Fortset­zung zu Lager 1

Zum Lager 1 wurden nunmehr folgen­de Details bekannt: Das Lager war mit hohem Zaun und Stachel­draht einge­zäunt und bewacht. Norma­ler­wei­se durfte niemand rein. Fest steht, daß Franzo­sen zunächst in dem Lager waren, es wurde aber auch 2mal bestä­tigt, daß die beiden oberen Baracken (links im Plan) zuletzt von Russen bewohnt waren. Herr Peter Fischer, Aalen, wußte, daß die Russen Herrn Baß, der Meister bei Fritz Leitz war, unter­stellt waren. Frau Valeria Franz, damals 9 Jahre alt, brach­te durch eine nicht so gut einseh­ba­re Öffnung im Zaun im hinte­ren Teil des Lagers eine Zeitlang im Auftrag ihres Vaters (Hardy Burkhardt) verbo­te­ner­wei­se Essen ans Lager, das sie einer Frau Stefka (Vorna­me), deren Mann als Gefan­ge­ner bei der Firma Fritz Leitz arbei­te­te, übergab. Eine Frau X. (Name bekannt) vom Kies habe den Aufsichts­dienst am Werks­ein­gang verrich­tet und sie wahrschein­lich »verpfif­fen«. Jeden­falls habe man ihrem Vater nahege­legt, daß das mit dem Essen-bringen sofort aufhö­ren müsse, sonst passie­re was. Frau Franz gelang­te 2mal auch durch einen offizi­el­len Eingang ins Lager und erinnert sich noch sehr genau an die unheim­lich fremde Stimmung in den Russen­ba­ra­cken, deren Wände mit Papier­blu­men geschmückt waren. Die Russen tanzten hin und wieder sehr ausge­las­sen (»Kosaken­tän­ze«) und sie hört noch heute das wilde Aufstamp­fen der Füße auf dem Boden. Das Schrei­en, das die Tänze beglei­te­te, habe ihr als 9jährigem Mädchen Angst gemacht. Sie erinnert sich aber auch an schönen und stimmungs­vol­len Gesang. Bestä­tigt wurde auch ihre Erinne­rung an eine riesen­gro­ße Schau­kel, auf welcher die Russen akroba­tisch turnten, auch unter Alkoholeinfluß.

Einmal sei dort ein Russe zu Tode gekom­men, als er abstürz­te. Sie habe ihn aufge­bahrt in einem Sarg liegen sehen, mit Brot und anderen Grabbei­ga­ben. Nach dem Krieg haben Frau Stefka, ehe sie in ihre Heimat zurück­ging, und sie die Adres­sen ausge­tauscht, aber Antwort habe sie nicht bekom­men. In diesem Zusam­men­hang ist auch eine Erinne­rung von Martin Gold/Bär inter­es­sant, der einem Russen dieses Lagers immer wieder Brot gegeben und einen guten Kontakt zu diesem hatte. Wie der Krieg aus war, und dieser frei herum­lief, habe er den »Bär« plötz­lich nicht mehr gekannt und sei sogar bösar­tig geworden.

Mehrfach wurde angemerkt, daß in diesem Lager auch Gefan­ge­ne aus anderen Ländern unter­ge­bracht waren. Durch die viele Indus­trie seien in Oberko­chen unver­hält­nis­mä­ßig viele Kriegs­ge­fan­ge­ne gewesen.

Frau Post erinnert sich, wie in den letzten Kriegs­ta­gen die deutschen Solda­ten dicht an dicht auf Lastwa­gen hinauf­ge­pfercht den Ort verlie­ßen. Dr. Brammen habe alles verfüg­ba­re Brot gesam­melt und auf die Lastwa­gen hinaufgeworfen.

Unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de seien die Gefan­ge­nen dann frei und teilwei­se plündernd herum­ge­lau­fen, und man habe eine Mords­angst vor ihnen gehabt. Dies bestä­ti­gen mehre­re Zeitzeugen.

Frau Irmgard Post — ihre Familie wohnte in einem der Häuser der FL-Werksied­lung in unmit­tel­ba­rer Nähe des Lagers 1 — berich­te­te, daß ihr Vater jeden Abend einen Pfosten in den Windfang zwischen Haus und Glastür geklemmt habe, daß man nicht so ohne weite­res ins Haus kam.
Herr Horst Juchem, heute Ulm, berich­te­te, daß man Schnü­re von Haus zu Haus gespannt habe, um sich nachts geräusch­los durch Zeichen verstän­di­gen zu können.
Mehrfach wurde berich­tet, daß vor allem in Häuser, in denen den Gefan­ge­nen »unlieb­sa­me« Leute wohnten, einge­bro­chen wurde. (»Es wurden Keller ausge­räumt«).
Franz Hausmann erinner­te sich, daß der Vater zur Sicher­heit »s’Beil hentr d’Kel­ler­dür geschdellt hat«. Bestä­tigt wurde auch von mehre­ren Seiten, was mir Fritz Leitz jr. vor vielen Jahren berich­te­te: Das Martha-Leitz-Haus wurde von Russen, aber genau­so unver­schämt von Einhei­mi­schen, geplün­dert. (Es gab und gibt noch in zahlrei­chen Häusern einen Leitztel­ler mit dem Leitzzei­chen darauf, oder Leitzbesteck).

Frau Franz erinnert sich, daß die Frau Stepka vom Lager 1 einmal mit einem Ballen Stoff angekom­men sei, der mögli­cher­wei­se aus einem Einbruch in Heiden­heim (WCM — Württem­ber­gi­sche Cattun­ma­nu­fak­tur) stamm­te und den sie an ihr wohl geson­ne­ne Oberko­che­ner verteilt habe. Ein anderer Zeitzeu­ge ist der Meinung, daß dieser Stoff, aus dem sich eine ganze Reihe von Oberko­che­ne­rin­nen Kleider und Röcke genäht haben, alle mit dem gleichen Muster (»So, hasch au an Russa­stoff kriagt?«) von den Vorhän­gen und Gardi­nen im Martha-Leitz-Haus stammte.

Frau Post berich­te­te, daß es beson­ders schlimm in dem ehema­li­gen Verwal­tungs­ge­bäu­de der Firma Fritz Leitz (heute CZ-Bau V) herge­gan­gen sei, in welchem die Ameri­ka­ner einquar­tiert waren. Dort sei ständig ein vom Alkohol gestei­ger­ter Riesen­lärm gewesen, und »sie haben gehaust daß es nicht mehr schon war«. Immer wieder seien Dinge aus den Fenstern geflo­gen. Beson­ders Angst habe nicht nur sie vor den Schwar­zen gehabt. Es seien ja schließ­lich die ersten Schwar­zen gewesen, die man zu Gesicht bekam. Auf die Ausschrei­tun­gen auf dem Theus­sen­berg, die von Oberko­chen aus gingen, gehe ich in einem späte­ren Bericht ein.

Die genann­ten oberen Russen­ba­ra­cken und weite­re Baracken­un­ter­künf­te von Lager 1 (Fritz Leitz) seien total versifft und verlaust gewesen und seien deshalb von den Ameri­ka­nern mit Benzin übergos­sen und angezün­det worden. Viele Oberko­che­ner wissen das nicht. Herr Peter Fischer, Aalen, und Frau Post berich­te­ten als ehema­li­ge Anlie­ger überein­stim­mend, daß das ein so furcht­ba­res Feuer war, ein »Höllen­feu­er«, daß man um die naheste­hen­den, nur durch einen Strei­fen Feld vom Baracken­ge­län­de getrenn­ten Gebäu­de, in denen sie wohnten, Angst bekam. Man habe die Fenster aufma­chen müssen, sonst wären sie in der Hitze gesprun­gen. In einem offenen Fenster habe ein Gummi­man­tel gehan­gen, der sei weich gewor­den und an den Fenster­rah­men »nababbt« die Zwetsch­gen auf den Bäumen seien heiß und runze­lig geworden.

Dieser Darstel­lung wird häufig wider­spro­chen, vor allem von Mitar­bei­tern der später zugereis­ten Mitar­bei­ter der Firma Carl Zeiss aus Jena, die der Meinung sind, daß sie in die alten Gefan­ge­nen­ba­ra­cken einge­wie­sen worden sind. Herr Bruno Deinhart und Franz Brunn­hu­ber bestä­tig­ten jedoch, daß die »Amis« die Baracken gleich nach dem Kriegs­en­de nieder­ge­brannt haben und daß später andere Baracken aufge­stellt wurden. (siehe unser Foto)

Frau Post wußte, daß anstel­le der nieder­ge­brann­ten Baracken, die dunkel­grün gestri­chen waren und nur einen Eingang mit zentral erschlie­ßen­dem Mittel­gang hatten, Baracken aufge­stellt wurden, die einen anderen Grund­riß mit verschie­de­nen Eingän­gen hatten. Herr Deinhart wußte, daß es sich nicht um neue, sondern um gebrauch­te Baracken gehan­delt hat, die von der Gemein­de auf dem alten Baracken­ge­län­de aufge­stellt worden sind. Ich denke, daß durch die überein­stim­men­den Aussa­gen von Frau Post, Herrn Fischer, Aalen, Herrn Deinhart und Herrn Brunn­hu­ber endgül­tig mit dem immer noch kursie­ren­den Gerücht aufge­räumt werden kann, demzu­fol­ge die ersten »Zeiss­ler« in den ehema­li­gen Gefan­ge­nen­ba­ra­cken unter­ge­bracht worden sind.

Das Gelän­de um Lager 1 wurde nach dem Krieg von den Ameri­ka­nern monate­lang als Lager für Flugzeug­tei­le und nicht weiter verwend­ba­re Maschi­nen des demon­tier­ten Rüstungs­be­trie­bes Fritz Leitz verwen­det. Dieser Platz diente Jugend­li­chen, das bestä­tig­ten Herr Fischer, Herr Adolf Hausmann und Herr Deinhart, als Abenteuerplatz.

Herr Fischer wußte noch, daß sie damals Kugel­la­ger, Messing- u. Bronze­tei­le aus den Gerät­schaf­ten ausge­baut und über den »Schuh­paul« in bare Münze bzw. andere Güter umgesetzt haben. Für 30 kg Buntme­tall habe es einen Zentner Mehl gegeben. Herr Hausmann erinner­te sich, daß die Dur-Alu-Teile wahnsin­nig gut gebrannt haben, haupt­säch­lich, wenn man noch ein wenig Wasser ins Feuer gegeben hat.

Auch Herr Deinhart bestä­tig­te diese Aussa­gen. Er habe es als 9jähriger Junge haupt­säch­lich auf die »Konscht­off­zah­räd­le« abgese­hen gehabt. Manch mal sei man den »Amis«, die ihre Abfäl­le »hente­re en Langd­eich« gefah­ren haben, hinter­her. Beson­ders bei begehrt seien wegge­wor­fe­ne Micky-Maus-Heftle gewesen — manch­mal habe man auch nicht geöff­ne­te Dosen gefun­den. Herr Deinhart wußte auch zu berich­ten, daß die im Freien gelager­ten Flugzeug­tei­le aus Kunst­stoff und Dur-Alu von den Ameri­ka­nern angezün­det worden sind.

Wer kann helfen?
Dieses Foto der Fabrik­ge­bäu­de des ehem. Rüstungs­be­triebs Fritz Leitz stell­te uns Dr. Hinkel­mann vom Optischen Museum Carl Zeiss zur Verfü­gung, leider ohne zeitli­che Angabe — es ist ledig­lich vermerkt, daß CZ 1946 in diesen Fabrik­ge­bäu­den den Stiftungs­be­trieb fortsetzte.

Nach unserer Ansicht muß das Foto 1945 bald nach Kriegs­en­de entstan­den sein. Der untere Pfeil weist auf das Gelän­de des aufge­lös­ten Gefan­ge­nen­la­gers. Die alten Baracken sind bereits nicht mehr vorhan­den — die Grund­ris­se der beiden Russen­ba­ra­cken, einschließ­lich des sie verbin­den­den kleinen Sanitär­trakts und der großen Baracke, sind erkenn­bar. Neue Baracken sind noch nicht aufge­stellt. Das Foto scheint entge­gen zahlrei­chen Überlie­fe­run­gen zu belegen, daß zumin­dest diese 3 Gefan­ge­nen-Baracken des Plans von 1942 entfernt wurden, d. h., daß die Ankömm­lin­ge der Fa. CZ aus Jena 1916 nicht in diesen alten Gefan­ge­nen­ba­ra­cken unter­ge­bracht gewesen sein können, da es sie bereits 1945 nicht mehr gegeben hat. Es müssen, wie Herr Fischer, Aalen, Frau Post und Herr Deinhart berich­te­ten, andere Baracken auf den alten Plätzen gewesen sein. Für ein frühes Datum bald nach Kriegs­en­de spricht der noch äußerst niedri­ge Baumbe­wuchs um die Neubau­ten der Fa. Fritz Leitz. Es fällt auch auf, daß auf dem Foto keiner­lei Fahrzeu­ge zu erken­nen sind.

Oberkochen

Andere Oberko­che­ner sind aller­dings der Meinung, daß das Foto wesent­lich später entstan­den sein müsse. Diese müßten dann aller­dings in der Lage sein zu erklä­ren, weshalb der Platz des ehema­li­gen FL-Gefan­ge­nen­la­gers 1 auf diesem Foto frei von Baracken ist und wie es kommt, daß die Baracken­grund­ris­se auf dem Foto-Origi­nal ables­bar sind. Inter­es­sant wäre vor allem auch ein Hinweis darauf, wann das Gelän­de so ausge­se­hen hat, wenn nicht 1945.

Mehre­re Infor­man­ten wußten übrigens, daß in der Ecke zwischen der Firma Brunn­hu­ber und der FL-Werks­sied­lungs­be­bau­ung in späte­rer Nachkriegs­zeit ca. 4 weite­re Baracken für Heimat­ver­trie­be­ne und Zugezo­ge­ne aus Jena errich­tet wurden.

Der obere Pfeil weist auf ein Gebil­de, das mit großer Wahrschein­lich­keit im Zusam­men­hang mit dem rechten (nordöst­li­chen) der beiden Stollen­ein­gän­ge zu der angefan­ge­nen unter­ir­di­schen FL-Ferti­gungs­an­la­ge steht oder dieser gar ist. Schräg rechts oberhalb des »Napole­on­bu­ckels« steht das Haus Ilg in der Kurve der Volkmarsbergstraße.

Wer kann mit klaren Aussa­gen zum Entste­hungs­jahr dieses Fotos weiter­hel­fen und weite­re offene Fragen in diesem Bericht beant­wor­ten oder mögli­cher­wei­se schie­fe Darstel­lun­gen korrigieren?

Dietrich Bantel

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