Lager 6

Lager 6
Es befand sich im Kapel­len­weg gegen­über Haus Seitz (Gebäu­de 24) und dem später überbau­ten Anwesen Mannes (Kapel­len­weg 28), bestand aus 4 nicht einge­zäun­ten Einzel­ba­ra­cken, von denen 2 zusam­men­ge­baut waren, und erstreck­te sich bis hin zur 1950 abgebro­che­nen Wiesenkapelle.

Die »eindrucks­volls­te« Baracke ist eine größe­re ca. 1942 aufge­stell­te Holzba­ra­cke im Plan Baracke 1 (Foto Winter 1949/50). Nach überein­stim­men­der Aussa­ge mehre­rer Zeugen handel­te es sich bei den Bewoh­nern dieser Baracke um russi­sche Zwangs­ar­bei­ter, Männer und Frauen, aus der Ukrai­ne, die bei der Firma Bäuerle arbei­te­ten. Sie wurden, zusam­men mit den Zwangs­ar­bei­tern aus den anderen Baracken, wie dies auch von anderen Lagern berich­tet wird, morgens vom Gefan­ge­nen­auf­se­her Karl Elmer, der in dieser Baracke 1 einen büroähn­li­chen Raum hatte, sonst aber im Dreißen­tal wohnte, zu den Arbeits­plät­zen und abends zurück ins Lager gebracht.

In der etwas gepfleg­ter ausse­hen­den, an Baracke 1 angebau­ten, und ebenfalls zurück­lie­gen­den kleine­ren Baracke 2, so wurde mir berich­tet, waren Franzo­sen und Italie­ner unter­ge­bracht. Vermut­lich unter­stan­den auch sie der Aufsicht durch Karl Elmer. Auch von dieser Baracke liegt uns ein Foto vor, das aus Platz­grün­den in diesem Bericht nicht veröf­fent­licht werden kann.

In einem paral­lel zum Kapel­len­weg und direkt an diesem gelege­nen besse­ren und aus Stein errich­te­ten langen Gebäu­de (Baracke 3) waren RAD-Mädchen unter­ge­bracht (Reichs­ar­beits­dienst). 2 Oberko­che­ner sprachen davon, daß dort RHD-Mädchen (Kriegs­hilfs­dienst) wohnten, was aber zunächst wohl offen bleiben muß. Nach dem Krieg wurde dieses Gebäu­de aufge­stockt. Es steht bis auf den heuti­gen Tag.

Ein viertes, baracken­ähn­li­ches, sehr langes, aber recht passa­bles aus Stein errich­te­tes Gebäu­de, das sogar mit Fenster­la­den verse­hen war, (Baracke 4) stand in der Verlän­ge­rung von Baracke 3 direkt am Kapel­len­weg. Es reich­te bis fast zur 1950 durch die Firma Bäuerle abgebro­che­nen Wiesen­ka­pel­le. (Siehe die aus 2 Fotos zusam­men­ge­setz­te Ansicht vom Winter 1949/50). In diesem Gebäu­de haben lt. Aussa­gen von Anwoh­nern und späte­ren deutschen Bewoh­nern russi­sche Zwangs­ar­bei­ter gewohnt. Gleich nach dem Krieg wurden in dieses Gebäu­de Flücht­lin­ge und Heimat­ver­trie­be­ne einge­wie­sen. Später war dies der »Saustall« des landwirt­schaft­li­chen Anwesens Bäuerle.

Oberkochen

Frau Anna Müller (geb. Holz) und Herr Kurt Elmer berich­te­ten, daß in Baracke 4 unter anderen ein russi­sches Ehepaar gewohnt habe, in einem kleinen Zimmer für sich, und da habe es einmal Kinds­nach­wuchs gegeben. Da die Leute überhaupt nichts hatten, brach­ten die Famili­en Elmer und Holz (Frau Holz sen. war Hebam­me, »Hefattl«, wie man in Oberko­chen sagte — sie hatte bei der Kinds­ge­burt in der Baracke gehol­fen — eine Menge »Kindwäsch« herbei und halfen aus, wo immer möglich.

Der Vater des Kindes war Kunst­ma­ler und hat viel gemalt. Die ganzen Wände der sonst ärmlich ausge­stat­te­ten Behau­sung hingen voll mit auf Karton gemal­ten Ölbil­dern. Denje­ni­gen, die der ukrai­ni­schen jungen Familie gehol­fen haben, hat der Mann Ölbil­der mit Motiven seiner russi­schen Heimat geschenkt. Frau Anna Müller hat eines von ihnen, das schon einmal zur Müllab­fuhr bereit­stand — wohl eine Schwarz­meer­land­schaft — bis auf den heuti­gen Tag in der Wohnung im Kapel­len­weg hängen und war so freund­lich, es uns zum Zwecke der Repro­duk­ti­on und Veröf­fent­li­chung im Rahmen dieses Berichts zur Verfü­gung zu stellen.

Oberkochen

Wie in mehre­ren Fällen, in denen sich Oberko­che­ner während des Kriegs den Fremden gegen­über freund­lich gezeigt haben, so wird auch hier berich­tet, daß dieser Russe nach Kriegs­en­de seine Wohltä­ter vor Übergrif­fen seiner Lands­leu­te geschützt hat. und das war gelegent­lich dringend notwendig.

Kurt Elmer berich­te­te, daß gerade von Lager 6 aus und von einer weiter unten beim Kaltwalz­werk gelege­nen, mögli­cher­wei­se auch noch von anderen Lagern außer­halb Oberko­chens, bald nach Kriegs­en­de eine größe­re Gruppe von Russen (nach anderen Berich­ten Russen und Polen) stamm­ten, die sich, was Oberko­chen betrifft vor dem Elmer­schen Hafner-Haus mit dem Ziel »Theußen­berg« zusam­men­rot­te­te. Es kam dort inner­halb weniger Tage im Juni 1943 zu 3 Überfäl­len, zu Plünde­run­gen und Gewalt­ta­ten, in deren Verlauf 3 Deutsche getötet wurden. Das Anwesen Theus­sen­berg wurde in Brand gesteckt. Weiter wird berich­tet, daß ein Teil der Täter auf ihrem Rückweg nach Oberko­chen von Ameri­ka­nern gestellt wurden. Bei den Gewalt­tä­tig­kei­ten gab es auch auf Seiten der Russen oder Polen ein Opfer. Die näheren Umstän­de werden von uns, da sie indirekt auch Oberko­chen betref­fen, in einem getrenn­ten Bericht am 15. Mai 1998 veröffentlicht.

Nach dem Krieg waren die ehema­li­gen Zwangs­ar­bei­ter-Baracken und die RAD-Baracke bis auf die Baracke 2 von Flücht­lin­gen und Heimat­ver­trie­be­nen bewohnt; insge­samt waren 69 Perso­nen in den Baracken 1, 3 und 4 unter­ge­bracht. Frau Erika Fischer, Frau Adelheid Harpeng und Herr Willi Wendel­ber­ger waren so freund­lich, die Perso­nen, die als erste nach dem Krieg in diesen Baracken wohnten, aufzuzählen.

In Baracke 1 (Holzba­ra­cke) die der Firma Bäuerle gehör­te, waren 3 Famili­en Wendel­ber­ger (die Geschwis­ter Eduard, Robert und Rudolf mit ihren Famili­en), ferner die Famili­en Johann Ditz und die Krieger­wit­wen. Geschwis­ter Landkauf und Romanek unter­ge­bracht — insge­samt 20 Perso­nen. Diese Baracke war eigent­lich zu einer menschen­un­wür­di­gen Behau­sung herun­ter­ge­wirt­schaf­tet, wie unser Foto (Winter 1949/50) das, wenn nicht der Turm der katho­li­schen Kirche zu sehen wäre, im tiefs­ten Balkan aufge­nom­men sein könnte, zeigt. Für Herrn Wendel­ber­ger wie für viele der anderen Famili­en, war Baracke 1 bereits die 3. Notun­ter­kunft nach seiner Ankunft in Oberko­chen im Jahr 1946. Zunächst hauste die Familie auf Stroh­la­gern in der Bahnhof­re­stau­ra­ti­on »Schell«, dann, ebenfalls auf primi­tivs­ten Decken-Lagern, in der alten ev. Schule, heute Schil­ler­haus. Von dort wurde sie in den Kapel­len­weg umquar­tiert. Man habe von der Firma Mannes (sen.) Bretter erhal­ten und die Holz-Baracke in eigener Regie unter­teilt und herge­rich­tet. Herr Wendel­ber­ger erinner­te sich übrigens in Bezug auf Baracke 1 an italie­ni­sche Beschrif­tun­gen und an Flächen, die mit den italie­ni­schen Natio­nal­far­ben übermalt waren. Es waren demzu­fol­ge auch Italie­ner in dieser Baracke unter­ge­bracht, nicht nur Russen. Mögli­cher­wei­se liegt aber auch bei anderen Zeitzeu­gen eine Verwechs­lung vor. wer kann weiterhelfen?

Oberkochen

Die kleine­re massi­ve Baracke 2 im Anschluß an die Holzba­ra­cke wurde nach Aussa­ge von Herrn Wendel­ber­ger und Frau Fischer nach dem Krieg von der Firma Bäuerle genutzt.

In die RAD-Baracke 3 aus Stein in noch nicht aufge­stock­tem Zustand gleich nach dem Krieg wurden die Famili­en Neuber, Holden­ried, Dr. Roos und Krok, insge­samt 19 Perso­nen, einge­wie­sen. Frau Luzie Krok berich­te­te anschau­lich, wie ihr Mann auf den Baracken­bo­den mit Kreide die zu bauen­den Unter­ein­tei­lun­gen für ihren Wohnbe­reich einge­zeich­net hat.

Beson­ders dankbar sind wir für die Fotos, die Frau Luzie Krok dem Heimat­ver­ein zur Verfü­gung stell­te. Herr Krok, späte­rer Gemein­de­rat, hatte eine Kamera über das Kriegs­en­de hinweg geret­tet. Von ihm stammt eine außer­ge­wöhn­li­che Fotodo­ku­men­ta­ti­on, die die Situa­ti­on im Kapel­len­weg im Winter 1949/50 beschreibt.

Oberkochen

Auch Baracke 4 war nach dem Krieg von Heimat­ver­trie­be­nen und Flücht­lin­gen bewohnt. Hier wohnten die Famili­en E. Harpeng, A. Harpeng, Englert, Steck­bau­er, Rek, Frau W. Hahn und Frau E. Dietz — insge­samt 30 Perso­nen allein in dieser einen Baracke. Diese Baracke macht im Winter 1949/50 einen recht guten Eindruck — der Treppen­auf­gang ist sogar mit einem Vordach versehen.

Sie wurde zu einem späte­ren Zeitpunkt dem landwirt­schaft­li­chen Anwesen Bäuerle zugeschla­gen und als »Saustall« verwen­det. Frau Mannes erinnert sich noch sehr wohl an die »Risiken und Neben­wir­kun­gen« des Schwei­ne­stalls in Form von größe­ren Tieren mit langem Schwanz, die häufig zu Besuch über die Straße hinüber kamen. Das kleine Fachwerk­ge­bäu­de links hinter der Baracke ist, wie ich infor­miert wurde, der erste Bau zum landwirt­schaft­li­chen Anwesen Bäuerle.

Über weite­re Baracken, die noch tiefer hinter den genann­ten Baracken Richtung Kocher und Röchling gestan­den haben sollen, konnten wir bis jetzt noch keine Bestä­ti­gung bekommen.

Dietrich Bantel

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