run­gen zur Infor­ma­ti­on, aber auch zur Erhei­te­rung der Zuhörer­schaft bei, während Arthur Grimm, Vorsit­zen­der der Unter­ko­che­ner Fotofreun­de Braunen­berg, die gezeig­ten Dias erklär­te und die Ausfüh­run­gen von Dieter Schmidt ergänz­te. Die Unter­ko­che­ner hatten eine ganze Sonder­aus­stel­lung von Ketten­bei­spie­len mitgebracht.

Im zweiten Teil der Vortrags­ver­an­stal­tung berich­te­te Eugen Tritt­ler, ein alter Oberko­che­ner und ehema­li­ger »Leitzler« (heute Unter­schneid­heim), über die Entwick­lung des in Oberko­chen seit der Mitte des 18. Jahrhun­derts heimi­schen Bohrer­ma­cher­hand­werks. Auch er, als gelern­ter Bohrer­ma­cher, begann seine Ausfüh­run­gen bei der Geschich­te und stell­te fest, daß davon auszu­ge­hen sei, daß das Bohrer­ma­cher­hand­werk älter als das der Ketten­schmie­de sei. In der Stein­zeit habe es bereits Holzboh­rer gegeben, mit dem Stein­bei­le und Stein­häm­mer zur Anbrin­gung des Stiels durch­bohrt worden sind. Auch die sogenann­te Kernboh­rung mit Knochen war in der Stein­zeit schon bekannt.

Johann Chris­toph Bäuerle, 1735 — 1796, stell­te, so Tritt­ler, in seiner Oberko­che­ner Huf- und Waffen­schmie­de bereits vor weit über 200 Jahren die erste handge­schmie­de­ten Bohrer her. Ab der Mitte des 19. Jahrhun­derts wurde das Bohrer­ma­cher­hand­werk durch dessen Urenkel Chris­toph Jakob Bäuerle indus­tria­li­siert. Alle weite­ren Firmen­grün­dun­gen gehen auf die Gründung von Bäuerle zurück. Leitz und Grupp haben bei Bäuerle gelernt. Anhand von Dias zeigte Eugen Tritt­ler klar und übersicht­lich die Entwick­lung von handge­schmie­de­ten über Gesenk­ge­schmie­de­te bis hin zu maschi­nell gefer­tig­ten Bohrern auf.

Bei den handge­schmie­de­ten Bohrern wurde die Grund­form vom kleinen Handboh­rer über 1 Meter lange Bohrscha­ber (Naben­boh­rer) bis hin zu den 4 Meter langen Deichel­boh­rern, zu denen es noch Verlän­ge­rungs­stü­cke gab, von Hand geschmie­det. Der sogenann­te »Bohrer­spit­zer« hatte die Aufga­be, in die grob vorge­schmie­de­te Bohrer­spit­ze ein messer­schar­fes spiral­för­mig sich aufwei­ten­des Gewin­de zu feilen, damit der Bohrer beim Ansatz »zieht«.

Eugen Tritt­ler hatte eigens für den Vortrag einen über 300 Jahre alten Naben­boh­rer mitge­bracht, dessen Bohrdurch­rnes­ser durch aufschraub­ba­re Schnei­de­plat­ten vergrö­ßert werden kann.

Gleich wie bei den Ketten­schmie­den kam zum Ausdruck, daß das Bohrer­ma­cher­hand­werk beim Handschmie­den viel Geschick und bei den großen Bohrern zusätz­lich auch viel Kraft verlang­te, und ferner, daß es auch hierbei heiß und qualmig zuging.

Oberkochen

Unser Foto zeigt Bohrer­ma­cher Josef Wingert (Stöpsel), der bei Bäuerle arbeitete.

Trotz herber Rückschla­ge ist Oberko­chen heute mit der Firma Gebrü­der Leitz und weite­ren Oberko­che­ner Betrie­ben weltfüh­rend in der Herstel­lung von Holzbe­ar­bei­tungs­werk­zeu­gen und Holzbearbeitungswerkzeugmaschinen.

Der Doppel­vor­trag, dessen offizi­el­ler Teil programm­ge­mäß nach 1½ Stunden vorüber war, war »bewirt­schaf­tet« und verlän­ger­te sich aus diesem Grund bis spät Richtung Mitternacht.

Dietrich Bantel

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