Lager 2, 3, 4 und 5

Außer dem in den Berich­ten 313 und 314 beschrie­be­nen Gefan­ge­nen­la­ger 1 gab es in Oberko­chen eine Reihe weite­rer Baracken­la­ger und Unter­künf­te. Die heute beschrie­be­nen Lager 2 und 3 stehen in unmit­tel­ba­rem Zusam­men­hang mit Lager 1 u. der Fa. Fritz Leitz. In ihnen waren bis Kriegs­en­de, soweit bis jetzt bekannt, ausschließ­lich Auslän­der und Auslän­de­rin­nen unter­ge­bracht, die Zwangs­ar­beit für den Rüstungs­be­trieb Fritz Leitz ausführ­ten, also keine Kriegsgefangenen.

Lager 2
Es stand auf dem Kocher­in­sel-Gelän­de zwischen Kocher und Kocher­ka­nal paral­lel zur heuti­gen Wachol­der­stei­ge, also südlich vis-à-vis CZ-Bau VII (IMT — ehema­li­ge Werks­feu­er­wehr CZ). Es handel­te sich lt. Aussa­ge von Frau Hermi­ne Blume um eine einzel­ne größe­re Baracke, in der ausschließ­lich Russin­nen unter­ge­bracht waren. Frau Blume, der die Küche bei der Firma Albert Leitz unter­stand, beauf­sich­tig­te neben­bei auch die Baracken­kü­che der Russin­nen, die für den Rüstungs­be­trieb Fritz Leitz arbei­te­ten. An eine Einzäu­nung um den Baracken­be­reich kann sie sich nicht entsin­nen. Wie später aufge­führt wird, waren noch weite­re Baracken und Baracken­plät­ze in Oberko­chen nicht einge­zäunt. Das hängt damit zusam­men, daß es sich bei den betref­fen­den Arbei­tern und vor allem Arbei­te­rin­nen nicht um echte Kriegs­ge­fan­ge­ne handel­te, sondern vielmehr um Menschen, die aus von den Deutschen besetz­ten Gebie­ten depor­tiert und nach Deutsch­land gebracht worden waren, um die durch Wehrdienst fehlen­den Männer, vor allem die, die in der Rüstungs­in­dus­trie fehlten, zu erset­zen. Frau Blume berich­te­te, daß sie zu den Russin­nen ein sehr gutes Verhält­nis gehabt habe. Sie erinnert sich sogar an einen hohen militä­ri­schen Besuch, etwas »von ziemlich oben«, der ganz seltsam drein­ge­schaut habe, weil sie mit den zur Arbeit gezwun­ge­nen Russin­nen so offen­sicht­lich gut zurecht kam. Das war damals schon verdächtig …

Herr Adolf Hausmann bestä­tig­te, daß die Männer im Lager 1 unter­ge­bracht waren, und die Frauen im Lager 2. Am Sonntag hätten aber alle (?) freien Ausgang gehabt. Sie seien den Fremden damals als junge Lausbu­ben nachge­stie­gen, wie sie sich die Ess- und die Rodhal­de hinauf in die Büsche schlu­gen und hätten mit wachsen­der Begeis­te­rung aus siche­ren Verste­cken zugeschaut, was die da so getrie­ben haben …

Lager 3
Auch Lager 3 befand sich auf dem ehema­li­gen Werks­ge­län­de des Rüstungs­be­triebs der Firma Fritz Leitz. Nur wenige Oberko­che­ner haben es gespei­chert und es gibt sehr wider­sprüch­li­che Angaben darüber. In einem Fall wider­spra­chen sich sogar die Aussa­gen zweier Brüder, die getrennt befragt wurden. Das zeigt, wie schwie­rig es ist, nach über einem halben Jahrhun­dert noch siche­re Zeugen­aus­sa­gen zu bekom­men. Den ersten Hinweis darauf, daß dieses 3. Fritz-Leitz-Lager überhaupt existier­te, erhielt ich durch eine telefo­ni­sche Mittei­lung von Horst Juchem aus Ulm am 23.2.98. Herr Juchem bezog sich auf den am 20.2. in BuG erschie­ne­nen Bericht. Er wunder­te sich, daß das Lager, an das er sich sehr gut erinnert, bisher noch nie erwähnt worden ist. Er beschrieb es als auf dem Gelän­de unter­halb der Meisen­gas­se nur ca. 50 bis 100 m von der Dreißen­tal­stra­ße entlang eines Fußwegs Richtung Süden (FL) gelegen, bergwärts, also etwa oberhalb der Stelle, wo heute das CZ-Hochhaus in der Carl-Zeiss-Straße steht, am Fuße eines steilen Hangs. Dieser Hang unter­halb Haus Ilg/Volkmarsbergstraße wird von den Einhei­mi­schen der »Napole­ons­bu­ckel« genannt. Im Anschluß an das Baracken­ge­län­de sei die Gärtne­rei des Fritz Schäfer (FL) entstan­den, weiter südlich dahin­ter stand das Martha-Leitz-Haus. Herr Juchem erinner­te sich nicht mehr sicher, ob es 4 oder 6 Baracken waren, dagegen konnte er mit ziemli­cher Sicher­heit sagen, daß es sich bei den Bewoh­nern der Baracken um russi­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne gehan­delt hat. Herr Juchem wußte auch noch, daß diese Baracken bald nach Kriegs­en­de, wahrschein­lich noch 1945 abgebro­chen wurden. Aus dem ehema­li­gen Baracken­ge­län­de habe man kleine­re Garten­grund­stü­cke gemacht, und seine Eltern hätten ein Stück davon erwor­ben. Dort habe es noch lange »so schön unange­nehm gerochen — nach einer Mischung aus Latri­ne und Desinfektionsmitteln«.

Frau Irmgard Post war die erste befrag­te Oberko­che­ne­rin, die sich klar an die Baracken erinnern konnte. Sie verband mit ihnen die Erinne­rung an schönen melan­cho­li­schen Gesang. Das Ehepaar Clara und Adolf Wunder­le erinner­te sich noch einwand­frei an die Baracken. Frau Wunder­le kam häufig dahin, weil sie am Fuß des Napole­ons­bu­ckels eine Wiese hatten, wo sie Grasfut­ter holte. Auch Frau Wunder­le war der Meinung, daß es »mindes­tens 4 Baracken« gewesen seien.

Primus Schmid bestä­tig­te ebenfalls ein Lager in dem beschrie­be­nen Bereich. Er korri­gier­te die bishe­ri­gen Aussa­gen dahin­ge­hend, daß die Baracken unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de abgeris­sen wurden bis auf eine, die noch bis in die Fünfzi­ger­jah­re hinein auf dem CZ-Gelän­de stand und als Werks­s­att­le­rei diente — etwa dort, wo heute das Umwelt-Labor und der Schup­pen der Schrei­ne­rei stehen. Erst vor wenigen Tagen brach­te mir aller­dings Helmut Babik eine CZ-Luftauf­nah­me vom 14.11.1954, auf der an der beschrie­be­nen Stelle nicht nur eine, sondern 3 Baracken, die paral­lel zum Hang stehen, zu erken­nen sind. Wer kann nähere Aussa­gen zu den 3 Baracken, 2 größe­re und eine kleine­re, die 1953 noch standen, machen? Mit etwas Phanta­sie ist übrigens auch der Eingang zu dem Fritz-Leitz-Stollen­frag­ment zu erken­nen. Auf einer CZ-Luftauf­nah­me vom 12.10.1965, ebenfalls aus dem Besitz von Herrn Babik, steht noch die südlichs­te der 3 Baracken. Herr Babik war so freund­lich, die Luftauf­nah­men dem Heimat­ver­ein zu überlas­sen. Wir werden versu­chen, die in diesem Zusam­men­hang inter­es­san­ten Details heraus­ver­grö­ßert im Amtsblatt abzudrucken.

Es gibt noch keine klaren Aussa­gen, ob es sich bei den Lager­in­sas­sen des Lagers 3 nur um Männer oder um Männer und Frauen gehan­delt hat, auch nicht darüber, ob das Lager einge­zäunt war oder nicht. Es gibt aber eine Tendenz dahin­ge­hend, daß in diesem Lager nur Männer waren, und daß es einge­zäunt war.

Es wäre ziemlich wichtig, weite­re Zeitzeu­gen gerade zu diesem Lager 3 ausfin­dig zu machen, da ich dieses Lager in unmit­tel­ba­rem Zusam­men­hang mit dem Bau der unter­ir­di­schen Fabri­ka­ti­ons­an­la­ge (»Leitz-Stollen«) sehe. Einer der Zugän­ge befand sich im bereits hängi­gen Gelän­de hinter diesem Lager. Zwei getrenn­te Berich­te über den Stollen sind in Arbeit. Es gibt bis jetzt nieman­den, der sagen konnte, wer diese Schwerst­ar­bei­tern im massi­ven Fels beauf­sich­tig­te, ob es tatsäch­lich Russen waren, die das Fragment, das der Fa. FL als Luftschutz­stol­len diente, gebaut haben, wo der Fels-Aushub hinge­schafft wurde und womit. Bis jetzt liegen mir nur wider­sprüch­li­che und sehr unvoll­stän­di­ge Angaben vor, die sich für eine Veröf­fent­li­chung nicht eignen.

Mögli­cher­wei­se steht eine von der Firma Fritz Leitz als Lehrlings­ba­ra­cke genutz­te Baracke, die später paral­lel zur Carl-Zeiss-Straße stehend noch lange als Lehrlings­ba­ra­cke von der Firma Carl Zeiss genutzt wurde, im Zusam­men­hang mit den Baracken des Lagers 3.

Lager 4
Die alte TVO-Turnhal­le im Katzen­bach, das wußten überein­stim­mend alle Befrag­ten zu sagen, ist die ältes­te Gefan­ge­nen­un­ter­brin­gung Oberko­chens gewesen.
Dorthin kamen schon in den frühen Vierzi­ger­jah­ren die ersten franzö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen. Sie wurden laut Aussa­gen mehre­rer Zeitzeu­gen morgens unter Bewachung zum WIGO und zu anderen Betrie­ben (genannt wurden Leitz und Bäuerle) an ihre Arbeits­plät­ze gebracht und wurden ebenso bewacht am Abend wieder zur Halle geführt. Ein Teil dieser Gefan­ge­nen arbei­te­te auch in der Landwirtschaft.

Es entstan­den, wie mir gesagt wurde, eine Reihe von dauer­haf­ten Freund­schaf­ten. Die TVO-Turnhal­le wurde bald nach Kriegs­en­de auf Anord­nung von Bürger­meis­ter Frank »warrn abgebro­chen«, weil sie hoffnungs­los verdreckt und voller Ungezie­fer war. Der HVO wäre sehr inter­es­siert, Fotos von der alten TVO-Turnhal­le möglichst aus der Zeit in der sie als Gefan­ge­nen­la­ger diente, zum Zwecke des Abfoto­gra­fie­rens für das HVO-Archiv ausge­lie­hen zu bekommen.

Lager 5
Da von verschie­de­ner Seite mehrfach berich­tet, kann sicher davon ausge­gan­gen werden, daß auch im »Saal« des Gasthofs Hirsch, in der Aalener Straße neben der alten evange­li­schen Kirche ca. 20 Zwangs­ar­bei­ter lager­ähn­lich unter­ge­bracht waren. Auch vis-à-vis im Neben­ge­bäu­de des »Gasthofs Ochsen« und an weite­ren Orten, die mir im einzel­nen noch nicht bekannt sind, waren einzel­ne Zwangs­ar­bei­ter untergebracht.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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