Aus aktuel­len Anläs­sen schie­ben wir heute und in 14 Tagen in unsere »Aufsatz­se­rie aus den Jahren 1941 — 1943« zwei Bericht­erstat­tun­gen ein:
Zum einen wurde am Freitag, 15.3.1946, also exakt heute vor 50 Jahren, mit Herrn Rudolf Eber der erste Nachkriegs­bür­ger­meis­ter von Oberko­chen gewählt, und zum anderen findet in diesen Tagen das Richt­fest für das Gebäu­de neben der katho­li­schen Kirche statt, dessen Vorgän­ger eine 240jährige Geschich­te aufweist — Grund genug, dersel­ben nachge­gan­gen zu sein. Die Aufsatz­se­rie wird in der angekün­dig­ten Reihen­fol­ge, jedoch um 4 Wochen versetzt, veröffentlicht.

Vor 50 Jahren, am 15. März 1946:
Wahl des 1. Oberko­che­ner Nachkriegs­bür­ger­meis­ters
Der kommu­na­le Neube­ginn nach 1945
Es ist bekannt, daß Herr Josef Paul Fischer (PX) nach dem Einmarsch der Ameri­ka­ner in Oberko­chen am 24.4. 1945 von diesen mit der Führung der Amtsge­schäf­te beauf­tragt wurde. Diese Tätig­keit übte Herr Fischer nur wenige Tage lang aus. Bereits am 31.4.1945 setzte die Militär­re­gie­rung (laut einem Vermerk anläß­lich seiner Gehalts­fest­set­zung am 31.8.1945) Herrn Altbür­ger­meis­ter Richard Frank in das Amt des Bürger­meis­ters von Oberko­chen ein. Über die Amtsein­set­zung vom 31.4.1945 ist keine Nieder­schrift bekannt.

Der Vermerk in der Nieder­schrift vom 31. August 1945 ist übrigens der einzi­ge Hinweis in den Oberko­che­ner Gemein­de­rats­pro­to­kol­len, daß die Militär­re­gie­rung einen Einfluß auf das Nachkriegs­ge­sche­hen in Oberko­chen genom­men hat.

Unser Foto, ein wohl einma­li­ges Zeitdo­ku­ment, zeigt die 4 ameri­ka­ni­schen Offizie­re, die unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de in der Villa Albert Leitz einquar­tiert waren und die »das Sagen« in Oberko­chen hatten. Auf dem Foto (Mitte) ist außer­dem Frau Maria Gutheiß, die Köchin im Hause Leitz war, und eine Verwand­te (Anna Maier geb. Schaupp) zu sehen.

Oberkochen

Bereits am 6.6.1945 wurden 8 Gemein­de­bei­rä­te in ihr Amt einge­setzt. Im § 1 der entspre­chen­den Nieder­schrift heißt es:
»Der Bürger­meis­ter hat zu seiner Unter­stüt­zung nachste­hen­de Herren als Gemein­de­bei­rä­te berufen, bis eine endgül­ti­ge Regelung über die Zusam­men­set­zung und ev. Wahl der Gemein­de­rä­te getrof­fen ist, und zwar:

  1. Schmid, Josef — Fabrikant
  2. Balle, Anton — Landwirt
  3. Fischer, Adolf — Magaziner
  4. Wiech, Josef — Forstmeister
  5. Schell­mann, Anton — Landwirt
  6. Geissin­ger, Willi­bald — Bäckermeister
  7. Bäuerle, Richard — Bohrermacher
  8. Henne, Wilhelm — Hilfspolizist

(Herr Wilhelm Henne schied am 10.8.45 aus unbekann­ten Gründen aus dem Beirat aus. Für ihn wurde Herr Karl Renner, Schlos­ser, berufen.)

Ein halbes Jahr später, in einer Nieder­schrift vom 28.12.1945, heißt es:
»Gemein­de­rats­wah­len
Nach dem Erlaß des Innen­mi­nis­te­ri­ums vom 14.12.45 … finden in allen Gemein­den unter 20.000 Einwoh­nern am 27.1.1946 die Gemein­de­rats­wah­len statt …

Beschluß:

  1. Die Zahl der ehren­amt­li­chen Mitglie­der des Gemein­de­rats auf 12 (lt. Verord­nung) festzusetzen.
  2. Zur Aufstel­lung der Wähler­lis­te werden außer dem Bürger­meis­ter und Gemein­de­pfle­ger die Beirats­mit­glie­der Schmid und Renner bestellt.
  3. In den Wahlvor­stand werden gewählt Anton Balle und Willi­bald Geissin­ger als Stellv.
    Für den Wahlvor­ste­her: Josef Schmid
    Stellv. Schell­mann, Anton, Renner, Karl, Bäuerle, Richard, Fischer, Adolf
    Als Schrift­füh­rer: Kümmel, Gemein­de­pfle­ger Stv.«
    Am 25.1.1946 wird die Wähler­lis­te für die 1. Nachkriegs­ge­mein­de­rats­wahl mit 1284 Stimm­be­rech­tig­ten abgeschlossen.

Die Wahlen fanden, wie gesagt, am 27.1.1946 statt. Ergeb­nis: Auf 2 Jahre wurden gewählt:

Balle, Anton, Bäuerle, Richard, Elmer, Hans, Geißin­ger, Willi­bald, Henne, Wilhelm, Renner, Karl, Schell­mann, Anton, Schmid, Josef, Tritt­ler, Paul, Wiech, Josef, Winter, Eugen, Wirth, Max.

Partei­zu­ge­hö­rig­kei­ten werden nicht genannt, es ist jedoch bekannt, daß 10 dieser Gemein­de­rä­te der CDU und 2 der SPD nahestanden.

In der Gemein­de­rats­sit­zung vom 8.2.1946 wurden sie »feier­lich verei­digt und in Pflich­ten genom­men«. In der gleichen Sitzung wurden noch unter Vorsitz des von der Militär­re­gie­rung einge­setz­ten Bürger­meis­ters Frank die Modali­tä­ten für die 1. Nachkriegs­bür­ger­meis­ter­wahl, die auf Freitag, 15.3.1946, festge­setzt wurde, festge­legt, also genau heute vor 50 Jahren.

Zur Wahl hatten sich 8 Bewer­ber gemel­det. Die Nieder­schrift lautet:
»Wahl des Bürger­meis­ters
Laut öffent­li­cher Bekannt­ma­chung im Amtsblatt für den Landkreis Aalen Nr. 13 vom 16. Febru­ar 1946 soll heute die Bürger­meis­ter­wahl statt­fin­den. Dazu haben sich folgen­de 8 Bewer­ber gemel­det:
Josef Spröhn­le, Dewan­gen
)Johann Müller, Aalen
Hans Schmit, Westhau­sen
Josef Schäfer, Köln
Eduard Obermay­er, Aalen
Karl Engel, Rosen­berg
Rudolf Eber, Heiden­heim
Wilhelm Bader, Aalen

Von diesen sind 4 Bewer­ber in der Sitzung persön­lich anwesend und haben nach entspre­chen­der Begrü­ßung und Bekannt­ma­chung Gelegen­heit, sich über ihre Ziele und Absich­ten zu äußern:
Es sprachen: Hans Schmid, Westhau­sen, Eduard Obermay­er, Aalen, Rudolf Eber, Heiden­heim, Wilhelm Bader, Aalen«.

Den Vorsitz in dieser Sitzung hatte der stell­ver­tre­ten­de Bürger­meis­ter Josef Schmid. Aus heuti­ger Sicht ist inter­es­sant, daß der Bürger­meis­ter nicht von der Bürger­schaft, sondern von den erst kurz zuvor gewähl­ten 12 Gemein­de­rä­ten gewählt wurde.

Aufgrund der Tatsa­che, daß mit dem heuti­gen Freitag auf den Tag genau 50 Jahre vergan­gen sind, daß Rudolf Eber zum Bürger­meis­ter von Oberko­chen gewählt wurde, hat der Vorsit­zen­de des Heimat­ver­eins ein Gespräch mit dem heuti­gen Senior­chef (Jahrgang 1914) der Firma Jakob Schmid geführt.

Herr Eber war im 2. Weltkrieg Offizier gewesen und als 30jähriger kurz nach Kriegs­en­de nach Heiden­heim entlas­sen worden. Zunächst ohne Existenz gelang es ihm durch seine Vorbil­dung ohne Prakti­kum als Gasthö­rer in der Stutt­gar­ter Verwal­tungs­fach­schu­le anzukom­men und die entspre­chen­den Abschluß­prü­fun­gen zu bestehen.

In der kurzen Vorstel­lung in der Gemein­de­rats­sit­zung vom 15.3.1946 wies Herr Eber (katho­lisch) auf seine vom alten »Zentrum« gepräg­te politi­sche Grund­ein­stel­lung hin, und darauf, daß er im Falle seiner Wahl das Amt nach christ­li­cher Überzeu­gung zu führen geden­ke. Nach kurzer Unter­bre­chung für eine nicht­öf­fent­li­che Beratung wählten die 12 Gemein­de­rats­mit­glie­der in gehei­mer Wahl wie folgt:

Rudolf Eber — 11 Stimmen
Eberhard Obermay­er — 1 Stimme
Herr Eber war auf 2 Jahre gewählt.

Er erinnert sich, daß er von einem ameri­ka­ni­schen Offizier, der die Funkti­on des Landrats bis zur Wahl von Landrat Dr. Huber ausüb­te, auf sein neues Amt verpflich­tet wurde. Hierüber gibt es keinen proto­kol­la­ri­schen Vermerk.

Bei anste­hen­den Proble­men hatte Herr Eber immer wieder in Aalen mit diesem Offizier, zu dem er ein recht gutes Verhält­nis hatte, zu tun.

Im übrigen stell­te Herr Eber klar, daß es zu seiner Zeit in Oberko­chen nie eine Einmi­schung und keine Kontrol­le seitens der Militär­re­gie­rung gegeben habe. Nur einmal sei der Herr Offizier in Oberko­chen aufge­kreuzt, weil ein Oberko­che­ner Bürger hinter Herrn Ebers Rücken in Aalen von einem überse­he­nen Haken­kreuz irgend­wo im Bergheim (HJ-Heim, heute Sonnen­berg­schu­le) gepetzt hatte.

Auf die Frage, was neben den allge­mei­nen verwal­te­ri­schen Routi­ne­auf­ga­ben beson­ders heraus­ra­gen­de Tätig­kei­ten gewesen seien, nannte Herr Eber an erster Stelle die menschen­wür­di­ge Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen, die lastwa­gen­wei­se vom Landrats­amt zugeteilt wurden, an die 200 Perso­nen insge­samt. Die Kriegs­ge­fan­ge­nen waren zu diesem Zeitpunkt schon in ihre Heimat­län­der abgezogen.

Das alte ev. Schul­haus — heute »Schil­ler­haus« und zwei eigens hierzu errich­te­te Baracken dienten als Auffang­la­ger und Notun­ter­kunft, bis Quartie­re gefun­den wurden. Herr Eber hatte für den Bau dieser Baracken und die Anfer­ti­gung von Betten, Regalen und einfa­chen Schrän­ken — worum sich Schrei­ner­meis­ter Fischer beson­ders verdient machte — aus der Not heraus Holz im Gemein­de­wald machen lassen. Es gab so gut wie kein Bauma­te­ri­al. Den Kalk »organi­sier­te« er (so nannte man das damals) in Neres­heim, das Stroh für die Säcke, die als Matrat­zen dienten, erbet­tel­te er von Bauern. Die Bürger­meis­ter des Landkrei­ses übten, um persön­li­che inner­ört­li­che Konfron­ta­tio­nen zu vermei­den, jeweils wechsel­sei­tig das Einwei­sungs­recht aus.

Der 2. Schwer­punkt: Als die erste Flücht­lings­wel­le etwas abebb­te, setzte die Umsied­lung der Firma Carl Zeiss von Jena nach Oberko­chen und damit der Zuzug von mehre­ren hundert Zeiss­mit­ar­bei­tern ein, die inner­halb kurzer Zeit unter­zu­brin­gen waren. Die Proble­me waren ähnlich gelagert, denn erst ganz langsam gingen die ersten Bauan­trä­ge bei der Gemein­de ein.

Eine 3. schwie­ri­ge Aufga­be war die Vertei­lung der stark ratio­nier­ten Lebens­mit­tel, und vor allem gerech­te Entschei­dun­gen in Notfäl­len zu treffen.
Vor allem die Linde­rung der Not habe in den ersten Nachkriegs­jah­ren spezi­ell in Oberko­chen »den ganzen Mann« gefordert.

Mit einem Weihnachts­brief an die erreich­ba­ren Kriegs­ge­fan­ge­nen sei eine außer­ge­wöhn­li­che Aktion gestar­tet worden, die viel Freude berei­tet habe. Man kümmer­te sich seitens der Stadt um Krieger­wit­wen — kurz, es sei die Haupt­auf­ga­be gewesen, ständig an einer größt­mög­li­chen Norma­li­sie­rung des Alltags zu arbeiten.

Nicht nur Herrn Eber, sondern dem gesam­ten 1. Oberko­che­ner Gemein­de­rat gilt es heute aus dem Abstand eines halben Jahrhun­derts, Dank zu sagen für ihren unglaub­li­chen konstruk­ti­ven Einsatz für die damali­ge Gemein­de, die ihrer­seits mit dazu beigetra­gen hat, daß die unmit­tel­ba­ren Kriegs­fol­gen fast ohne finan­zi­el­le Mittel durch persön­li­chen Einsatz, langfris­tig durch­dach­te Impro­vi­sa­ti­on und Erfin­der­geist überwun­den werden konnten.

Das Eber’sche Erbe trat am 1.2.1948 Gustav Bosch an. Mit Rudolf Eber und Gustav Bosch waren 2 hervor­ra­gend geeig­ne­te Bürger­meis­ter­kan­di­da­ten angetre­ten. Gustav Bosch machte das Rennen mit 4 Stimmen Mehrheit. Rudolf Eber und Gustav Bosch wurden gute Freunde.

Dietrich Bantel

Zu Bericht 263
(BuG v. 15.3.1996) »Vor 50 Jahren«
Den Druck­feh­ler im Titel (»Vor 30 Jahren« statt »Vor 50 Jahren«) konnte man nicht überse­hen. Dagegen gilt es, einen weite­ren sinnent­stel­len­den Druck­feh­ler zu berich­ti­gen: Die Gemein­de­rats­wah­len nach Erlaß des Innen­mi­nis­te­ri­ums vom 14.12.1945 mußten am 27.1.1946 nicht, wie fälsch­li­cher­wei­se gedruckt wurde, in allen Gemein­den unter 2000, sondern in allen Gemein­den unter 20000 Einwoh­nern durch­ge­führt werden.

Ich wurde darauf hinge­wie­sen, daß der im o. a. Bericht »Rudolf Eber 1. Nachkriegs­bür­ger­meis­ter von Oberko­chen« abgedruck­te Begriff »Flücht­lin­ge« unzutref­fend ist. Richtig ist, daß es sich bei allen aus der Tsche­cho­slo­wa­kei, Rumäni­en, Ungarn, Polen, Ostpreu­ßen, Schle­si­en u. a. angekom­me­nen Menschen um Heimat­ver­trie­be­ne gehan­delt hat.

Nicht nur hierzu­lan­de, sondern allge­mein, wurde zwischen »Flücht­lin­gen« und »Heimat­ver­trie­be­nen«, ohne jede böse Absicht, eigent­lich nicht konse­quent unterschieden.

Dietrich Bantel

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