Streif­lich­ter von »damals«.
Aus dem Besitz der Familie Betzler erhielt der Heimat­ver­ein dieser Tage einen 160 auf 64 cm großen alten Leinen­sack. Die in schönen geschwun­ge­nen Lettern aufge­mal­te Beschrif­tung lautet:

Johan­nes Betzler
Metzger
Oberko­chen

Oberkochen

Johan­nes Betzler wurde am 22.2.1855 geboren und starb 85-jährig am 23.8.1940. Das Betzler’sche Haus stand in der Heiden­hei­mer Straße zwischen dem ehema­li­gen »Rössle« (heute Kocher­tal­apo­the­ke Mögel) und dem »Alten Rathaus« (heute Oberko­che­ner Bank). Ein Foto, das aus den späten Zwanzi­gern oder den frühen Dreißi­gern stammt, illus­triert die Gesamt­si­tua­ti­on dieses Teils der Heiden­hei­mer Straße, die man damals noch »Langgass« nannte, an einem Fronleichnamstag.

Unser Foto stammt ursprüng­lich aus dem Besitz der Familie Roos und gelang­te über Adolf Wunder­le an die beiden Pionie­re der Oberko­che­ner Fotosamm­lung, Isidor Retten­mei­er und Rolf Stelzen­mül­ler und von dort ins Archiv des Heimat­ver­eins Oberko­chen, dessen Fotodo­ku­men­ta­ti­on mittler­wei­le aus weit über 800 Fotos von Alt-Oberko­chen besteht.

Oberkochen

Martha Gold beschreibt uns das Foto wie folgt:

  • 0: Zaun des dem Haus des »Storchen­bäcks« Widmann vorge­la­ger­ten Gartens.
    Diese unüber­bau­te Fläche gibt es bis auf den heuti­gen Tag.
    Zwischen Garten und »Altem Rathaus« führt das Gässle zur »Grube«.
  • 1: Altes Rathaus
    Über dem Eingang die Fahnen­stan­ge, vor dem Eingang ein unifor­mier­ter Mann, wahrschein­lich der »Büttel«. Hinter der großen Scheu­ern­tür stand das Fahrzeug der Freiwil­li­gen Feuer­wehr. Rechts daneben hängt der Aushang-Kasten für Bekannt­ma­chun­gen. Im Giebel erkennt man den Ausle­ger, an welchem die Feuer­wehr­schläu­che hochge­zo­gen wurden.
  • 2: Haus des »Hergotts­häf­ners« Winter/Fischer
    Dieses Gebäu­de wurde 1945 kurz vor Kriegs­en­de am 11. April 1945 durch eine Bombe völlig zerstört. 8 Perso­nen kamen ums Leben.
  • 3: Der kleine­re nördli­che Teil des Doppel­hau­ses gehör­te Joseph Brunn­hu­ber.
    Auch dieses Haus wurde bei dem genann­ten Angriff zerstört.
  • 4: Der größe­re südli­che Teil des Doppel­hau­ses war das Betzler­sche Haus, um das es heute geht.
    Schon der genann­te Metzger Johan­nes Betzler, (1855 — 1940) wohnte darin. Später nannte man das Haus nach dessen Sohn das Haus vom Betzler Paul. Auch das Gebäu­de Betzler wurde von der Bombe weitge­hend zerstört. Ein noch stehen geblie­be­ner Teil stürz­te im Sommer 1945 ein. (Gebäu­de 1, 2, 3, 4 und 5: »geschlos­se­ne Bauweise«)
  • 5: »Das Rössle« Zweig­stel­le der Kreis­spar­kas­se Aalen. (Heute Kocher­tal­apo­the­ke Werner Mögel).
  • 6: Jenseits der Einmün­dung der Dreißen­tal­stra­ße erkennt man das Gebäu­de »Uhl«
  • 7: Die bisher aufge­führ­ten Gebäu­de stehen/standen alle mit dem Trauf zur Straße. Die beiden nun folgen­den Gebäu­de stehen mit dem Giebel zur Straße. Zunächst das Gebäu­de Steinle/Trittenbach.
  • 8: Das letzte links erkenn­ba­re Gebäu­de mit Krüppel­walm­dach ist das Gebäu­de Speth/Welt/Brenner.

Zurück zu Johan­nes Betzler.
Im Betzler’schen Famili­en­be­sitz befin­det sich ein sehr altes, sehr dickes und stark zerle­se­nes Buch von 1882, das im Jahr 1862 erstma­lig und 1882 in der 24. Aufla­ge erschien, und das den folgen­den Titel trägt:

Oberkochen

Das Buch hat 1330 Seiten, die in durch­num­me­rier­ten 2660 Doppel­spal­ten bedruckt sind und ist mit Holzsti­chen illus­triert, wie es allge­mein üblich war, ehe die fotogra­fi­sche Repro­duk­ti­on sich richtig einge­bür­gert hatte.

Johan­nes Betzler hat in dieses Famili­en-Buch eine Seite mit den wichtigs­ten Famili­en­da­ten und den Geburts­da­ten seiner 10 Kinder eingelegt.

Hochzeit: 28. Juli 1885 mit Maria Katha­ri­na, geb. Fischer
Kinder:
Joseph Anton Betzler,
Johann Paul Betzler,
Hedwig Mathil­de Betzler,
Paul Franz Betzler,
Maria Franzis­ka Betzler,
Pauli­ne Katha­ri­na Betzler,
Joseph Anton Betzler,
Anna Martha Betzler,
Katha­ri­na Cäzilia Betzler,
Josephi­ne Betzler

Die 10 Kinder kamen im Verlauf von 16 Jahren zwischen 1886 und 1902 zur Welt. 2 von ihnen sind nicht alt gewor­den, — die anderen lebten teilwei­se bis fast in unsere Tage. Katha­ri­na Cäzilia Betzler (verh. Rettin­ger), geb. 1896, starb erst 1993 im Alter von 96 Jahren.

Ein weite­rer Eintrag weist auf die »Golde­ne Hochzeit« im Jahre 1935 hin. Johann (Johan­nes) August Betzler vermerk­te in säuber­lich geschrie­be­ner deutscher Schrift:

Wir feier­ten am 29. Juli 1935 unsere Golde­ne Hochzeit im »Hirsch« unter Anteil­nah­me der ganzen Gemein­de. Zehn Tage nachher, am 7. August, starb die liebe Mutter unerwar­tet rasch. Johan­nes Betzler.

Auf die Rücksei­te des losen Blattes ist das Foto mit dem Jubel­paar geklebt. Die Aufnah­me entstand vor der katho­li­schen Kirche St. Peter und Paul.

Die Männer in Uniforrn sind von der »Krieger­ka­me­rad­schaft«, (später Kyffhäu­ser­bund). Auf der linken Fahne ist das damals erst 8 Jahre alte Gemein­de­wap­pen zu sehen.

In dem Buch gibt es nur noch einen einzi­gen Eintrag, der durch seine Einma­lig­keit zeigt, welche Bedeu­tung dem beschrie­be­nen Ereig­nis beigemes­sen wurde: Auf der letzten Seite des Buchs steht:

Im Jahre 1883, den 10. Juli, Nachmit­tag 1/2 2 Uhr, schlug das Hagel­wet­ter das Sommer- und Winter­feld ganz zusammen.

Was sagen uns diese Notizen, vor allem die Jahres­zah­len, heute?
Johan­nes Betzler, Metzger, ist 1855 geboren. Damals hatte Oberko­chen nach den Angaben der von Dr. Christ­hard Schrenk fürs Heimat­buch zusam­men­ge­stell­ten Chronik etwas über 800 Einwoh­ner. 1888, bei der Geburt des 3. Kindes, hatte es schon 1132 und 1933, zwei Jahre vor der »Golde­nen Hochzeit«, 1704 Einwoh­ner. Als Johan­nes Betzler starb, hatte Oberko­chen bereits über 2000 Einwoh­ner — das heißt, die Einwoh­ner­zahl von Oberko­chen hatte sich verzwei­ein­halb­facht. Die wenigen Jahres­zah­len, die Johan­nes Betzler notier­te, gehen mit dieser Entwick­lung einher — wir sollten sie uns gelegent­lich vor Augen halten.

Oberkochen

Dieses für die damali­ge Zeit enorme Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist in der zuneh­men­den Umstruk­tu­rie­rung des Dorfs vom Bauern­dorf zum Indus­trie­dorf begrün­det, die 1860 mit der Einfüh­rung des Bohrer­ma­cher­ge­wer­bes durch Chris­toph Jakob Bäuerle (1834 — 1891) ihren Lauf nahm. So war die kürzlich getrof­fe­ne Entschei­dung des Gemein­de­rats, den Namen Bäuerle in einem Oberko­che­ner Straßen­na­men zu veran­kern, eine wichti­ge und eine richtige.

Es ist also keines­falls so, daß das Dorf Oberko­chen erst nach dem Krieg mit dem Zuzug der Firma Carl Zeiss zu wachsen begann.

Dietrich Bantel

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