»Zu den wenigen Bühnen, welche in der Lage sind, einen ausge­zeich­ne­ten Tenor den ihrigen nennen zu können, gehört auch die unsere. Herr Kammer­sän­ger Anton B a 1 1u f f zählt zu den hervor­ra­gen­de­ren Vertre­tern von Helden­te­nor­par­tien«, so sagt ein Bericht des »Kgl. Hofthea­ters Stutt­gart zur Spiel­zeit 1890÷91« — und der, von dem die Rede ist, Anton Micha­el Bruno Balluff (so sein vollstän­di­ger Taufna­me), erblick­te vor 150 Jahren am 6. Oktober 1846 im Oberko­che­ner katho­li­schen Schul­haus das Licht der Welt (dort, wo in diesen Tagen neben der katho­li­schen Kirche der Nachfol­ger­bau von Schul­haus und »Altem Schwes­tern­haus« einge­weiht wird).

Oberkochen

Vor 150 Jahren
Im Jahre 1806 hatte sich die seit Urzei­ten das Dorf durch­schnei­den­de und zuletzt sogar durch eine Zollsta­ti­on am Katzen­bach markier­te Herrschafts­gren­ze als Folge des Reichs­de­pu­ta­ti­ons­haupt­schlus­ses sozusa­gen in Wohlge­fal­len aufge­löst. Deshalb zeigte sich vor 150 Jahren Oberko­chen unter Schult­heiß Sigmund Jonathan Maier, der gleich­zei­tig Chirurg war, zwar als kommu­na­le Einheit, Pfarrei­en und Schulen aber existier­ten nach wie vor doppelt (nur die Vorna­men der beiden Geist­li­chen waren zufäl­li­ger­wei­se gleich­lau­tend). Katho­li­scher­seits amtier­te Pfarrer Carl Wilhelm Desal­ler, der später sogar Abgeord­ne­ter der Landes­ver­samm­lung in Stutt­gart war, und in der Wohnung über der evange­li­schen Kirche amtier­te Pfarrer Carl Wilhelm Valet. Der Geist­lich­keit oblag jeweils auch die Aufsicht über die Schule und ihre Lehrer, dem evange­li­schen Schul­meis­ter Becher und seinem katho­li­schen Amtskol­le­gen Schul­meis­ter Balluff.

Letzte­rer war im Jahr 1827 in Oberko­chen aufge­zo­gen und hatte die Dewan­ger Schult­hei­ßen­toch­ter Maria Elisa­be­tha Holl als seine Ehefrau ins Oberko­che­ner Schul­haus geholt. Dieses, nach Ansicht eines Zeitge­nos­sen zwar »ein statt­li­cher Bau«, bot dennoch Schule und Schul­meis­ters­fa­mi­lie zusam­men kaum Platz, denn schon 1834 waren fünf Kinder da, denen noch weite­re sechs folgten.

Schul­meis­ter Balluff selbst wird als guter Lehrer geschil­dert, der sehr musika­lisch war und »mit Eifer und Liebe die Gesangs­kunst pfleg­te«, was ihn auch dazu bewog, im Jahr 1827 den katho­li­schen Kirchen­chor zu gründen (über ihn und das Schul­haus unter­rich­ten die DHV-Berich­te 158–160 und der Bericht 264).

Anton Balluff war das jüngs­te der 11 Lehrers­kin­der, von denen 9 am Leben blieben: Franz Xaver (später Buchbin­der in Heilbronn und Großva­ter Otto Balluffs, des ersten Aalener Oberbür­ger­meis­ters nach dem Zweiten Weltkrieg), Karl und Johann Baptist, die nach Ameri­ka auswan­der­ten, Leopold (später Flasch­ner­meis­ter in Stutt­gart), Joseph, der beim Kgl. Hütten­werk Wasser­al­fi­nen arbei­te­te. Obwohl die Famili­en­ge­schich­te im Jahr 1930 über die Töchter der Familie, Katha­ri­na, Maria There­sia, Karoli­ne Helena, »nichts zu vermel­den« weiß, konnten deren Spuren in Oberko­chen ausge­macht werden. Von Elisa­beth Amalie geht die Linie Schaupp-Gold-Hauber aus, und Karoli­ne Helena lebte bis 1917 in Oberkochen.

Oberkochen

Vom Lehramts­kan­di­da­ten zum Helden­te­nor
Lang und mühsam war der Weg, den Anton Balluff zurück­le­gen mußte. Zunächst sollte er Lehrer werden wie sein Vater, der schon im Jahr 1859 gestor­ben war. Jedoch brach­te für ihn der Militär­dienst in Ulm die Weichen­stel­lung zur Musik. Sein Vorge­setz­ter hatte das musika­li­sche Talent des jungen Solda­ten erkannt, der fortan nicht mit dem Gewehr hantie­ren und exerzie­ren mußte, sondern Geige, Viola und Cello spielen durfte und in der Marsch­ka­pel­le die Posau­ne blies. Er hatte Gelegen­heit im Münster­chor zu singen und im Theater­chor, was sein Leben völlig umkrem­pel­te; Anton Balluff versuch­te am Ende der sechs­jäh­ri­gen Militär­zeit in Stutt­gart sein Glück, hunger­te sich dort durch, konnte im Theater­chor Fuß fassen — und wir finden ihn 1884 als »Chorsän­ger Balluff mit einer Jahres­ga­ge von 200 Mark am Kgl. Hofthea­ter« wieder.

Das Natur­ta­lent Anton Balluff unter­zog nun seine Stimme am Stutt­gar­ter Konser­va­to­ri­um einer konse­quen­ten Weiter­bil­dung; doch eine Solis­ten­rol­le blieb ihm bis zur Spiel­zeit 1885/86 versagt. Endlich zeigte das Schick­sal Erbar­men, Balluffs Stunde schlug. Er mußte kurzfris­tig einsprin­gen und durfte die Rolle des »Manri­co« in Verdis »Trouba­dour« singen: »An diesem Abend gewann das Stutt­gar­ter Hofthea­ter einen Künst­ler, der sich bald in die Reihe der ersten Sänger des Theaters stellen konnte. Seine glanz­vol­le Stimme entfes­sel­te Stürme des Beifalls, von diesem Augen­blick an hatte das Stutt­gar­ter Theater einen Heldentenor«.

Und nun ging es steil aufwärts. Im Jahr 1890 wurde Balluff zum »König­li­chen Kammer­sän­ger« ernannt und sang alle großen Rollen der Opern­li­te­ra­tur, angefan­gen bei »Robert der Teufel« über »Tamino« und »Flore­stan« bis zu »Tannhäu­ser« (um nur einige der insge­samt 78 Opern zu nennen, in denen Balluff gesun­gen hat). Waren auch seiner Darstel­lungs­kunst gewis­se Grenzen gesetzt — Kriti­ker nannten seine Bewegun­gen teilwei­se steif und ungelenk — wurde dies durch Glanz und Kraft seiner Stimme mehr als wettge­macht, denn »sie imponier­te durch eine selte­ne Fülle von Metall, überrasch­te aber auch durch die Weich­heit des Piano«.

Reiches Künst­ler­le­ben
Höhepunkt der Sänger­kar­rie­re Anton Balluffs war sein fünfund­zwan­zigs­tes Dienst­ju­bi­lä­um im Jahre 1894. Schon am Vorabend brach­te ihm der Männer­ge­sang­ver­ein »Guten­berg« ein Ständ­chen, und der »Stutt­g­ar­ger Lieder­kranz« widme­te »seinem treuen und bewähr­ten Freund« einen pracht­vol­len Lorbeer­kranz. Unzäh­li­ge Geschen­ke wie »Blumen, Torten, Weine, Glück­wün­sche in Poesie, Briefen und Telegram­men trafen ein«. Bei der Festauf­füh­rung am Abend ließ der König ihm »mit dem Ausdruck seiner Gnade eine pracht­vol­le Nadel mit den könig­li­chen Initia­len und der Krone in Gold und Perlen« überrei­chen, und der Jubilar glänz­te dabei in der Rolle, die ihm beson­ders ans Herz gewach­sen war, der Partie des »Manri­co«.

Trotz seiner Erfol­ge in der großen Welt des Theaters blieb Anton Balluff stets ein Mann des Volkes. Sozial engagiert sang er z.B. am 20. Januar 1902 für damals strei­ken­de Buchdru­cker ein Wohltä­tig­keits­kon­zert im Saalbau Dinkel­acker und »erziel­te nament­lich mit Solis aus »Lohen­grin« kaum enden­wol­len­den Beifall«. Auch mit Oberko­chen blieb der große Künst­ler stets verbun­den. Oft hat er seine Ferien im Haus hinter der »Krone« bei seinen Verwand­ten verbracht. Er besaß am Ort viele Freun­de und Bekann­te, sang auch ab und zu in der Kirche, so z.B. bei der Hochzeit einer Leitz-Tochter. In den Jahren 1888 und 1898 gab er zwei große Konzer­te in seiner Heimat (letzte­res als Benefiz­kon­zert für den Neubau der katho­li­schen Kirche), bei denen die Oberko­che­ner ihren »Ostalb-Caruso« mit wahren Begeis­te­rungs­stür­men feierten.

Am 3. Juni 1904 trat Anton Balluff endgül­tig von der Bühne ab. Er verab­schie­de­te sich wie er einst als Solist begon­nen hatte in der Rolle des »Manri­co« im »Trouba­dour«, und »die herzli­chen Kundge­bun­gen, von denen das Hofthea­ter wider­hall­te, waren Beweis dafür, wie sehr die Stutt­gar­ter Theater­freun­de Verdiens­te und Streben des Künst­lers zu würdi­gen wußten«.

Die Familie
Anton Balluff entstamm­te einem weitver­zweig­ten Famili­en­clan. Der Stamm­baum der Balluffs nennt als Urvater Andre­as Melchi­or Balluff, der »als Handels­mann Klöster und Kirchen mit Oel und Wachs belie­fernd« 1683 vom Allgäu auf die Fildern gezogen war. Seine Nachkom­men­schaft zählt rund 100 Famili­en mit 504 Kindern in sieben Genera­tio­nen. Auch die engere Familie, aus der Anton Balluff stammt, verzweig­te sich weiter. Direk­te Nachfah­ren des Oberko­che­ner Schul­meis­ters finden sich heute noch hier und in Aalen. Auch Otto Balluff, der erste Nachkriegs­ober­bür­ger­meis­ter Aalens, war ein Großnef­fe des Kammer­sän­gers. Dieser selbst war zweimal verhei­ra­tet, aber er hatte nur einen Sohn, der kinder­los verstarb. Somit sind von Anton Balluff keine direk­ten Nachkom­men vorhan­den und seine genia­le sänge­ri­sche Begabung konnte nicht weiter­ver­erbt werden. Anton Balluff starb am 5. Dezem­ber 1924. Er wurde auf dem Pragfried­hof unter großer Anteil­nah­me beerdigt, wobei auch die gesam­te Oberko­che­ner Verwandt­schaft zugegen war.

Obwohl ihm die Welt zu Füßen lag, ist Anton Balluff stets ein Oberko­che­ner geblie­ben, der verdient, der Verges­sen­heit entris­sen zu werden.

Volkmar Schrenk

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