Unser Foto — leider gibt es kein schär­fe­res, aber der Inhalt ist ja scharf genug — zeigt die 3 Haupt­per­so­nen unserer Geschich­te von links nach rechts: Alfons Gold (»Stenz«) (verst.), Alfons Fischer (»Pflug­wirt«) (verst.), Engel­bert Grupp (»Golden­bau­er«). Das Foto entstand ca. 5 Jahre nach dem Ereig­nis von 1944. Rechts im Bild das Haus Franz Gold (Holzsä­ger und Häfner), links vor dem Haus ein Schup­pen, in welchem man die »Haras­sen« erkennt, die vom Häfner verwen­det wurden. Die »3 Muske­tie­re« wirken in ihrer vorneh­men dunklen Kleidung, alle 3 mit der Zigaret­te in der Hand, wie verschwo­re­ne Mafiabosse.

Oberkochen

Im Novem­ber 1944 wurde der Jahrgang 1928 als letzter Jahrgang in Aalen gemus­tert. Unter Muste­rung versteht man die Unter­su­chung auf Tauglich­keit als Soldat oder auch für den Arbeits­dienst, mit anderen Worten Wehrmacht oder Reichs­ar­beits­dienst (R.A.D.).

Wir machten einen schönen Rekru­ten­wa­gen bei der Zimme­rei Brunn­hu­ber. Mit Tannen­bäu­men und schönen farbi­gen Bändern auf einem Gummi­wa­gen und einem Pferde­ge­spann fuhren wir mit Mords-Hallo und Singen von Solda­ten­lie­dern nach Aalen. Für die zwei Pferde sorgten Alfons Fischer (Pflug­wirt) und ich. Wir zwei saßen auf dem Kutsch­bock und fuhren teilwei­se in gestreck­tem Galopp durch Ober- und Unter­ko­chen. Abends bekam ich ein Donner­wet­ter von meinem Vater zu hören. — Das Rathaus Unter­ko­chen (Schul­tes) hatte im Rathaus Oberko­chen nachge­fragt, was das für Halbwil­de waren, die im Galopp durch die beiden Dörfer gerast waren. Natür­lich, so hieß es, sei dem Golden­bau­er sein Jüngs­ter auch dabei gewesen. Daher die kräfti­ge Schelte!

Abends nach der Rückkehr marschier­ten wir dann durch Oberko­chen im Gänse­marsch, laute Marsch­lie­der schmet­ternd, ins Kino — im Martha-Leitz-Haus, danach Rückmarsch ins Dorf mit Gesang und auch da wurde in einigen Gaststät­ten noch fest gefeiert.

Also waren wir gemus­tert und die meisten waren für tauglich befun­den für Wehrmacht oder Arbeits­dienst. Der Arbeits­dienst stand meistens vor der Einbe­ru­fung zur Wehrmacht. Ein halbes Jahr oder ein Viertel­jahr mußte man zum Arbeits­dienst, was zugleich eine vormi­li­tä­ri­sche Ausbil­dung war.

Mein Freund Alfons Fischer und ich bekamen Anfang Januar 1945 den Einbe­ru­fungs­be­fehl zum R.A.D. Am 12. Januar mußten wir nach Gerch­sheim — später Grüns­feld — bei Würzburg, um uns dort beim R.A.D. zu melden. Da wir beide die ersten waren, durften wir 2 Tage einen Graben aushe­ben mit Pickel und Schau­fel. »Das fängt schon gut an«, sagten wir uns, »für den Donner­bal­ken in Gottes Freier Natur.« Bis Ende März hatten wir unter rauhen, kalten Winter­ta­gen keinen Spaten mehr bekom­men, nur militä­ri­sche Ausbil­dung mit dem Karabi­ner — K 98 — und schie­ßen und nochmals schie­ßen oder Karabi­ner zerle­gen und zwar in alle Einzel­tei­le! Anfangs hatte es Spaß gemacht die Knalle­rei auf Pappsol­da­ten und Zielschei­be. Aber Ende März durften wir wieder nach Hause. Man sagte uns, der Stellungs­be­fehl käme in den nächs­ten Tagen. Wir sollten uns bereit­hal­ten! So war es auch. Nach kaum einer Woche hatten wir den Einbe­ru­fungs­be­fehl. Mein Freund Alfons und ich freuten uns schon, daß wir auch Solda­ten werden durften. Damals war man stolz, Soldat zu sein oder Soldat zu werden. Heute denken wir anders, aber damals waren wir gerade siebzehn, so leicht­gläu­big und auch leicht­sin­nig. Wir sahen nicht die Gefah­ren, die auf uns zukom­men sollten. Man überle­ge: Ende März 1945!! Im Mai war der Krieg aus!

Nun hatten Alfons Fischer und ich uns am 28.3.45 abends um 20.00 Uhr nach Heilbronn zur Wehrmacht zu melden. Tagsüber fuhren wenige Züge, wegen der Jagdbom­ber und den Luftan­grif­fen. Um 12.00 Uhr mittags hatten wir unsere Sachen schon gepackt. Wir mußten ab Bahnhof Oberko­chen nach Heilbronn fahren. Unser beider Freund Alfons Gold (Stenz) (Frisör) mußte am nächs­ten Tag auch zum R.A.D. einrücken.

So beschlos­sen wir, zum Abschied einen kleinen Spazier­gang zu machen — und zwar zur Rodhal­de — zum Böller­häus­le. Dort wollten wir ein paar Fotos machen, von uns starken Solda­ten! Alfons Fischer besorg­te noch schnell eine Pisto­le von seinem Bruder August — Muni hatte ich genug von meinem Bruder Franz, der leider am 22.7.44 in Rußland gefal­len war. Ausge­rüs­tet mit Kamera, einer geklau­ten Pisto­le und Muniti­on ging es los, ein paar tolle Bilder zu schie­ßen. Zum Fotogra­fie­ren kam es leider nicht mehr, denn aus Verse­hen schoß mich mein Freund Stenz kampf­un­fä­hig. Und das kam so:

Jeder sollte einen Schuß auf ein Astloch an einem Baum beim Böller­häus­le abgeben. Die Älteren wissen, daß es fast am gleichen Platz gestan­den hatte, an der jetzt die St. Josefs­ka­pel­le steht. Jeder von uns Dreien gab einen prima Schuß ab. Also, schie­ßen können wir, dachten wir. Dann kam die zweite Runde. Stenz schoß als erster und traf ganz sicher in das Astloch. »Klasse«, sagten wir, »du bist der Beste!« Er drehte sich zu mir herum und lachte, wobei er mit seiner Pisto­le in der Luft herum­fuch­tel­te. Da knall­te es ungewollt und ich war — bzw. meine linke Wade war mit einem Durch­schuß getrof­fen. Ich hatte Reitstie­fel an, die ich von einem Offizier der Wehrmacht geschenkt bekom­men hatte, und merkte erst nach einer Schreck­se­kun­de, daß sich am Stiefel ein Ein- und ein Ausschuß­loch befand. »Mensch«, sagte ich, »du hast auf mich geschos­sen.« Zunächst hatte es kaum weh getan, erst nach einiger Zeit kamen die Schmer­zen und das Blut lief in den Reitstie­fel. »Was machen wir jetzt blos?« — »Also, paßt auf,« sagte ich, »nieman­dem was sagen, wir werden sonst noch einge­sperrt. Wir gehen zum Pflug hinun­ter, gehen zur Hinter­tür rein, verbin­den den Fuß und abends fahren wir, Alfons und ich, nach Heilbronn!« Ich konnte noch recht gut laufen, sogar den Berg hinun­ter, bis zur Schee­rer Mühle. Dort kamen die Schmer­zen, dann wurde mir speiübel und ich konnte nicht mehr allei­ne gehen. Meine Kamera­den stütz­ten mich und machten mir Mut. »Du mußt auf die Zähne beißen. Du mußt es schaf­fen bis zum Pflug, dann verbin­den wir die Wunde und alles ist in Ordnung.«

Schließ­lich waren wir im Pflug oben in Alfons’ Zimmer und wollten den Stiefel auszie­hen. Unter schreck­li­chen Schmer­zen schaff­ten wir es und leerten das Blut in ein Wasch­be­cken. Plötz­lich kam Margret Fischer dazu und rief voller Schre­cken: »Um Gottes Willen, was hent Ihr dau g’macht?« — »Sei ruhig! Hol schnell Verbands­zeug, wir müssen den Fuß verbin­den und dann kann Engel­bert wieder laufen!« Aber aus war’s, ich konnte keinen Schritt mehr laufen, es hatte keinen Zweck. Ich mußte auf dem Fahrrad nach Hause gescho­ben werden. Zu Hause kam zu den Schmer­zen noch das Donner­wet­ter von meinem Vater. Dann trugen sie mich aufs Sofa in der Stube. Nach der Schimpf­ti­ra­de meines Vaters, bei der alle drei Helden ihr Fett abbekom­men hatten, verab­schie­de­te ich mich von meinen zwei Freun­den und war sehr traurig, daß ich nicht mitfah­ren konnte nach Heilbronn. Die beiden schli­chen sich schnell aus dem Haus.

Abends fuhren mein Vater und ich mit Fabri­kant Heinrich Grupp nach Aalen ins Wehrmachts-Heimat­la­za­rett, in die Bohlschu­le. Dort schmiß man uns raus. Selbst­ver­stümm­ler würde man hier nicht behan­deln. Dann fuhren wir ins alte Kranken­haus in Aalen. Dort bekam ich einige Sprit­zen und die Wunde wurde desin­fi­ziert. Dann durfte ich wieder heim. Ungefähr 4 Wochen war ich im Bett. Dann lief ich etwa 4 Wochen mit Krücken. Bis ich wieder halbwegs laufen konnte, war auch der Krieg aus.

Was anfangs so schlimm ausge­se­hen hatte, war nach 10 Wochen wieder in Ordnung. Schlim­mer als alle Schmer­zen, war für mich die Angst, wenn alle paar Tage ein Polizist kam und mich zu dieser Sache lange verhör­te. Gottsei­dank ging dann auch der furcht­ba­re Krieg zu Ende und erst hinter­her wurde mir bewußt, daß der Schuß auch eine positi­ve Seite hatte. Denn manche Kamera­den von mir fanden beim Rückzug noch den »Helden­tod«, wie man damals sagte. Leider sind meine beiden Freun­de schon vor länge­rer Zeit gestorben.

Engel­bert Grupp, Goldenbauer

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