Die folgen­de Begeben­heit, die sich vor über 250 Jahren in Oberko­chen zutrug, genau am 22. April des Jahres 1746, also wenige Jahre, bevor das sogenann­te »Aalener Proto­koll« (1749) die kirch­li­chen und weltli­chen Angele­gen­hei­ten in Oberko­chen zu einer Zeit regel­te da es hier 2 Bürger­meis­ter gab, nämlich einen ellwan­gisch fürstpröpst­lich katho­li­schen und einen königs­bron­nisch württem­ber­gisch evange­li­schen, habe ich im evange­li­schen Todten-Buch entdeckt. (1)

Wenn diese Geschich­te nicht so traurig wäre, wäre sie ziemlich lustig — man muß sich die ganzen Umstän­de und Beschrei­bun­gen illus­triert vorstel­len, oder als Fernsehreportage.

Damit nicht der Eindruck entsteht, daß im alten Oberko­chen nur die Katho­li­ken den Protes­tan­ten Knüppel zwischen die Beine gewor­fen haben, sei im Anschluß an die Begeben­heit (1) eine 2. Begeben­heit berich­tet, die Herr Schrenk vor einiger Zeit beim Studi­um der Bücher des evange­li­schen Kirchen­kon­vents gefun­den hat, und zwar auf den Spuren des Namens »Wieden­hö­fer«. Begeben­heit 2 ereig­ne­te sich am 9. März des Jahres 1855 — hier wurden evange­li­sche Jugend­li­che gegen den katho­li­schen Pfarrer ausfällig.

Da die Geschich­ten »verjährt« sind, ist nicht damit zu rechnen, daß sie »bös Blut« hervor­ru­fen — im Gegen­teil: Sie sollen zeigen, daß wir heute, 250 bzw. 150 Jahre danach, doch ein gutes Stuck dazuge­lernt haben. Dennoch gilt, was die alten Römer sagten: »SEMPER ALIQUID HAERET«, was da heißt: »Es bleibt immer etwas hängen«.

Lesen Sie die beiden Begeben­hei­ten »SINE IRA ET STUDIO«, das heißt »ohne Zorn und Ereife­rung«, und ordnen Sie sich fröhli­chen Sinnes in Ihre Ebene ein.

Dietrich Bantel

Oberkochen

Begeben­heit (1)
Im Ehe- und »Todten-Buch« der evange­li­schen Kirchen­ge­mein­de ist unter dem Datum vom 22. April 1746 vermerkt, daß eine Frau begra­ben wurde, die im »Bettel­hauß« (Armen­haus — Abbil­dung im Heimat­buch Seite 75) gelebt hatte, und die »in 36jähriger Ehe / mit ihrem Mann / 13 Kinder erzeu­get, unter welchen von 2 Töchtern sie 19 Enkel erleb­te, war im Alter elend und starb am hitzi­gen Fieber, alt 62 Jahr, 5 Monate, 21 Tag.«

Der Pfarrer fügte im »Todten-Buech«, das weit ins 17. Jahrhun­dert zurück­reicht, einen beson­ders ausführ­li­chen Kommen­tar bei, der die näheren Umstän­de der Bestat­tung, die einem konfes­sio­nel­len Klein­krieg gleich­kommt, beschreibt.

Hier der Kommen­tar in wörtli­cher Übertra­gung aus einer nicht leicht zu lesen­den deutschen Handschrift. Wo nötig, sind Erläu­te­run­gen angefügt:

»Wegen dieser Leich setzte es mit den Katho­li­ken Scheuß­lich­kei­ten, und obgleich Pastor (der evange­li­sche) sich vil Mühe gegeben, mußte er doch auß Hoehrig­keit des Oberamts (das Wort »Hoehrig­keit« ist unleser­lich — gemeint ist jeden­falls eine unumgäng­li­che Anord­nung) wiewohl prote­stan­do, nachge­ben. Dan (Denn) das Weib erkrank­te im gemein­schaftl. Bettel­hauß, wo sie ihrer Tochter abgewar­tet und starb daselbst. Nun wolte sie Pastor mit Gesang und Klang vergra­ben, Gegen­teil (also die Katho­li­ken) es aber nicht gestat­te­te. Wie sie vorga­ben, Ellwang war allein im Bettel­hauß und auf der Gemein­de grunds hier. (d. h.: die Katho­li­ken bestan­den darauf, daß das Armen­haus auf Grund und Boden der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de steht, und der Abtrans­port der Leiche nicht katho­li­sches Gelän­de, also den Mühlbu­ckel herauf, erfol­gen könne). Was wir aber (die Evange­li­schen) vernei­nen. Und weil dies das 1ste Ellwan­ger Todte im Bettel­hauß seit der alemer (Aalener) Confe­renz ist (gemeint ist eine Vorbe­ra­tung zum Aalener Proto­koll von 1749), so suchten wir Württemb. in gleiches Terri­to­ri­al- und parochi­al­recht (kirchen­ge­meind­li­ches Recht) zu setzen, wurden aber vom Oberamt verla­ßen. (Offen­bar hatten dort die Katho­li­ken das Sagen).

Doch damit wir nicht alles verge­ben, so stell­te der Pastor die Leiche so an: Die Träger brach­ten die Bar vom Bettel­hauß bis über den Steg, dann folgte ihnen der Leich­pro­zeß und giengen der unter Mühle (Schee­rer­müh­le) zu, wo nure Württemb. Boden. Dort warte­te das Gesang, und das Geläut fing an. Die Leich aber ging durch des Hieschw. scheu­ern (durch die Hirsch­wirt-Scheu­er) in Kirch­hof, obgleich nun die Kathol. alles im gewehe hatten (d. h.: zähne­knir­schend zusehen mußten), traue­ten sie sich nicht, uns auf dies Art anzugrei­fen, und ging alles sicher ab.«

Begeben­heit (2), Gesche­hen d. 9. März 1855
»Sodann wurden ferner vor, den Kirchen­con­vent vorge­for­dert Johann Georg Widen­hö­fer, ledig, 27 Jahre alt und Johann Georg Beiswan­ger, ledig, 28 Jahre alt, welche beide von dem katho­li­schen Pfarrer Desal­ler bei dem evange­li­schen Pfarr­am­te verklagt worden sind, daß sie ihn am 18. Febru­ar nachts um 10 Uhr, als er aus dem Gasthaus zum Ochsen nach Hause gegan­gen sei, unten an der Haustü­re belei­digt haben, indem sie, während er an ihnen, diese in sehr unanstän­di­ger Stellung dagestan­den seien, ihm die Worte zugeru­fen haben: »Da geht der katho­li­sche Pfaff jetzt auch nach Haus, der sollte schon lange daheim bei seiner (Köchin) …-« (Klammer und Punkte im Original!)

Pfr. Desal­ler kehrte auf diese Worte hin sogleich um und eilte den beiden Burschen, die sodann in den Ochsen hinauf­gin­gen, nach und stell­te sie noch unter der Stuben­tü­re über ihre ihm zugefüg­te grobe Belei­di­gung zur Rede, worauf sie diesel­be ihm ableug­ne­ten und angaben, sie haben gesagt »Da fährt auch noch so spät ein Wagen nach Königsbronn«.

Die beiden ledigen Burschen wurden nun vorge­for­dert und nachdem ihnen die vorste­hen­de Angabe vorge­le­sen worden war, zur Äußerung darüber aufge­for­dert. Sie gaben an, daß das meiste an der gegen sie erhobe­nen Ankla­ge unwahr sei. Sie seien nicht in einer unanstän­di­gen Stellung dagestan­den, auch ziemlich weit von Hrn. Pfarrer entfernt, als dersel­be an ihnen vorüber­ge­gan­gen sei. Da habe dann aller­dings einer von ihnen, Widen­hö­fer, gerufen: »jetzt geht ja der Pfaff erst nach Hause, jetzt hat’s nichts zu sagen«. Den Beina­men »katho­lisch« habe er nicht gebraucht, ebenso­we­nig die weite­ren Worte, welche nach Hrn. Pfarrer Desal­lers Angaben ihm nachge­ru­fen worden sein sollen. Sie berufen sich auf einen Dritten, der auch bei ihnen gestan­den sei als Zeugen, nämlich den katho­li­schen Hafner­ge­sel­len Chris­ti­an Schmid aus Wißgol­din­gen, der hier in Arbeit steht. Dersel­be wird vorge­ru­fen und aufge­for­dert, den Hergang an jenem Sonntag­abend der Wahrheit gemäß zu erzäh­len. Dersel­be gibt an, Pfarrer Desal­ler sei an ihnen vorbei­ge­gan­gen und habe der Widen­hö­fer gesagt: »Wenn der Pfaff erst heimgeht, dann ist’s bei uns auch noch Zeit«. Auf diese Worte hin sei Hr. Pfarrer Desal­ler zurück­ge­kom­men und habe sie alle drei zur Rede gestellt. Befragt, ob Widen­hö­fer dem Hrn. Pfarrer geant­wor­tet habe, er habe von einem Wagen gespro­chen, der noch so spät nach Königs­bronn fahre, weiß der Zeuge nichts anzuge­ben; er will dies nicht gehört haben.

Die Angeklag­ten nebst dem Zeugen Schmid haben nun abzutre­ten und der Kirchen­kon­vent beratet sich über die zu erken­nen­de Strafe, welcher nur der Angeklag­te Widen­ho­fer schul­dig befun­den wird. Der Kirchen-Convent beschließt, außer einem ernsten Verwei­se für sein ungebühr­li­ches Beneh­men gegen den Hrn. Pfarrer Desal­ler, den Widen­hö­fer in eine Geldstra­fe von 1 Gulden zu verfäl­len. Demsel­ben wird dieses unter der gesetz­li­chen Rekurs­be­leh­rung eröff­net und die Burschen unter ernstem Verwei­se entlassen.

Der Betrof­fe­ne verzich­tet auf den Rekurs! t. Widen­ho­fer
Lehrer Stingel
Der Kirchen-Convent
Pfarrer Dürr, Schult­heiß Wingert, Meck, Sapper, Wirth

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte