Die Medien haben ausführ­lich berich­tet: Diese Woche, am 4. Febru­ar, war der 100. Geburts­tag des 1963 — 1966 amtie­ren­den 2. Nachkriegs­bun­des­kanz­lers, Profes­sor Ludwig Erhard, der gerne als »Maßhal­te-Kanzler«, als Vater der »Sozia­len Markt­wirt­schaft« und dadurch »Initia­tor des Wirtschafts­wun­ders« bezeich­net wird — wenn heute auch schon Stimmen laut werden, die diese Marken­zei­chen gleich­ran­gig mit den allge­mei­nen Tenden­zen dieser Zeit sehen, und meinen, daß alles ohne Erhard genau gleich gelau­fen wäre.…

Hier im Rahmen unserer heimat­kund­li­chen Bericht­erstat­tun­gen, kann es aber weder um Politik noch viel weniger um deren histo­ri­schen Stellen­wert gehen. Die Frage, die sich uns stell­te, ist vielmehr die: Was hat Ludwig Erhard mit Oberko­chen zu tun?

Denje­ni­gen, die 1965 schon in Oberko­chen gelebt haben, wird bei dieser Frage blitz­ar­tig durch den Kopf schie­ßen: Ja — da war doch was!

Am Diens­tag, 14. Septem­ber 1965 statte­te der Bundes­kanz­ler Oberko­chen anläß­lich einer Wahlkampf­rei­se einen Kurzbe­such ab: 5 Tage später, am Sonntag, 19. Septem­ber, waren Bundes­tags­wah­len, an der die Wahlbe­tei­li­gung in Oberko­chen übrigens 91,6 % betrug.

Der Kanzler traf mit einem Sonder­zug von Aalen kommend und von »Offizi­el­len« beglei­tet, mit gut einer halben Stunde Verspä­tung auf dem Oberko­che­ner Bahnhof ein — natür­lich mit der obliga­to­ri­schen Zigarre.

Unser Foto zeigt ihn am Ende seiner Ausfüh­run­gen, den Oberko­che­nern zuwin­kend.
Von links: CDU-Vorstand und Mitglied im Gemein­de­rat Julius Metzger, Bundes­kanz­ler Prof. Ludwig Erhard, weiter nach rechts 2 Begleit­per­so­nen (wer kann mit Namen weiter­hel­fen?), und rechts außen Dr. Manfred Abelein, MdB.

Oberkochen

Weil der Bundes­tags­wahl­kampf zu diesem Zeitpunkt bereits in seiner heißen Endpha­se lief, gibt es im redak­tio­nel­len Teil des Amtsblatts »Bürger und Gemein­de« weder vor, noch inter­es­san­ter­wei­se nach dem Ereig­nis einen Bericht oder einen Hinweis auf den Besuch des Kanzlers. Es gibt ledig­lich eine Annon­ce der CDU-Ortsgrup­pe Oberko­chen in BuG vom 10.9.65 auf Seite 332 mit folgen­dem Text:

Bundes­kanz­ler Profes­sor Ludwig Erhard besucht Oberko­chen
am Diens­tag, dem 14. Septem­ber 1965, vormit­tags 10.45 Uhr
Kundge­bung auf dem Bahnhofs­platz.
Eine Jugend­ka­pel­le sorgt für die musika­li­sche Umrah­mung.
Die gesam­te Bürger­schaft ist zum Besuch freund­lich eingeladen.

Das heißt: Für Bürger­meis­ter Bosch und die Stadt­ver­wal­tung fand dieser Kanzler­be­such offizi­ell nicht statt. Bürger­meis­ter Bosch übte sich in vorneh­mer Zurück­hal­tung und begrüß­te den hohen Gast nicht in Oberko­chen, weil sein Besuch nicht der Stadt, sondern einer politi­schen Partei galt.

Der Besuch war auch schnell genug vorüber: Um 11.25 Uhr traf der Zug ein, um 11.29 betrat der Kanzler das Redner­pult, um 12.04, also nach 25 Minuten, verab­schie­de­te er sich, bestieg unmit­tel­bar anschlie­ßend wieder den Sonder­zug und verließ Oberko­chen Richtung Heidenheim.

Die Aalener Volks­zei­tung vermerkt ledig­lich den Besuch des Kanzlers in Aalen (mit einem Bild von Photo Kristen).

Ob »schul­frei« war oder nur Schüler und Lehrer die sowie­so frei hatten, dabei waren, ließ sich nicht mehr eindeu­tig feststel­len: Der Kalen­der eines ehema­li­gen Schul­lei­ters weist an diesem Tag keine Eintra­gung, sozusa­gen nur jungfräu­li­ches Weiß auf.

Am Schluß dieses Kurzbe­richts sei auf ein heimat­kund­li­ches Unikum hinge­wie­sen: Im Hinter­grund des Bundes­kanz­lers ist ein Holzge­bäu­de zu erken­nen. In ihm befand sich die zum Bahnhof gehören­de erste und letzte öffent­li­che Toilet­te Oberko­chens, die man im Dorf stets das »Scheiß­häus­le« genannt hat. Dieses altehr­wür­di­ge Gebäu­de wurde — man möge mich korri­gie­ren — auch nach Erinne­rung von Altbahn­hofs­vor­stand Anton Feil — im Zuge der aus heuti­ger Sicht eher bedau­er­li­chen »Moder­ni­sie­rung« des Bahnhofs, sprich »Verklei­dung mit Eternit­plat­ten« im Jahre 1969 abgebro­chen, unter anderem wegen »Mißbrauch«.

Der Wunsch nach einem öffent­li­chen Nachfol­ger geistert seither hartnä­ckig durch fast alle Bürgerversammlungen.

Dietrich Bantel

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