Für Ende Novem­ber (20.11.97) haben wir einen Vortrag geplant, den der bekann­te »Eisen­bahn­spe­zia­list« Dr. Kurt Seidel, Schwä­bisch Gmünd, halten wird. Den Besit­zern des Oberko­che­ner Heimat­buchs ist er als Verfas­ser des Eisen­bahn­ar­ti­kels bekannt. (Seiten 407 — 415)

Anläß­lich des 125. Geburts­tags des Anschlus­ses von Oberko­chen an die bestehen­de Bahnli­nie Stuttgart/Aalen im Jahr 1864 hielt Dr. Christ­hard Schrenk, Archi­var bei der Stadt Heilbronn, 1989 einen ausführ­li­chen Vortrag zu diesem Thema.

Inzwi­schen sind aus diesen 125 Jahren schon 133 Jahre gewor­den. Als Vorbe­rei­tung zu dem Vortrag von Herrn Dr. Seidel haben wir von Herrn Dr. Schrenk eine knappe Zusam­men­fas­sung seines Vortrags vorlie­gen, die wir in 2 Teilen abdru­cken werden.

In den Räumen 4, 5 und 6 des Oberko­che­ner Heimat­mu­se­ums, das nach 4 Jahren Arbeit während der Stadt­fest­wo­che am 23.6.1997 eröff­net wird, werden die Zusam­men­hän­ge zwischen dem langsam einset­zen­den Nieder­gang des Köhlerei­we­sens ab dem Anschluß Oberko­chens an die Eisen­bahn im Jahr 1864 — Holzkoh­le war nun nicht mehr gefragt, weil per Bahn der effek­ti­ve­re Energie­trä­ger »Stein­koh­le« abtrans­por­tiert werden konnte — und der Frühin­dus­tria­li­sie­rung, die mit Jakob Chris­toph Bäuerle, der 1860 das Bohrer­ma­cher­hand­werk in Oberko­chen einführ­te, aus dem sich bekannt­lich die heute weltweit bekann­te Oberko­che­ner Holzbe­ar­bei­tungs­werk­zeug­in­dus­trie entwi­ckel­te, transparent.

Oberko­chen mit seinem bis zur Mitte des 19. Jahrhun­derts rein landwirt­schaft­li­chen Charak­ter entwi­ckel­te sich zu einem landwirtschaftlich/industriellen Misch­dorf. Es gab neue attrak­ti­ve Arbeits­plät­ze — die Bevöl­ke­rungs­kur­ve begann merklich zu steigen.

Der Anschluß Oberko­chens an die Eisen­bahn hatte entschie­den nachhal­ti­ge­re Folgen für Oberko­chen als sein Anschluß an die Autobahn, der in seinen Auswir­kun­gen auch nicht zu unter­schät­zen ist, sich aber haupt­säch­lich als Konkur­renz zur Bahn darstellt.

Lassen wir uns durch die Ausfüh­run­gen von Dr. Christ­hard Schrenk, einem Sohn unserer Stadt, in die Geburts­stun­de der Eisen­bahn in Oberko­chen zurückversetzen.

Dietrich Bantel

Oberkochen

133 Jahre Eisen­bahn­ver­bin­dung Aalen Heiden­heim
Dr. Christ­hard Schrenk (Heilbronn)
Wie die Eisen­bahn nach Oberko­chen kam (Teil 1)

Im Jahre 1825 verkehr­te in England die erste Dampf­ei­sen­bahn der Welt von Stock­ton nach Darling­ton. Genau ein Jahrzehnt später 1835, konnte auch in Deutsch­land das neue Verkehrs­mit­tel bestaunt werden, als die berühm­te Adler-Lokomo­ti­ve von Nürnberg nach Fürth dampf­te. Das König­reich Württem­berg sah den ersten Eisen­bahn­zug ein weite­res Jahrzehnt später, 1845, von Cannstatt nach Ludwigs­burg fahren. Anfang Mai 1858 debat­tier­te die württem­ber­gi­sche Stände­ver­samm­lung über den weite­ren Aufbau des Eisen­bahn­sys­tems im Lande, das zu diesem Zeitpunkt im wesent­li­chen aus der Strecke Heilbronn — Stutt­gart — Ulm — Fried­richs­ha­fen bestand. Aus allen Teilen des Landes waren Bittschrei­ben einge­trof­fen. Darin legten die jewei­li­gen Städte und Gemein­den klar, warum der gewünsch­te eigene Eisen­bahn­an­schluß von höchs­ter Priori­tät sei, jeden­falls wesent­lich wichti­ger als alle anderen denkba­ren Linien. In der entspre­chen­den »Unter­tä­ni­gen Bitte Heiden­heim um alsbal­di­ge Erbau­ung einer Eisen­bahn von Aalen hierher (Heiden­heim) vom 21. Mai 1858« *) heißt es:

»Nur haben wir zu unserem Bedau­ern daraus (aus der könig­li­chen Vorla­ge) ersehen, daß der Bau der Linie von Aalen an die Ostbahn (Ulm) und spezi­ell hierher nach Heiden­heim, einer späte­ren Finan­zie­rungs­pe­ri­ode vorbe­hal­ten bleiben solle, ohne uns eine Ursache hiezu denken, oder diese Bestim­mung erklä­ren zu können. Denn daß die Gewerbs­t­hä­tig­keit des Kocher- und Brenz­ta­les eine weit gewich­ti­ge­re und ansehn­li­che­re ist, als die der anderen in der nächs­ten Zeit zum Bau vorge­se­he­nen Eisen­bahn­li­ni­en, davon hat sich die hohe Kammer wohl zu Genüge überzeugt. (. . ) Wenn es uns darum schmerz­lich berührt, die Priori­tät des Baues (auch dieser Bahn in der könig­li­chen Vorla­ge zu vermis­sen, so wird man keine Kirch­tur­min­ter­es­sen darin erbli­cken, wenn wir auf diese Motive (sic.) und Thatsa­chen gestützt, uns die gehor­sa­me Bitte an die hochan­sehn­li­che Kammer erlau­ben, ausspre­chen zu wollen, daß (die) könig­li­che Regie­rung dem frühe­ren Beschlus­se gemäß den Bau einer Bahn von Aalen hierher vorzug­wei­se auch in nächs­te Zeit in Vollzug bringen möge.«

Im Anschluß an diese Passa­ge strich die Stadt in der Einga­be ihre wirtschaft­li­che Kraft und ihr daraus resul­tie­ren­des Inter­es­se — ja Recht — an einer Eisen­bahn­ver­bin­dung heraus.

Am 17. Novem­ber 1858 wurde der Bau der neuen Strecke von Aalen über Heiden­heim nach Ulm zwar grund­sätz­lich beschlos­sen, Finanz­mit­tel stell­te der König aber nicht bereit. Zur sofor­ti­gen Ausfüh­rung gelang­ten dagegen die Linien Heilbronn — Schwä­bisch Hall, Reutlin­gen — Tübin­gen — Rotten­burg und Cannstatt — Gmünd — Aalen — Wasser­al­fin­gen. Der erste Zug fuhr 1861 in Aalen ein. Für die Verzö­ge­rung des Baus der Strecke von Aalen nach Ulm war hohe Politik zwischen den König­rei­chen Württem­berg und Bayern verant­wort­lich. Dabei ging es um zwei verschie­de­ne Problem­kom­ple­xe: erstens um die von Württem­berg gewünsch­te Anbin­dung der Linie Stutt­gart — Aalen in Richtung Nördlin­gen an das Bayeri­sche Schie­nen­netz und zweitens um eine schon bestehen­de Eisen­bahn­ver­bin­dung von Nordbay­ern an den Boden­see. Diese Strecke führte über Nördlin­gen, Augsburg und Kempten nach Lindau. Im Vergleich dazu wäre der Weg von Nördlin­gen über württem­ber­gi­sches Gebiet, nämlich über Aalen und Ulm nach Fried­richs­ha­fen, 45 Kilome­ter kürzer gewesen. Die Bayern fürch­te­ten also, daß bei der Existenz einer direk­ten Verbin­dung von Nördlin­gen über Aalen nach Ulm der gesam­te Verkehr vom Norden ihres Landes in Richtung Boden­see auf württem­ber­gi­sches Gebiet auswei­chen würde. Deshalb ließ Bayern zwar die Strecke Aalen — Nördlin­gen per Staats­ver­trag zu, blockier­te aber gleich­zei­tig den Bau der Linie Heiden­heim — Ulm. Damit war die Verbin­dung Aalen — Heiden­heim zu einer Sackgas­se und deshalb aus gesamt­würt­tem­ber­gi­scher Sicht zweit­ran­gig geworden.

Am 21. Febru­ar 1861 kam es zu einem Staats­ver­trag über die Anbin­dung der Strecke Stutt­gart — Aalen bei Nördlin­gen an das bayeri­sche Eisen­bahn­netz **). Bei den entspre­chen­den Verhand­lun­gen mußten viele Detail­pro­ble­me gelöst werden. Zuerst stell­te sich die Frage der Grenz­sta­ti­on: Als allei­ni­ger Wechsel­punkt wurde Nördlin­gen bestimmt (Art. 7). Damit ergab sich das Problem, daß die Württem­ber­ger ein kleines Stück unkon­trol­liert durch Bayern (Art. 8) führen, weil Nördlin­gen nicht direkt an der Grenze liegt. Zum Ausgleich mußten die Württem­ber­ger für den Unter­halt dieses Strecken­ab­schnitts aufkom­men (Art. 22), während Bayern die Landes­ho­heit, die Justiz- und die Polizei­ge­walt darüber behielt (Art. 9). Der Staats­ver­trag vom Febru­ar 1861 enthielt als Artikel Nr. 37 jene Klausel, die den Weiter­bau der Eisen­bahn­li­nie von Heiden­heim nach Ulm für zwölf Jahre verzögerte:

»Die Württem­ber­gi­sche Regie­rung verpflich­tet sich, inner­halb eines Zeitrau­mes von zwölf Jahren vom Tage der Eröff­nung der Cannstatt-Nördlin­ger Eisen­bahn an keine Schie­nen­ver­bin­dung zwischen dieser Bahnli­nie und der Cannstatt-Ulmer Eisen­bahn herzu­stel­len oder herstel­len zu lassen, durch welche die Württem­ber­gi­sche Bahnli­nie von Nördlin­gen bis Fried­richs­ha­fen kürzer würde, als die Bayeri­sche Linie von Nördlin­gen bis Lindau.«

Heiden­heim setzte jedoch seine Bemühun­gen fort, und so konnte die Stadt ein Jahr später einen wichti­gen Teilerfolg verbu­chen. Im Febru­ar 1862 wurde ein weite­res Eisen­bahn­ge­setz verab­schie­det, das wenigs­tens den Bau der Strecke von Aalen nach Heiden­heim auf Staats­kos­ten befahl. Das könig­li­che Eisen­bahn­bau­amt legte darauf­hin 1863 den gewünsch­ten Verlauf der Eisen­bahn zwischen Aalen und Heiden­heim fest und zeich­ne­te ihn in einen Katas­ter­plan ein. Der Oberko­che­ner Gemein­de­rat stimm­te im August 1863 diesen Planun­gen zu. In diesem Gremi­um saßen damals u. a. Träger der Namen Wingert, Gold, Weber, Sapper, Joos usw.

Paral­lel dazu wurden die Grund­stücks­ver­hand­lun­gen geführt. Die bezahl­ten Preise lagen recht hoch. Bei den Verkäu­fen tauchen auch wieder zahlrei­che bekann­te Oberko­che­ner Namen auf, wie z.B. Feil, Grupp, Gutknecht, Uhl, Wingert, Gold, Balle und Sapper.

Bereits im Mai 1863 wurden per Zeitungs­an­zei­ge in der »Schwä­bi­schen Kronik« die Bauar­bei­ten für die neuen Bahnho­fe an der Strecke verge­ben. Im Verlauf des Eisen­bahn­baus kam es in Oberko­chen zu zwei spekta­ku­lä­ren Aktio­nen. Zum einen mußte der sagen­um­wo­be­ne Engelstein gesprengt werden. Zum anderen fiel dem Vorha­ben ein Haus im Ortskern zum Opfer. Da der neue Bahnhof außer­halb des damali­gen Dorfes lag, mußte er durch eine neue Straße an den Ort angebun­den werden.

Die »Bahnhof­stra­ße« wurde auf dem kürzes­ten Weg, also im rechten Winkel, auf die damali­ge Langgas­se (Heiden­hei­mer Straße) zugeführt. An der geplan­ten Einmün­dung stand das Haus der Witwe Vikto­ria Staud und des Krämers und Gassen­wirts Franz Staud. Die könig­li­che Eisen­bahn­kom­mis­si­on erwarb am 30. Oktober 1863 dieses Anwesen. Familie Staud durfte das Materi­al aus dem Abbruch ihres alten Hauses für den Bau eines neuen verwen­den. So entstand in den Jahren 1864/65 ein Gebäu­de­kom­plex aus Haus, Scheu­er und Stall, in dem später die »Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on« einge­rich­tet wurde.

Die techni­sche Leitung des Eisen­bahn­baus oblag Georg Morlok, einem vielsei­ti­gen Archi­tek­ten, Baumeis­ter u. Eisen­bahn­kon­struk­teur, der von 1815 bis 1896 lebte. Er baute 1854 das Wasser­al­fin­ger Hütten­werk aus, errich­te­te katho­li­sche Kirchen, z. B. in Aalen, Lauch­heim und Dalkin­gen, leite­te den Umbau des Stutt­gar­ter und des Ulmer Bahnhofs, baute die alte Stutt­gar­ter Markt­hal­le und konstru­ier­te 1874 bis 1876 die erste deutsche Zahnrad­bahn, die das Hütten­werk in Wasser­al­fin­gen mit den Erzla­ger­stät­ten Braunen­berg verband. Bereits 1871 zog er als Herren­ber­ges Abgeord­ne­ter in den Württem­ber­gi­schen Landtag ein.

Oberkochen

*) Haupt­staats­ar­chiv Stutt­gart, LN F57 la/a
**) Regie­rungs-Blatt für das König­reich Württem­berg vom 21. Febru­ar 1861, S. 165 — 176

Dr. Christ­hard Schrenk

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte