Ehe wir heute zu unserem Bericht Nr. 31 kommen, möchten wir unseres am 6.8.1988 im Alter von 71 Jahren verstor­be­nen Ausschuß­mit­glieds, Herrn Kuno Gold, geden­ken. Wir tun dies, indem wir die Worte abdru­cken, die der Vorsit­zen­de des Heimat­ver­eins am Tage der Beiset­zung von Herrn Kuno Gold sprach:

Sehr geehr­te Familie Gold, liebe Frau Gold!
Namens des Heimat­ver­eins Oberko­chen, dessen Gründungs- und Ausschuß­mit­glied Herr Kuno Gold gewesen ist, möchte ich Ihnen mein und unser herzli­ches Beileid ausspre­chen. Herr Kuno Gold hat in Oberko­chen, lange bevor jemand auch nur entfernt an einem Heimat­ver­ein dachte, in seiner engagier­ten, gründ­li­chen und syste­ma­ti­schen Art heimat­ge­schicht­li­ches Materi­al von hohem materi­el­len und wissen­schaft­lich-dokumen­ta­ri­schem Wert zusam­men­ge­tra­gen, das er, verbun­den mit seinem immensen Wissen, dem Verein bereit­wil­ligst zur Verfü­gung gestellt hat.

Wer den wunder­schö­nen Garten in der Lenzhal­de kennt, an dem er, sowie an seinen Forschun­gen, bis zuletzt gearbei­tet hat, weiß, mit welcher Energie und Liebe, mit welcher Sorgfalt und mit welcher Gestal­tungs­kraft Kuno Gold betrieb, was er sich vorge­nom­men hatte. Oberko­chen verdankt ihm einen hervor­ra­gen­den, im Heimat­buch veröf­fent­lich­ten Abriß über die hiesi­gen altein­ge­ses­se­nen Famili­en. So verliert nicht nur der Heimat­ver­ein, sondern Oberko­chen in Kuno Gold einen Mann, der eine schmerz­li­che und nicht zu schlie­ßen­de Lücke hinter­läßt. Nicht nur deshalb sind wir traurig; wir sind vor allem traurig, weil wir einen lieben Menschen verlie­ren. Zum äußeren Zeichen unserer Verbun­den­heit legen wir einen letzten Blumen­gruß an seinem Grabe nieder.
Er ruhe in Frieden.

* * *

Zu dem in der letzten Nummer von BuG (12.8.88) veröf­fent­lich­ten Gedicht teilt uns Herr Anton Balle mit, daß 4 Strophen daraus in dem in unserem Heimat­buch erwähn­ten Heimat­buch von Steuer­in­spek­tor Franz Balle aus dem Jahre 1953 abgedruckt sind. In diesem Heimat­buch­vor­läu­fer befin­det sich über den Verfas­ser des Gedichts folgen­der Hinweis:

»Ja, schön ist dieses Heimat­bild Oberko­chen und was einmal ein evange­li­scher Pfarr­ver­we­ser Pfister anfangs der siebzi­ger Jahre (des letzten Jahrhun­derts) in seiner sinni­gen Versrei­he als Abschieds­gruß geschrie­ben hat, spricht uns auch heute noch an .…«

In der Reihe der evange­li­schen Pfarrer befin­det sich zwischen 1870 und 1875 der Vermerk »Stelle nicht besetzt«. Pfarr­ver­we­ser Pfister wirkte während dieser Zeit, die auf Pfarrer Wilhelm Fried­rich Dürr, den 40. ev. Pfarrer von Oberko­chen, folgte.

Zu unserer, ebenfalls im letzten Amtsblatt veröf­fent­lich­ten Postkar­te von Oberko­chen mit dem Eindruck »Luftkur­ort Oberko­chen« gibt es eine Reihe von Anmer­kun­gen. Die Aufnah­me ist keines­falls eine Aufnah­me von Herrn Kristen. Herr Unfried besitzt ein Origi­nal dieser Postkar­te, die in den frühen 30-er-Jahren beim Postkar­ten­ver­lag A. Weber u. Co. in Stutt­gart in Auftrag gegeben wurde. Der Eindruck »Luftkur­ort Oberko­chen« war ohne weite­re Umstän­de und minis­te­ri­el­le Geneh­mi­gung vorge­nom­men worden. Im III. Reich wurde das Führen dieses »Titels« untersagt.

Unser heuti­ger Bericht Nr. 31 wurde uns von einer BuG-Leserin aus Itali­en zugesandt. Wir veröf­fent­li­chen zu diesem Bericht ein schwarz-weiß Foto von Franz Xaver Schäfer, das sich in dem uns zur Auswer­tung überlas­se­nen Fotoal­bum mit der Unter­schrift »Oberko­chen 1945« befin­det. Von dem in Öster­reich wohnhaf­ten Schwie­ger­sohn des Herrn Schäfer (siehe unser Bericht Nr. 16. BuG vom 6.5.88), Herrn Volks­schul­di­rek­tor J. Kohler, erhiel­ten wir mit Datum vom 8.8.88 einen Brief, den wir auszugs­wei­se veröf­fent­li­chen: » … Es war wohl eine gewis­se Fügung, daß Sie sich im heuri­gen Frühjahr mit Herrn Schäfer getrof­fen haben, um von ihm über die Entwick­lung Oberko­chens einiges zu erfah­ren und festzu­hal­ten. Am 7. Juli d.J. erlitt er einen schwe­ren Schlag­an­fall und starb dann am 12. Juli im Kranken­haus Immenstadt.« Herr Xaver Schäfer wäre im nächs­ten Jahr 90 Jahre alt gewor­den. Sein Foto von 1945 ist mit Sicher­heit eine große Rarität. An den beiden umkreis­ten Stellen sind 2 Flak-Stellun­gen zu erken­nen, die aller­dings in den letzten Kriegs­jah­ren nicht mehr besetzt waren. Zwischen der Bahnli­nie und den Fabrik­ge­bäu­den der Firmen Leitz ist das Betriebs­sport­ge­län­de zu erken­nen. Rechts der Wohnbe­bau­ung im Bildvor­der­grund sind die Baracken zu erken­nen, die zur Unter­brin­gung von Kriegs­ge­fan­ge­nen dienten.

Oberkochen

Dietrich Bantel

Bericht 31

Der letzte Tag des Krieges

»Schlupf­et in Eure Mänte­le nei, Kender. Dr Krieg isch bald aus, mir ganget ins Dorf« — so ähnlich wird sie wohl gesagt haben, unsere Mama. Wir waren auch gleich dabei und los ging es. Ein Kind rechts an der Hand und eines links, Einkaufs­ta­sche und Milch­kan­ne hingen irgend­wo dazwi­schen. Sie hatte einen energi­schen Schritt und ich, damals vierein­halb, mußte nach jedem zweiten Schritt einen Hüpfer machen, um mithal­ten zu können. Mein Bruder, der erst 3 Jahre alt war, hat wohl überhaupt rennen müssen.

Es war ein schöner sonni­ger Frühlings­tag und es machte Spaß, ins Dorf mitzu­dür­fen. Doch schon nach etwa 100 Metern auf Höhe des Schul­hau­ses begann ein Pfeifen und Zischen in der Luft, daß die Mama unsere Händchen noch fester packte und auf das nächs­te Haus zueil­te. Ich blick­te zurück und sah den wie leerge­feg­ten Schul­hof und lag auch schon auf dem Boden. Später erklär­te man mir, ich sei durch den Luftdruck hinge­fal­len und ich mußte lange darüber nachden­ken was der Luftdruck sei, daß man davon hinfal­len und eine Beule bekom­men konnte.

Das Haus, dem wir zurann­ten lag etwas erhöht, rechts und links die Schau­fens­ter der Eisen­hand­lung, in der Mitte zwei Stufen, über die wir in den Eingang kamen. Diesen Eingang habe ich ganz hell in Erinne­rung, von irgend­wo kam viel Licht herein — während es späte­re Male, die ich in dieses Haus kam, dumpf und dunkel war. Es war eigent­lich das falsche Haus in das wir gekom­men waren — das einzi­ge nicht unter­kel­ler­te in der Umgebung. Auch das habe ich natür­lich erst später erfah­ren — und es gab mir ebenfalls lange zu denken, denn immer­hin gingen wir vom Hausgang aus gleich eine Treppe runter und mit uns das Ehepaar, deren halbwüch­si­ge Kinder wohl in die Luftschutz­kel­ler der Nachbar­häu­ser gegan­gen waren. Unten war ein ganz kleiner Raum, in dem wir 5 Menschen gerade so auf Klapp­stühl­chen sitzen konnten. Es war ganz schön was los an diesem Morgen und die Erwach­se­nen werden angst­voll nach draußen gelauscht haben. Ich fühlte mich jedoch gebor­gen in dem kleinen Winkel und betrach­te­te inter­es­siert die Einmach­glä­ser. Prompt bekamen wir einen einge­mach­ten Pudding angebo­ten. Das war nun etwas ganz Beson­de­res! Auch bei uns daheim gab es im Keller unter der Treppe ein Regal mit Einge­mach­tem: grüne Bohnen und saure Gurken, durch­ge­trie­be­ne Tomaten für Soße und Rote Träub­le für Kuchen — aber einge­mach­ten Pudding hatten wir nicht und ich habe auch niemals später wieder einge­mach­ten Pudding geges­sen. Vielleicht waren es der Pudding und die Überle­gun­gen dazu, die mich völlig verges­sen ließen, was draußen passierte.

Was tatsäch­lich passiert war, sollten wir bald zu sehen bekom­men. Langsam gingen wir den Weg zurück, den wir am Morgen so rasch gekom­men waren. Das Haus vor dem unseren hatte keine Vorder­wand mehr! Von der Straße aus konnte man im Oberstock Tisch und Stühle stehen sehen. Das war doch das Zimmer wo meine Freun­din Gertrud ihr Bett hatte! Bei unserem Haus waren die Fenster­schei­ben kaputt, was aber nicht so schlimm war. In weiser Voraus­sicht hatte man die Doppel­schei­ben heraus­ge­nom­men und brauch­te die nur aus dem Keller zu holen und einzu­set­zen. Ein Split­ter hatte die Tür von der Küche zum Stüble durch­schla­gen und war am Büffet abgeprallt.

Fräulein Emma, unser Logier­fräu­lein, aus Schle­si­en geflüch­tet und seit einiger Zeit im Haus, empfing uns bleich und zitternd. Sie hatte den Vormit­tag allein im Luftschutz­kel­ler zugebracht und war jetzt froh, daß sie und wir heil davon­ge­ko­men waren.

Das Loch in der Tür — für uns Kinder ein tolles Guckloch — erinner­te noch lange an diesen letzten Tag des Krieges. Laut dem Heimat­buch »Oberko­chen« war es am 24. April 1945. Erstaun­lich ist, daß ich mich an das völlig zerstör­te Haus gleich hinter dem Schul­haus nicht erinne­re (Haus Anton Gold): Das zerstör­te Haus Jakob Jooß in der Feigen­gas­se haben wir uns jedoch einige Tage danach angesehen.

Luitgard Hügle, Italien

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte