An Ostern des Jahres 1583 hielt der evange­li­sche Pfarrer Ulrich Nicolai den ersten Gottes­dienst in der neu erbau­ten Kirche, dort, wo heute die Stadt­bi­blio­thek zu hause ist. Seit jener Zeit gab es über die Jahrhun­der­te hinweg in Oberko­chen zwei Pfarrer und zwei Kirchen, bis zur staat­li­chen Verei­ni­gung im Jahre 1803 auch zwei Schult­hei­ßen und bis 1936 zwei Konfes­si­ons­schu­len. Aber man lebte und arbei­te­te, stritt und vertrug sich und versuch­te, ein recht­schaf­fe­ner Unter­tan und, was noch wichti­ger war, ein guter Christ katho­li­scher oder evange­li­scher Prägung zu sein. Daß solches manch­mal mehr beim Wollen als Vollbrin­gen blieb, zeigten einige Beispie­le aus dem Kirchen­con­vents­pro­to­koll der Jahre 1790 bis 1804. Damals waren Pfarrer und Kirchen­ge­mein­de­rat nicht nur Vorste­her der Gemein­de, ihnen oblag auch die sog. niede­re Gerichts­bar­keit, d. h. Bestra­fung von Verstö­ßen gegen kirch­li­che Vorga­ben und Überwa­chung sittsa­men Verhal­tens. Schlich­tung und Ahndung von Meinungs­ver­schie­den­hei­ten, seien sie verbal oder mit Fäusten ausgetragen.

Feier­tags­hei­li­gung
Da gab es etwa das streng gehand­hab­te Gebot der Sonn- und Feier­tags­ru­he. Dies bekam ein Bauer zu verspü­ren, der am Sonntag Heu einführ­te und »zwar gerade in der Zeit des Nachmit­tags­got­tes­diens­tes«. Wegen dieses Versto­ßes mußte er vor dem Kirchen­kon­vent erschei­nen, der ihm die Strafe von 1 Pfund Heller aufbrumm­te »dem Heili­gen zu bezah­len« (d. h. etwa der Gegen­wert von 10 Pfund Brot oder 5 Maß braunen Biers an die Kirchen­kas­se abzuführen).

Klar, die Katho­li­ken feier­ten jährlich ihr Fronleich­nams­fest. Was aber taten die evange­li­schen Oberko­che­ner an diesem Tag? Sie hielten — aus welchen Beweg­grün­den auch immer — ebenfalls einen Gottes­dienst. 1797 jedoch »hat in Oberko­chen die Unord­nung einge­ris­sen, daß junge Leute vor Beginn der Prozes­si­on im Dorf umher­zie­hen, singen, trommeln, pfeifen und schie­ßen sogar beson­ders geflis­sent­lich vor der evange­li­schen Kirchen­tür, so daß der Gottes­dienst recht grob gestört wird«. Weil offen­bar dem (evange­li­schen) Schult­hei­ßen nicht zugetraut wurde, »daß er den Unfug abstel­len kann«, beschloß der evange­li­sche Kirchen­con­vent, »den evange­li­schen Gottes­dienst an Fronleich­nam künftig schon morgens um 6 Uhr abzuhalten«.

Famili­en­feh­de
Da hatte »ein Bürger und Bauer« mal wieder mit seiner Frau Krach, der sich zu einer wahren Famili­en­feh­de zwischen den beiden Sippen auswuchs. Lassen wir einige Zitate aus den Proto­kol­len sprechen:

Er: »Ich hab’ mein Weib zum Viehtrei­ben gerufen und ihr gesagt, sie soll unser Kind auf den Boden setzen, damit es nicht herab fällt. Sie aber hat es auf die Bank gesetzt, und das Kind ist herab­ge­fal­len. Da hab ich meinem Weib im Jäst zwei Ohrfei­gen gegeben und da sie darauf ihr Maul so sehr gebraucht und gar alles mögli­che geschrien, noch eine dritte«.

Sie: »Das Kind ist nicht gefal­len, hat aber etwas Milch verschüt­tet. Darauf hat mich mein Mann geschla­gen, und da ich das Maul gebraucht noch ein zweites Mal. Darauf hab ich das Haus verlas­sen und bin zu meinem Vater«.

Er: »Sie hat sich den ganzen Tag nicht mehr sehen lassen …«

Sie: »Ich hab’ den Tag über zweimal ins Haus wollen, es war aber immer verschlos­sen. Als ich des nachts mit meinem Vater wieder­kam, rief mein Mann zum Fenster heraus: »rechte Leut gehen bei Tag nach Haus, jetzt mach ich nimmer auf!«, da holten wir noch den Bruder zu Hilfe«.

Er: »Die beiden haben mir viel grobe Reden gegeben, der Bruder hat zweimal mit einem Prügel nach mir gesto­ßen, da bin ich zum Haus heraus und hab’ meine Kraut­haue genom­men und bin auf sie los. Mein Schwie­ger­va­ter hat mir mit seinem Stecken mehre­re Strei­che gegeben und ich hab den Bruder vergarbt bis der Schult­heiß kam und uns auseinandertrieb«.

Sie: »Am nächs­ten Morgen wollt’ ich meine Kleider und das Bett meines Kindes aus dem Haus holen und da es verschlos­sen, bin ich zum Fenster einge­stie­gen. Da kam der Mann und schimpf­te und schrie, und als der Bruder wieder dazukam, hat der Mann diesen gepackt und geschlagen«.

Er: »Als am Morgen der Bruder kam, hat’ ich ihm bedit­ten, er habe hier nichts zu suchen, und als er darauf sagte, du hast mir nichts zu befeh­len, hab ich meinem Schwä­her eine Ohrfei­ge gegeben. Darauf ging es erst richtig los. Auch der Vater ist herzu­ge­sprun­gen und alle haben drein geschlagen.…«

Das Ergeb­nis der Raufe­rei war: Die Streit­häh­ne wurden vom Kirchen­con­vent »vorge­for­dert« und wurden zu je einem Gulden Strafe verdon­nert, wobei der Convent in Rechnung gestellt hatte, daß das Ende der Raufe­rei weder durch Eingrei­fen des Schult­hei­ßen noch durch besse­re Einsicht herbei­ge­führt worden war, einzig und allein ein Umstand hatte die erhitz­ten Gemüter abgekühlt, sie hatten sich so heftig gestrit­ten und geschla­gen, bis sie allesamt im nahen Katzen­bach gelan­det waren.

Auf Sittlich­keit bedacht — im Leben und beim Tod
»Da die Zeit heran­kommt, daß ledige Weibs­per­so­nen heimlich zu den Kunkel­stu­ben gehen«, beschloß der Kirchen­con­vent im Oktober des Jahres 1797, »solches nicht zu dulden, beson­ders aus dem Grund, weil diesen Winter über wahrschein­lich noch kaiser­li­ches Militär hier liegt, daraus dann leicht manch üble Folge entste­hen könnte«. Daß solcher­lei Befürch­tun­gen nicht ganz unbegrün­det waren, läßt sich unschwer am Proto­koll feststel­len, denn allein inner­halb von drei Jahren wurden 12 junge Oberko­che­ne­rin­nen vom Kirchen­con­vent wegen unehe­li­cher Schwan­ger­schaf­ten »vorge­for­dert« und falls Geld vorhan­den war, auch bestraft.

Ja, auf Sittlich­keit war man damals sehr bedacht, im Leben wie beim Sterben. In alter Zeit war es üblich, bei Verstor­be­nen zu wachen. Nun hat sich um die Jahrhun­dert­wen­de der Unfug einge­bür­gert, daß »das Trauer­haus voll läuft von fremden Perso­nen, die zwar manch­mal auch einige geist­li­che Lieder singen, sonst aber sündli­che Geschwät­ze führen und lästern, essen und trinken wollen«. Um diesem für die Leidtra­gen­den auch sehr teuren Unfug entge­gen­zu­wir­ken, beschließt der Kirchen­con­vent, am 5. Dezem­ber 1802 von der Kanzel verkün­di­gen zu lassen: »Wenn im Hause jemand stirbt, dürfen Hinter­blie­be­ne und Gevat­ters­leu­te, damit das Klaghaus ein Trauer­haus bleibe und nicht durch einen Todes­fall der Sünde Tür und Tor geöff­net werde, zwei, höchs­tens drei Perso­nen aus ihrer Freund­schaft zur Toten­wa­che bitten«.

Mesner und Schul­meis­ter
Der Pfarrer war Vorge­setz­ter des Schul­meis­ters, der zugleich das Mesner­amt zu verse­hen hatte. Aber im Jahre 1802 ist »der Schul­meis­ter äußerst saumse­lig in der Verse­hung des Mesner­diens­tes, daß er öfters viel zu spät zur Kirche läutet«. Da »pfarr­amt­li­che Ermah­nun­gen gar nicht fruch­ten, wird für den Schul­meis­ter ein halbes Pfund Heller Heili­gen­stra­fe angesetzt«.

Aber auch die Schule selbst ist in desola­tem Zustand: »Bei der am 15. Novem­ber vorge­nom­me­nen Schul­vi­si­ta­ti­on der Sommer­schu­le war bei den meisten Kindern nicht nur kein Wachs­tum, sondern eine Abnah­me im Lesen, Schrei­ben, Auswen­dig­ler­nen wahrzu­neh­men«, weshalb die Kinder streng vermahnt wurden und auch dem Lehrer wurde das Nötige gesagt«.

Offen­sicht­lich fruch­te­ten diese Mahnun­gen, denn ein halbes Jahr später beschei­nig­te der Pfarrer seiner Schule »einen mittel­mä­ßi­gen Zustand«, und als Anreiz zu fleißi­gem und schönem Schrei­ben beschließt der Kirchen­con­vent, »weil das Mitbrin­gen von Tinte beschwer­lich und mühse­lig ist, da meist viel verschüt­tet wird und die Kinder ihre Kleider besudeln, daß dem Schul­meis­ter, damit er das ganze Jahr hindurch alle Schul­kin­der mit der nötigen Tinte verse­hen könnte, aus dem Heili­gen 45 kr. gereicht werden«, — ein Betrag, der anschlie­ßend in dersel­ben Sitzung bei der Ahndung eines Wirts­haus­strei­tes umgehend wieder herein­ge­holt und damit gezeigt wurde, wie eng oft im Leben Wechsel­be­zie­hun­gen zwischen Gut und Böse sind.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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