Im Heimat­buch wird auf den Seiten 170/171 beschrie­ben, wie in Oberko­chen in einem Akt der Selbst­hil­fe gegen die Arbeits­lo­sig­keit aus der wirtschaft­li­chen Notsi­tua­ti­on heraus noch vor der Macht­er­grei­fung unter großer Betei­li­gung Oberko­che­ner Arbeits­lo­ser und unter örtli­cher Baulei­tung (es gab lt. Foto eine Gruppe mit 19 Erwach­se­nen und eine Gruppe mit 27 Jugend­li­chen) in zwei Sektio­nen die Straße zum Volkmars­berg begon­nen und im Herbst 1933 vollendet wurde. Heute würde man von »Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nah­men« sprechen.

In der Zeit von Ende Juni bis Mitte Oktober 1933 lag die örtli­che Baulei­tung bei Jakob Kirch­dör­fer, wie aus dessen von ihm geführ­ten Gehalt­buch hervor­geht, das sein Enkel Jakob Edinger dem Heimat­ver­ein stiftete.

Nach diesen, sehr genau geführ­ten, in deutscher Schrift geschrie­be­nen Dokument began­nen unter Jakob Kirch­dor­fers Regie — Jakob Edinger berich­te­te, daß sein Großva­ter einen Stein­bruch beim Natur­freun­de­haus am Tierstein besaß — am 20. Juni 1933 31 Arbei­ter an der noch nicht ferti­gen Straße zu arbei­ten. In der ersten Zeit wurde noch nicht die ganze Woche durchgearbeitet.

In der ersten Woche, in der dann ganz durch­ge­ar­bei­tet wurde (6. — 12. Juli 1933) sind in der Gehalts­lis­te folgen­de 31 Arbei­ter einge­tra­gen: Karl Elmer, Gutheiß Kaspar, Minder Franz, Völker Wilhelm, Burr Karl, Holz Albert, Fischer Franz, Maier Oskar, W. Hillen­mai­er, Betzler Franz, Renner Karl, Gold Johann/Gärtner, Kopp Matth., Baumgart­ner, Kopp Johann, Haßin­ger Albert, Betzler Johann, Gold Anton, Willib. Schaupp, Wingert Josef, Sanwald Georg, Schaupp Eugen, Löffler Anton, Winter Eugen/jun., Kopp Christ., Winter Eugen/sen., Oberdor­fer Jos., Wilhelm Fischer, Kirchdörfer/jun., Tritt­ler, Mannes.

Unter der Liste der Lohnemp­fän­ger, die durch­schnitt­lich 40 Stunden in der Woche arbei­te­ten und einen durch­schnitt­li­chen Wochen­lohn von 17,83 Mark erhiel­ten, was einem ausbe­zahl­ten Stunden­lohn von 44,5 Pfennig (Brutto 50 Pfennig) entspricht, vermerk­te Jakob Kirch­dör­fer am 14. Juli 1933: Kirch­dör­fer ausbe­zahlt am 14. Juli: 458,13 Mark.

Die Zahl der wöchent­lich ausbe­zahl­ten Arbei­ter stieg im August auf 41 an, und pendel­te sich bis Septem­ber wieder auf ca. 30 ein. Ende Septem­ber verrin­ger­te sich die Zahl schlag­ar­tig auf die Hälfte. Der letzte Eintrag vom 19.10.1933 listet 16 ausbe­zahl­te Arbei­ter nament­lich auf, nämlich: Betzler Franz, Elmer Karl, Gold August, Gold Johan­nes, Gutheiß Kaspar, Fischer Paul, Holz Albert, Kopp Chris­ti­an, Lindner Eugen, Sanwald Georg, Schaupp Willi­bald, Unfried Emil, Völker Wilhelm, Winter Eugen/alt, Winter Eugen/jung, Kirch­dör­fer Jakob/jung.

Oberkochen

Vergli­chen mit der Kirch­dör­fer-Liste aus der Anfangs­zeit haben nur 10 Arbei­ter von Anfang bis zum Schluß gearbei­tet, wobei davon ausge­gan­gen werden darf, daß der starke Rückgang der Beschäf­tig­ten­zahl im Septem­ber damit zusam­men­hängt, daß gegen Ende des Straßen­baus nicht mehr für alle Beschäf­tig­ten Arbeit anfiel. In dem Gehalt­buch lag das Fragment einer Arbeits­be­schei­ni­gung, ausge­stellt auf den Namen Albert Holz. Albert Holz, geb. 29.4.1871, ist einer derje­ni­gen, die von Anfang bis Schluß am 20. Oktober 1933 dabei waren (lt. Arbeits­be­schei­ni­gung als »Erdar­bei­ter«) und offen­bar auch noch darüber hinaus in einem Arbeits­ver­hält­nis mit Kirch­dör­fer standen. Auf der Rücksei­te dieser leider nicht ganz erhal­te­nen Arbeits­be­schei­ni­gung ist als Grund für die Lösung des Arbeits­ver­hält­nis­ses am 20. April 1934 »Arbeits­man­gel« angege­ben. Das Origi­nal der Arbeits­be­schei­ni­gung, die aus unbekann­tem Grund beim Arbeit­ge­ber verblieb, hätte lt. Vordruck zur Vorla­ge bei der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung gedient. Es kann aber davon ausge­gan­gen werden, daß Albert Holz diese Beschei­ni­gung nicht benötig­te, weil er andere Arbeit gefun­den hat. In der Arbeits­be­schei­ni­gung ist die Zahl der wöchent­li­chen Arbeits­stun­den, wie vorher darge­legt, mit 40 angege­ben, der ausbe­zahl­te Wochen-Brutto-Gesamt­lohn mit RM 20,- , was wieder­um dem bereits errech­ne­ten Brutto­ar­beits­stun­den­lohn von einer halben Mark entspricht. Darüber hinaus sollte auch nicht überse­hen werden, daß Albert Holz 1933 bereits 62 Jahre alt war!

Diese Zahlen und Summen stimmen heute nachdenk­lich. Es führt kein Weg daran vorbei, daß ein Brief im Jahr 1933 12 Pfennig gekos­tet hat, das heißt, daß der Stunden­lohn 4 Brief­mar­ken um je 12 Pfennig entsprach. Auf heuti­gen Standard umgerech­net: Ein Brief kostet heute DM 1,10, das bedeu­tet, daß die ausbe­zahl­ten 47 Pfennig Stunden­lohn von damals heute einem Stunden­lohn von DM 4,40 entspre­chen. Die Frage ist: Wer leistet heute für DM 4,40 noch Schwerst­ar­beit? Zum einen muß die Not riesen­groß gewesen sein, wenn um einen so gerin­gen Lohn so hart gearbei­tet wurde. Zum anderen waren jedoch auch die sozia­len und morali­schen Voraus­set­zun­gen anders als sie es heute sind. Darüber zum Neuen Jahr zu sinnie­ren, lohnt sich.

Am vorletz­ten Arbeits­tag, dem 19. Oktober 1933, vermerkt Jakob Kirch­dor­fer unter der Abrech­nung:
»Kirch­dör­fer von der Gemein­de erhal­ten in Scheck: 2100 Mark.«
Das heißt, daß Jakob Kirchdorfer/sen. die Arbei­ten im Auftrag der Gemein­de durchführte.

In diesem Zusam­men­hang ist wohl das Gemein­de­rats­pro­to­koll vom 5. Septem­ber 1934 zu sehen. Hier steht unter § 360:

»Das Landes­ar­beits­amt Südwest­deutsch­land in Stutt­gart teilt mit Erlaß vom 31. August 1934 die Abrech­nung über die verstärk­te Förde­rung für die Notstands­maß­nah­men »Anlage von Feld‑, Wald- und Ortswe­gen« mit. Hiernach werden der verstärk­ten Förde­rung 4873 Tagwer­ke zu Grunde gelegt. Dies entspricht einem zu gewäh­ren­den Darle­hen von 2700,- RM. Diesen Betrag hat die Gemein­de bereits erhal­ten … (folgt der Tilgungsmodus)«.

Inwie­weit sich Fabri­kant Fritz Leitz (Rüstungs­be­trieb) als »Mann mit den heißen Drähten nach oben« in den frühen Dreißi­ger­jah­ren beim Land für die Förde­rung des Baus der Straße auf den Volkmars­berg verwen­det hat, kann nur vermu­tet werden. Immer­hin war er der Haupt­för­de­rer des Gedan­kens an den Bau eines neuen »Volkmars­berg­turms« im Jahr 1929 gewesen, nachdem der alte Holzturm schon 1911 einem Sturm zum Opfer gefal­len war. Mögli­cher­wei­se haben auch militär­stra­te­gi­sche Gedan­ken und Überle­gun­gen zur Nachrich­ten­über­mitt­lung die 1934 an die Gemein­de Oberko­chen ausbe­zahl­te Landes­för­de­rung in Form eines günsti­gen Darle­hens zum Bau der Volkmars­berg­stra­ße begünstigt.

Oberkochen

Das Foto, das 1933 beim Bau der Volkmars­berg­stra­ße entstand (Repro Stelzen­mül­ler), stell­te uns Anton Gutheiß, Sohn des in den Arbei­ter­lis­ten erwähn­ten Kaspar Gutheiß, zur Verfü­gung. Kaspar Gutheiß ist der Mann in der Mitte mit Schür­ze und Pickel über der Schul­ter. Anton Gutheiß, damals 6 Jahre alt, erinnert sich noch gut daran, daß er seinem Vater das Essen auf den Berg bringen mußte. Wer denkt heute schon daran, wenn er hinauf zum Berg spaziert, unter welch schwie­ri­gen Bedin­gun­gen unser Sträß­le zum Volkmars­berg vor 65 Jahren entstan­den ist.
Wer kennt die Namen der anderen 4 Männer?

Dietrich Bantel

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