Bei der Ausfüh­rung dieser Aufga­be des Eisen­bahn­baus von Aalen nach Heiden­heim standen Morlok viele Arbeits­kräf­te zur Seite. Man kann von einer vierstel­li­gen Zahl ausge­hen. Oft handel­te es sich hierbei um italie­ni­sche Gastar­bei­ter, die im Umgang mit Steinen beson­ders geübt waren. Bei so vielen Menschen tauch­ten immer wieder diszi­pli­na­ri­sche Proble­me auf. Um diese in den Griff zu bekom­men, erließ das Eisen­bahn­bau­amt »Verhal­tungs-Regeln«, die auf allen Baustel­len der Eisen­bahn in Württem­berg galten. Jeder, der dort Arbeit suchte, mußte diese Regeln anerken­nen und sich danach richten. Sie legten die Form der Bezah­lung, die Höhe der Strafen bei Übertre­tun­gen und die tägli­che Beschäf­ti­gungs­dau­er fest. Gearbei­tet wurde vom Josephs­tag bis Michae­lis (19. März bis 29. Septem­ber) täglich elfein­halb Stunden, von Michae­lis bis Gallus (29. Septem­ber bis 16. Oktober) von Sonnen­auf­gang bis Sonnen­un­ter­gang mit andert­halb Stunden Pausen und den Rest des Jahres ebenfalls von morgens bis abends, aber nur mit insge­samt einer Stunde Unter­bre­chung. Die tägli­che Arbeits­zeit orien­tier­te sich also an den jahres­zeit­li­chen Schwan­kun­gen der Tageslänge.

Die »Verhal­tungs-Regeln« befaß­ten sich aber nicht mit den Pflich­ten der Arbei­ter, sondern auch mit sozia­len Härte­fäl­len. Als wichti­ge Einrich­tung zum Schutz bzw. zur Versi­che­rung der Arbei­ter wurde eine »gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zungs- oder Kranken­kas­se« geschaf­fen. In dieser Kasse entrich­te­ten die Arbei­ter einen Kreuzer von jedem verdien­ten Gulden, also ein Sechzigs­tel ihres Lohnes. Im Krank­heits­fall standen ihnen dann in begrenz­tem finan­zi­el­len und zeitli­chen Rahmen Zahlun­gen an. Aus solchen Wurzeln entwi­ckel­te sich später die allge­mei­ne Kranken­ver­si­che­rung. Auch der Trans­fer des verdien­ten Lohnes der Arbei­ter zu ihren Famili­en nach Hause wurde organi­siert. Hierin liegt eine der Grund­la­gen des heuti­gen Sparkassenwesens.

Nach etwa einjäh­ri­ger Bauzeit kam es am 12 Septem­ber 1864 zur festli­chen Eröff­nungs­fahrt auf der neuen Eisen­bahn­li­nie. Die »Schwä­bi­sche Kronik« berich­te­te am 14. und 15. Septem­ber 1864 ausführ­lich über dieses große Ereig­nis. Der Schwer­punkt der Feier­lich­kei­ten lag in Heiden­heim. In der mit Kränzen und Fahnen geschmück­ten Stadt kündig­ten schon in aller Frühe Kanonen- und Böller­schüs­se das bevor­ste­hen­de Ereig­nis an. Bereits um 5.30 Uhr fuhr eine erste geschmück­te Lokomo­ti­ve mit verzier­ten Wagen von Heiden­heim nach Aalen, um die Festteil­neh­mer von Nördlin­gen, Bopfin­gen, Ellwan­gen, Wasser­al­fin­gen usw. abzuho­len. Als der Zug um 10.00 Uhr wieder in Heiden­heim eintraf, wurden die Ankom­men­den auf dem Bahnhof mit Musik empfan­gen, durch die Mitglie­der des Festko­mi­tees begrüßt und die Stadt geleitet.

Um 11 Uhr verließ der eigent­li­che Eröff­nungs­zug mit den Gästen von Aalen, Gmünd, Schorn­dorf, Kirch­heim u.T., Waiblin­gen, Cannstatt, Stutt­gart usw. den geschmück­ten Aalener Bahnhof. Nach der Vorbei­fahrt an dem ebenfalls schön verzier­ten Eisen­werk Erlau wurde er in Unter­ko­chen mit Böller­schüs­sen empfan­gen. Zahlrei­che Einwoh­ner hatten sich am Bahnhof versam­melt. Fabri­kant Ebbing­haus überrasch­te die Fahrgäs­te mit Rhein­wein, während in Oberko­chen Festjung­frau­en Blumen­sträu­ße und Erfri­schun­gen darbo­ten. In Königs­bronn warte­ten die geord­ne­ten Reihen etwa 200 Bergknap­pen, Vetera­nen des Schüt­zen­ver­eins u. Festjung­frau­en, während in Schnait­heim die Schul­ju­gend durch Gesang hervor­trat. Außer­dem war ein Triumph­bo­gen mit passen­der Inschrift errich­tet worden. Um 12 Uhr traf der Eröff­nungs­zug in Heiden­heim ein und wurde dort mit donnern­den Kanonen- und Böller­sal­ven begrüßt. Unter­des­sen hatte sich ein Festzug formiert. Die Schul­ju­gend mit ihren Lehrern stand an der Spitze, gefolgt vom Turnver­ein, der Jugend­wehr, dem Sänger­klub und von Festjung­frau­en, die mit den Farben der Stadt Heiden­heim geschmückt waren. Beamte, das Festko­mi­tee und die Gäste setzten den Zug fort, den die Schüt­zen­ge­sell­schaft und eine Abtei­lung der Feuer­wehr abschloß. Leider dämpf­te starker Nieder­schlag die Stimmung. So beweg­ten sich zahllo­se Regen­schir­me durch die Innen­stadt zu den Gasthäu­sern Ochsen, Traube und Schwa­nen. Um 17 Uhr formier­te sich der Festzug erneut und marschier­te — trotz Regen — auf das Schloß und durch die untere Vorstadt wieder in Richtung Bahnhof. Von dort verließ der Zug um 18.30 Uhr mit den auswär­ti­gen Besuchern unter lauten Hochru­fen der Bevöl­ke­rung Heiden­heims die Stadt, für welche damit das Eisen­bahn­zeit­al­ter angebro­chen war.

Der regel­mä­ßi­ge Verkehr auf der neuen Strecke begann am 15. Septem­ber 1864. Gleich­zei­tig bedeu­te­te dies das stille Ende der Postkut­schen­ver­bin­dung zwischen Aalen und Heidenheim.

Zwölf Jahre später gab es in Heiden­heim erneut Grund zum Feiern: Am 25. Juni 1875 wurde die Strecke Heiden­heim — Nieders­tot­zin­gen, am 15. Novem­ber 1875 Nieders­tot­zin­gen — Lange­nau und am 5. Januar 1876 Lange­nau — Ulm in Betrieb genom­men. Nach dieser Warte­zeit war die sogenann­te »Brenz­tal­klau­se« aus Artikel 37 des Staats­ver­trags zwischen Württem­berg und Bayern aus dem Jahre 1861 erfüllt.

Schon bald nach der Eröff­nung im Jahre 1864 entfal­te­te sich auf der neuen Strecke zwischen Aalen und Heiden­heim ein reger Verkehr. Als Beispiel dafür sei der Stundenpaß einer Reise von Bietig­heim über Heilbronn, Crails­heim und Aalen nach Heiden­heim ausge­wer­tet. Diese Fahrt begann in Bietig­heim am 25. Febru­ar 1868 um 12.36 Uhr und endete in Heiden­heim um 22.09 Uhr. In Oberko­chen hatte der Zug von 21.37 Uhr bis 21.38 Uhr Aufent­halt. Es wurden unter­wegs fünf verschie­de­ne Lokomo­ti­ven vorge­spannt, von denen mit der »Kirch­berg«, der »Zaber«., der »Calw« und der »Glatt« vier aus den Werks­hal­len der Maschi­nen­fa­brik Esslin­gen stamm­ten. Die mittle­re Bespann­län­ge betrug also nur 35 Kilome­ter pro Lokomo­ti­ve. Von Hall bis Crails­heim zog die »Calw«, bei deren Betrieb sich einige Proble­me ergaben. Zugmeis­ter Ludwig notier­te im Stundenpaß darüber:

Hall, halberwegs Sulzdorf, hat der Führer zweimal angehal­ten, um wieder frisch Dampf zu machen; er erklär­te mir, er bekom­me mit dieser Maschi­ne eben keinen Dampf; in Sulzdorf den Führer gefragt, ob er glaube, daß er die Fahrzeit jetzt einhal­ten könne, erwider­te er ja; ich ließ die Verspä­tung nach Crails­heim anzei­gen; zwischen Sulzdorf und Altdorf mußte ebenfalls wieder angehal­ten werden, um wieder Dampf zu machen; somit hat der Zug von Hall nach Crails­heim eine Verspä­tung von einer Stunde und 14 Minuten erhalten.

Oberkochen

Für die wirtschaft­li­che Entwick­lung Oberko­chens war der Anschluß des Ortes an das Eisen­bahn­netz von größter Bedeu­tung. Neben der in dieser Zeit aufkom­men­den Bohrer­ma­cher­indus­trie profi­tier­ten beson­ders die Oberko­che­ner Hafner von den neu erschlos­se­nen Trans­port­mög­lich­kei­ten. Die Hafner konnten nun ihre Produk­te direkt versen­den. Zuvor waren sie ausschließ­lich auf die Zwischen­händ­ler angewie­sen, welche mit Pferde- und Ochsen­kar­ren die Tonerzeug­nis­se abhol­ten. Der Bahntrans­port war billi­ger, bruch­si­che­rer und schnel­ler. Außer­dem konnte er in größe­ren Mengen erfol­gen. Um das Versen­den der Töpfer­wa­ren per Eisen­bahn zu verein­fa­chen, wurden die sogenann­ten »Haras­sen­kis­ten« entwickelt.

Aber nicht nur auf wirtschaft­li­chem Gebiet, sondern auch in vielen anderen Berei­chen kam der Eisen­bahn eine große Bedeu­tung zu; so konnte etwa mit ihrer Hilfe in Württem­berg die Versor­gungs­lü­cke bei Getrei­de geschlos­sen werden. Es ist deshalb kein Zufall, daß die letzte große Hungers­not in Württem­berg — abgese­hen von Kriegs­zei­ten — vor 1848 geherrscht hat. Auch für militä­ri­sche Zwecke leiste­te die Eisen­bahn gute Diens­te: Mit ihrer Hilfe war es möglich gewor­den, den Nachschub besser zu organi­sie­ren oder Truppen leich­ter zu verschie­ben, um auf diese Weise militä­ri­sche Präsenz zu zeigen. Die Eisen­bahn wurde auch zum Vorrei­ter einer Zeitver­ein­heit­li­chung in den verschie­de­nen deutschen Ländern.

Ein größe­rer Sprung in der Geschich­te führt nun direkt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch 1946 lag das Bahntrans­port­we­sen fast gänzlich darnie­der. Vom Oktober bis zum Dezem­ber wurden in Oberko­chen 6100 Fahrkar­ten verkauft, im Jahre 1950 hatte sich die Zahl bereits über 80.000 erhöht, 1960 erreich­te sie mit fast 162.000 einen Höchst­stand. Nach diesem Spitzen­wert sank sie wieder konti­nu­ier­lich ab — und damit wohl auch die Zahl der Fahrgäs­te. 1970 betrug die Anzahl der verkauf­ten Fahrkar­ten ca. 131.000, 1980 nur noch 77.000, 1985 war sie auf 54.000 abgefal­len. Ein wesent­li­cher Grund für diese Entwick­lung dürfte die Konkur­renz des Autos sein, die gerade auch im Nahver­kehr die Bundes­bahn unter starken Konkur­renz­druck setzte. Ende 1989 verkehr­ten in Oberko­chen an den Werkta­gen jeweils 39 Perso­nen­zü­ge, die am Ort auch alle halten. Dazu kamen noch fünf Güterzüge.

Wichti­ge Quellen:
Schwä­bi­sche Kronik, Jahrgän­ge 1863 bis 1864
Regie­rungs­blatt für das König­reich Württemberg,1858 bis 1861
Haupt­staats­ar­chiv Stutt­gart, LN F 57, E 146–150, E 221–222
Staats­ar­chiv Ludwigs­burg: Oberamts­ak­ten, E 791, K 411–413
Bundes­bahn­di­rek­ti­on Stutt­gart: Bahnhofs­sta­tis­tik u.a.

Dr. Christ­hard Schrenk

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