Im Jahr 1852 machte sich der Evange­li­sche Kirchen­kon­vent große Mühe, Klarheit in einen nächt­li­chen Vorfall um den Oberko­che­ner Polizei­die­ner Müller zu bringen. Das Proto­koll der drei Tage in Anspruch nehmen­den Verhand­lun­gen von dem aus Pfarrer Dürr, Schult­heiß Wingert und den Räten Widmann, Sapper, Wirth und Mek bestehen­de Gremi­um umfaßt 18 Seiten: Es war mitnich­ten ein »kurzer Prozeß«.

Damals machten in Oberko­chen einige ledige Burschen Ärger. So hatten sie den Polizei­die­ner, der sie anzeig­te, mit Steinen bewor­fen und auch gedroht, den Garten des Pfarrers zu verwüs­ten, und »in der Mainacht setzten sie dem Unfug durch wüstes Treiben die Krone auf«, so daß sich sogar der gemein­schaft­li­che evange­li­sche und katho­li­sche Kirchen­kon­vent — ein solches »ökume­ni­sches« Gremi­um gab es also damals! — am 27. Mai 1852 mit den Umtrie­ben beschäftigte.

Polizei­die­ner Müller
In derart aufge­heiz­ter Atmosphä­re tat nun Polizei­die­ner Müller Dienst. Am 21. Juni 1852 — es war ein Samstag — machte er seine Runde zur Polizei­stun­de durch die Oberko­che­ner Gasthäu­ser. Nachdem er im »Hirsch«, »Ochsen«, »Pflug«, in der »Schell« und der »Grube« sein Sprüch­lein aufge­sagt und »abgebo­ten«, d. h. die Leute zum Heimge­hen aufge­for­dert hatte, kam er auch zum »Lamm«. Dort saßen vor ihrem Bierkrug noch einige seiner »Bekann­ten« (die wir aber des Daten­schut­zes wegen nicht mit ihren richti­gen Namen nennen), der Schmied­ge­sel­le Melchi­or Grün, der Hafner Johann Georg Wildmeis­ter und Johann Georg Itzel­ber­ger, ein Metzgers­knecht. Obwohl sie bei seinem Eintre­ten die Köpfe zusam­men­steck­ten und zu tuscheln anfin­gen, forder­te er sie freund­lich, aber bestimmt auf, nach spätes­tens einer halben Stunde das Lokal zu verlassen.

Die Zwischen­zeit wollte Müller für einen Rundgang durch das Dorf nutzen. Plötz­lich jedoch erblick­te sein wachsa­mes Auge etwas Ungewöhn­li­ches: Die Scheu­er im evange­li­schen Pfarr­hof stand sperr­an­gel­weit offen und an der Haustü­re brann­te noch ein Licht. Da mußte er nach dem Rechten sehen. Er ging hinüber und traf Katha­ri­na, die Pfarr­magd, wie sie eben einen vollen Wasser­kü­bel vom Brunnen geholt hatte und sich nun anschick­te, in der Nacht noch die Treppe zu schrubben.

Müller kannte die Magd, hatte er doch wegen der »Verlas­sen­schaft ihrer kürzlich verstor­be­nen Base Magda­le­na W« in letzter Zeit dienst­lich mit ihr zu tun gehabt. Deshalb plauder­te er ein wenig mit ihr, in allen Ehren, versteht sich. Doch als Müller wieder seiner eigent­li­chen Aufga­be nachge­hen wollte, platz­te plötz­lich eine Männer­ge­stalt in die fried­li­che Szene mit »Geschrei und groben Reden voller Wut, so daß Müller gar noch tätli­che Mißhand­lun­gen befürchtete«.

»Gfonde­nes Fresse­le«
Wechseln wir nun den Schau­platz zum Trio der Zecher im »Lamm«. Nachdem Polizei­die­ner Müller das erste Mal abgebo­ten hatte, tranken die Burschen unwil­lig ihr Bier aus und machten sich auf den Heimweg. Als sie die Kirch­gas­se hinauf­trot­te­ten, kam plötz­lich der Roßknecht des Hirsch­wirts Jonathan Honik­el zu ihnen und flüster­te: »Eben ist einer im Rock in den Pfarr­hof geschli­chen, ich glaub, es war der Polizei­die­ner«. Das war für das Trio eine willkom­me­ne Gelegen­heit, sozusa­gen »a gfondens Fresse­le«, um dem verhaß­ten Ordnungs­die­ner ein Bein zu stellen oder ihm eins auszuwischen.

Gesagt, getan. Melchi­or Grün schlich voraus, die anderen einige Schrit­te dahin­ter. Doch was mußte Grün vom Hinter­hof des Hirsch­wirts­hau­ses aus sehen? »Der Polizei­die­ner stand unten an der Stiege zur Pfarr­woh­nung und hatte die Magd …« Da sah er rot, denn er hatte selbst ein Auge auf sie gewor­fen, sprang herzu mit Geschrei und schrie voller Wut und groben Reden auf den verdutz­ten und sich keiner Schuld bewuß­ten Polizei­die­ner ein (womit wir wieder bei der Szene angelangt sind, die wir vorher verlas­sen haben).

»Lieder­li­che Polizei«?
Um nun den weite­ren Sachver­halt darzu­stel­len, halten wir uns an das Kirchen-Konvent­pro­to­koll, das ausführ­lichst berich­tet: Beim Verhör wieder­hol­te Polizei­die­ner Müller zunächst, was wir schon wissen. Dann sagte er weiter: »Der Grün hat sich aufge­führt, wie wenn ich in Unehren mit dem Mädchen zusam­men­ge­we­sen wäre. Er schrie: »Das ist eine lieder­li­che Polizei, die nachts den Mägden nachstellt«, wodurch er sich rächen wollte, weil ich ihn wegen des Mainachts­un­fugs angezeigt hab«. Schließ­lich verlie­ßen Grün und Müller den Pfarr­hof, wobei »der Grün mit vielen groben Reden voller Wut neben Müller herging und drohte, ihn zu mißhandeln«.

In flagran­ti ertappt?
Nun wurde Melchi­or Grün vom Kirchen­kon­vent »vorge­for­dert«. Er schil­der­te, wie er vom Hinter­hof des »Hirsch« gesehen habe, wie der Polizei­die­ner an der Stiege stand und die Pfarr­magd Katha­ri­na im Arm hielt (und vielleicht sogar küssen wollte, wozu es aber nicht gekom­men sei). Denn nun sei er (Grün) dazwi­schen gefah­ren, worauf die so in flagran­ti Ertapp­ten angefan­gen hätten zu barmi­sie­ren und betteln, er solle dies doch nicht an die große Glocke hängen und sie in Unehren bringen (40 bis 60 mal hat Müller dies wieder­holt, so sagt das Proto­koll). Seine Meinung jedoch sei, man dürfe wohl wissen, auf welche Weise der Polizei­die­ner und die Magd sich getrof­fen hätten — »und dann sei er wieder ganz fried­lich zum »Lamm« zurückgegangen«.

An dieser Stelle unter­brach Pfarrer Dürr die Verhand­lung wegen der herein­bre­chen­den Nacht und »weil der Schult­heiß noch eine »Aufstreich­ver­hand­lung« (Verstei­ge­rung) im »Ochsen« vorzu­neh­men hatte«. (Auch wir unter­bre­chen den Bericht, setzen ihn aber demnächst fort).

Volkmar Schrenk

Oberkochen

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte