Es ist gerade gute 2 Jahre her, — genau war es am 5. Juli 1986, — als Kuno Gold bei uns zuhau­se war; es ging um Einzel­hei­ten zu dem damals noch in Vorbe­rei­tung befind­li­chen Heimat­buch »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag«. Herr Gold war so richtig ins Erzäh­len gekom­men. Es ging, wie so oft, ums Dritte Reich, und um die Zeit danach. Seine Erzäh­lun­gen waren immer spannend, meist etwas mit Humor gewürzt, und dennoch sachlich. Ich habe mir damals noch am gleichen Abend eine Reihe von Notizen zu diesem Gespräch gemacht, während dessen Verlauf Herr Gold folgen­de unglaub­li­che aber wahre Geschich­te erzählte:

Die Geschich­te mit den Pisto­len vom Schmiedestein

Im Schmie­de­stein über der Kocher­quel­le befin­det sich eine kleine Höhle, die schon in vorrö­mi­scher Zeit und in allen Epochen der Geschich­te danach in unregel­mä­ßi­gen Abstän­den immer wieder auch als Wohnhöh­le gedient hat. Im Amtsblatt wurde schon verschie­dent­lich über diese inter­es­san­te Höhle, die selbst­ver­ständ­lich unter Denkmal­schutz steht, berich­tet. Auch heute noch kommen ab und zu Jugend­li­che da hinauf, um dort »Räuber und Bolle« zu spielen, oder ein »Läger­le« einzu­rich­ten, wogegen absolut nichts einzu­wen­den ist.

Nun, — eben diese Höhle steht im Mittel­punkt dieser ungewöhn­li­che Geschich­te, die sich in den letzten Kriegs­ta­gen zugetra­gen hat. — (auch unser letzter Bericht 31 handel­te in dieser Zeit).

Kuno Gold und Wilhelm Braun hatten verein­bart, daß sie in den Wald gehen, wenn der »Ami« kommt. Kuno Gold schlug vor, mit Provi­ant für einen Tag in die Höhle am Schmie­de­stein zu gehen, die er als sein »Schlaf­zim­mer« bezeich­ne­te. Am 23. April 1945 begaben sich die beiden hinauf zum Schmie­de­stein, von wo aus man »herrlich« sehen konnte, wie sich die Ameri­ka­ner auf Oberko­chen »einschos­sen«. Kuno Gold ging abends nochmal ins Dorf und sagte im Eltern­haus: Ihr geht morgen früh um 5 Uhr in den Stollen vom Leitz (Bericht im Heimat­buch), — die Amis schie­ßen sich auf Oberko­chen ein, — morgen wird Oberko­chen mit Sicher­heit beschos­sen; — er selbst gehe wieder zurück zur Schmie­de­stein­höh­le — wie es dann auch geschah. Kuno Gold und Wilhelm Braun hatten selbst­ver­ständ­lich ihre Pisto­len dabei. Am nächs­ten Tag lief alles wie vorher­ge­se­hen. Die beiden konnten vom Schmie­de­fel­sen aus gut beobach­ten, wo die Grana­ten einschlu­gen, — wo Treffer waren, und wo’s daneben ging. Kuno Gold konnte vom Versteck aus sein elter­li­ches Haus gut einse­hen; Wilhelm Braun dagegen, in der Volkmars­berg­stra­ße zu Hause, konnte nicht ums Eck sehen. 100 Meter links vom Gold’schen Haus ging eine von vielen Grana­ten nieder. Auch wo das Tiefen­tal­sträß­le vom Haupt­tal abbiegt, auf der Höhe der B 19, ging eine Grana­te nieder; die beiden haben sich vor der Höhle einen Ast gelacht, weil die Amis so weit daneben geschos­sen haben.

Im Lauf des Tages wurde Wilhelm Braun unruhig, weil er nicht sehen konnte, ob nun bei ihm zu Hause etwas passiert sei oder nicht, und wollte partout runter und vor in den Ort, um zu sehen, ob zu Hause alles in Ordnung sei. Kuno Gold riet, besser bis zum Abend zu warten, da man sich bei Nacht besser ins inzwi­schen einge­nom­me­ne Dorf schlei­chen könne. Fast hätte es Streit darüber gegeben; — letzt­lich setzte sich aber Wilhelm Braun durch — er war fast nicht mehr zu halten, so nervös und besorgt war er gewor­den. Also gab Kuno Gold nach, und sie brachen am hellich­ten Tag auf Richtung Oberko­chen. Ihre beiden Pisto­len versteck­ten sie oben in den Felsen beim Eingang der Höhle ehe sie aufbrachen.

Selbst­ver­ständ­lich hatten die beiden keine große Chance, unbehel­ligt in den Ort zu kommen. Schon bei Oppold stand eine ameri­ka­ni­sche Wache, die die beiden bereits aus der Ferne bemerk­te und ihnen mit einem Jeep entge­gen­fuhr. Sie mußten sich auf Kotflü­gel bzw. Kühler setzen und mitkom­men. In der Ziegel­stra­ße (Wacholdersteige/Leitzstraße) wurden sie, Kuno Gold vor den Augen seiner späte­ren Frau, umgela­den und nach Wasser­al­fin­gen gebracht, — dann weiter nach Heilbronn, wo sie ein paar Monate geses­sen haben, ehe sie wieder nach Oberko­chen zurück­keh­ren durften. Die Amis haben ihnen vor ihrer »Abrei­se« aus Oberko­chen alles abgenom­men, was sie hatten, bis auf’s Maschen­mes­ser das Kuno Gold noch recht­zei­tig in seinen Stiefel gesteckt hatte, da er ohne Taschen­mes­ser nicht leben konnte, .… kann, sagte mir Kuno Gold damals, und zog zum Beweis sein Taschen­mes­ser aus der Hosentasche.

Neben­bei ergänz­te er, nachdem er die Geschich­te berich­tet hatte, daß er während der ganzen Zeit, die er in Heilbronn einge­ses­sen hatte, eine Schuß­ver­let­zung mit sich herum­schlepp­te, die er am 5.2.1945 im Krieg erlit­ten hatte. Kuno Gold hat sich damals geschwo­ren, nie mehr in seinem ganzen Leben zu schießen.

Als die beiden irgend­wann dann, wieder zurück in Oberko­chen, ihre im Schmie­de­stein hinter­leg­ten Pisto­len holen wollten, waren sie verschwunden.

Soweit die Geschich­te von Kuno Gold.

Einige Wochen später unter­hielt ich mich mit einem anderen Alt-Oberko­che­ner über diese Zeit. Die Sprache kam auch darauf, daß Oberko­che­ner nicht nur in längst vergan­ge­nen Zeiten die Höhlen zum Schutz in bösen Zeiten aufge­sucht haben, sondern auch noch gegen Kriegs­en­de im 2. Weltkrieg. Dann erzähl­te er mir, daß auch sie als Jungen immer da oben am Schmie­de­stein, wo eine kleine Höhle sei, gespielt hätten. Nach dem Krieg hätte er da oben 2 versteck­te Pisto­len gefun­den, — die seien dort sicher von Solda­ten auf der Flucht hinter­legt worden. Er sei damals nach Hause und habe von seinem Fund berich­tet. Als er andern­tags wieder zur Höhle im Schmie­de­stein gekom­men sei, seien die Pisto­len weg gewesen. Da müsse jemand unheim­lich schnell gewesen sein, und viele kämen da nicht in Frage, die ihm die beiden Pisto­len vor der Nase wegge­schnappt hätten, denn es hätten am Abend zuvor ja nur ganz wenige Leute davon erfah­ren — er habe da so seine Vermu­tun­gen .… Nun, sagte ich, — die Pisto­len könne ich ihm auch nicht wieder­brin­gen, — aber immer­hin könne ich ihm sagen, wer die einsti­gen und recht­mä­ßi­gen Besit­zer dieser Waffen gewesen waren .… So konnte zumin­dest diese Frage nach über 40 Jahren gelöst werden.

Dietrich Bantel

Der von Kuno Gold erwähn­te »Leitz­stol­len« ist eine in den letzten Kriegs­jah­ren geplan­te und bis Kriegs­en­de teilwei­se fertig­ge­stell­te unter­ir­di­sche Ferti­gungs­an­la­ge der ehema­li­gen Firma Fritz Leitz. Herr Archi­tekt Kennt­ner hat aus den uns von der Firma Carl Zeiss zu diesem Zweck überlas­se­nen Origi­nal­plä­nen für das Heimat­buch eine inter­es­san­te Zusam­men­zeich­nung angefer­tigt, die die Ausdeh­nung der Ferti­gungs­an­la­gen veran­schau­licht. Die kreuz-schraf­fier­ten Teile waren bis Kriegs­en­de fertig­ge­stellt worden. Näheres im Heimat­buch Seiten 194 und 195.
Vorste­hen­der Beitrag Nr. 32 sollte ursprüng­lich letzte Woche in BuG abgedruckt werden. Er erscheint, durch ein Verse­hen bedingt, leider erst heute.

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