Schüler­auf­sät­ze (1941 — 1943) — Teil 2
Zu Beginn der 2. Aufsatz­fol­ge geben wir auf Wunsch von Lesern die genau­en Daten bekannt, wann die ersten 3 Aufsät­ze, die in BuG vom 16.2. als Bericht 261 veröf­fent­licht wurden, in der Schule geschrie­ben worden sind:

1) Beim Pferde­ap­pell, Flori­an Balle, 10.5.1941
2) Unsere Solda­ten nehmen Abschied, Flori­an Balle, 17.5.1941
3) Vom Abschied unserer Solda­ten, Klara Holz, verh. Wunder­le, 17.5.1941
Eine falsche Infor­ma­ti­on bezüg­lich Frau Gertrud Haßler beim Jahrgangs­bild 1927/28 stellen wir hiermit richtig: Frau Gertrud Haßler (Bahnwär­ter) lebt heute in Schnait­heim.
Kurt Sanwald nennt man den »Burrenk­urt«.

Wie angekün­digt, bringen wir heute 2 Aufsät­ze zum Thema »Wir sammeln engli­sche Flugblät­ter«, die beide am 15.11.1941 geschrie­ben wurden, und einen Aufsatz zu einer Flugzeug­lan­dung in Oberko­chen im Oktober 1942.

4) Wir sammeln engli­sche Flugblät­ter
verfaßt von Josef Brand­stet­ter (Jeremis), 15.11.1941, übertra­gen von Marti­na Hug (verh. Betzler)
Am Montag­vor­mit­tag kam der Ortsdie­ner in die Schule und sagte: Ihr müßt heute nachmit­tag Flugblät­ter suchen. Um 1/2 2 Uhr marschier­ten wir ab. Am Waldrand vom Tierstein bilde­ten wir eine Schüt­zen­li­nie. Dann stiegen wir bis auf die Ebene, hatten aber kein Flugblatt gefun­den. Nun durch­streif­ten wir einen Tannen­wald. Plötz­lich hallte ein Geschrei durch den Wald und wir sahen eine Meute Buben, die einem Kamera­den nachrann­ten, der etwas Weißes in der Hand hatte. Ich dachte: Er hat ein Flugblatt! Sie brach­ten es unserem Lehrer. Ich suchte angestrengt weiter. Wir kamen in einen Buchen­wald und Anton schrie: I hau au eins! Da fanden jetzt mehre­re ein Flugblatt. Ich las auch ein Flugblatt. Ich dachte mir: Die Englän­der halten uns für arg dumm und meinen, sie könnten das deutsche Volk herein­le­gen wie 1918. Wir suchten dann noch auf dem Langertrücken.

Trotz des angestreng­tes­ten Suchens fand ich keines. Wir trafen auch unseren Lehrer und er sagte: Jetzt geht heimwärts. Wir kamen am Stein­bruch im Wolfert­s­tal heraus und marschier­ten bis zum Schul­haus. Von da an streb­ten alle nach Hause. Wir hatten 14 Flugblät­ter gefunden.

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Herr Josef Brand­stet­ter erinner­te sich nach der Lektü­re seines Aufsat­zes von damals exakt an die Sammel­ak­ti­on, ja sogar an Text und Bild des Flugblatts; auf diesem sei ein großer Galgen darge­stellt gewesen, an welchem Hitler samt dem Haken­kreuz an einem Strang hingen. Der Text habe sinnge­mäß gelau­tet »Dem Unter­gang geweiht«.

Die Flugblät­ter sollten nach dem Willen der seiner­zei­ti­gen Macht­ha­ber des III. Reichs, der, wie man sieht, bis in die kleinen Dörfer hinein in die Tat umgesetzt wurde, nicht in die Hände der deutschen Bevöl­ke­rung gelan­gen. Deshalb wurden in Oberko­chen wie andern­orts Schul­klas­sen über die Fluren und in die Wälder geschickt, die die Flugblät­ter zu suchen und einzu­sam­meln hatten. Die gesam­mel­ten Flugblät­ter mußten dann vom »Einsatz­lei­ter« auf dem Rathaus abgege­ben werden, wo sie offizi­ell vernich­tet, meist verbrannt, wurden.

Sollte jemand eines bis heute aufbe­wahrt haben, so wäre dies ein inter­es­san­ter Beleg fürs Heimat­mu­se­um; die Wahrschein­lich­keit ist aller­dings höchst gering, denn das Einbe­hal­ten von Flugblät­tern konnte damals verhäng­nis­voll werden.

Dietrich Bantel

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5) Wir suchen Flugblät­ter
verfaßt von Meinrad Merz (verst.) am 15.11.1941, übertra­gen von Emma Rühle (verh. Limpert)
Am Montag­mor­gen klopf­te es auf einmal an der Tür unseres Schul­zim­mers. Es trat der Amtsdie­ner Betzler ein. Dieser teilte uns mit, daß wir am Nachmit­tag engli­sche Flugblät­ter suchen sollten. Wir waren ganz überrascht, als wir das hörten. Er sagte es uns noch näher, warum wir suchen müssen. Nämlich heute morgen fand Herr Balle im Kleb ein Flugblatt. Er trug es sofort auf das Rathaus. Herr Bürger­meis­ter gab dann der Schule den Befehl, daß wir am Nachmit­tag nach Flugblät­tern suchen müßten. Um 1/2 2 Uhr traten wir am Schul­haus an. Wir waren vier Klassen, die alle nach Flugblät­tern suchten. Herr Braun führte die 7. und 8. Klasse, Herr Maikler die anderen 2 Klassen. Wir marschier­ten in die Richtung zum Tierstein. Dort, am Waldrand angekom­men, wurden wir in Gruppen einge­teilt. Wir durch­such­ten den Wald in einer breiten Schüt­zen­ket­te. Als wir auf der Ebene droben ankamen, mußten wir durch einen Tannen­wald. Dort hatte es noch ziemlich Schnee. Als wir so den Wald durch­streif­ten, ging auf einmal neben uns ein Schrei­en und Johlen an. Wir liefen sofort in die Richtung. Es war Franz Sanwald. Im Nu war er von uns umringt. Wir rissen ihm das Flugblatt aus den Händen und lasen es. Mit einer solchen Lüge und Propa­gan­da wollten die Englän­der das deutsche Volk betrü­gen. Er brach­te das Flugblatt sofort Herrn Braun. Es war schon das zweite, das gefun­den wurde. Wir suchten dann mit vollem Eifer den anderen voraus. Aber wir fanden einfach keines. Auf einmal hörte der Tannen­wald auf und wir waren in einem lichten Buchen­wald getre­ten. Dort glaub­ten wir mehr zu finden, als im dichten Tannen­wald. Aber wir sahen und hörten keinen Menschen. Ich und Alfons rutsch­ten dann ein Stück den Abhang hinun­ter, aber hier sahen wir nicht einmal Spuren von anderen. Wir stiegen oder kletter­ten vielmehr wieder den felsi­gen Abhang hinauf. Ich mußte Alfons öfters an den Händen halten, daß er nicht wieder abrutsch­te. Als wir nun endlich oben waren, liefen wir eiligst den Spuren nach, bis wir auf andere stießen. Auf einmal ertön­te der Pfiff von Herrn Braun zum Sammeln. Herr Braun und Herr Maikler nahmen die gefun­de­nen Flugblät­ter ab und wir durch­streif­ten dann vollends den Langert­rü­cken. Wir sahen einen Hochstand und auf diesen stiegen wir, um die Umgebung abzusu­chen. Fritz stieg als erster, dann ich hinauf. Auf einmal fing er an: Ein Reh! Ich sah gerade noch, wie es in der Ferne verschwand. Wir eilten dann den anderen nach.

Als wir sie einge­holt hatten, wollten sie gerade den Heimweg antre­ten. Fritz, Alfons und ich rannten den anderen ein schönes Stück voraus. Wir standen auf einmal vor einem Stein­bruch, wo gearbei­tet wurde. Willi­bald Schaupp ließ gerade einen Franzo­sen ein Flugblatt lesen. Jetzt war Herr Braun und die anderen angelangt. Man melde­te es ihm sofort wegen dem Flugblatt. Ein Arbei­ter sagte zu uns: O, die Kluva­mi­chl, die meinen vielleicht, daß die uns betrü­gen und anlügen können. Als ich zuhau­se anlang­te, war ich sehr froh, denn ich war müde von der langen Lauferei.

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Herr Meinrad Merz, Jahrgang 1927, Cousin von Sepp Merz, lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1980 im Alter von 53 Jahren in Oberko­chen. Bei Fußball­spie­lern und Anglern ist er wohlbe­kannt. Das Einver­ständ­nis zum Abdruck des Aufsat­zes erteil­te sein Sohn Wolfgang.

Oberkochen

6) Ein Flugzeug landet!
verfaßt von Emil Elmer am 26.10.1942
Gestern abend um 6 Uhr fütter­ten ich und meine Schwes­ter Lotte meine Hühner, Hasen und Enten. Nachher brach­te ich das Bier ins Kaltwalz­werk. Ich war gerade dabei, die leeren Flaschen zusam­men­zu­su­chen, da hörte ich plötz­lich, daß ein Flugzeug nieder daher­ge­braust kam. Das Flugzeug machte eine schar­fe Kurve nach links. Plötz­lich verstumm­te das Dröhnen des Motors und das Flugzeug schoß im Steil­flug auf die Erde zu. Der Flugzeug­füh­rer fing das Flugzeug ab und nun dröhn­te der Motor auf. Über dem Haus des Bahnwär­ters Baier kurvte er nach links und kam aufs Kaltwalz­werk zu. Ich ließ alles liegen, und meine Schwes­ter schrie in die Glühe­rei hinein »Ein Flieger landet! Ein Flieger landet!« Jetzt kam das Flugzeug immer weiter herun­ter. Da! Jetzt setzte es auf, und ich rannte, was ich konnte, dem Flugzeug entge­gen. Jetzt blieb das Flugzeug stehen. Der Beobach­ter sprang heraus und fragte mich: »Wie heißt der Ort hier?« Ich sagte »Oberko­chen bei Aalen«. Er fragte mich dann: »Kann man im Werk telefo­nie­ren?« Ich sagte »Ja«. Inzwi­schen kamen viele Leute herbei­ge­rannt, um das Flugzeug zu sehen. Herr Könn war auch bei den ersten. Er ging dann mit dem Beobach­ter ins Büro. Der Flugzeug­füh­rer stell­te nun die Maschi­ne so hin, damit sie gleich starten könnten. Der Flugzeug­füh­rer stieg dann aus und zog seine Kombi­na­ti­on aus. Er sagte: »Keiner darf hinlan­gen«. Ich ging dann nach Haue, denn es war schon Nacht gewor­den. Heute werden sie jeden­falls wieder starten.

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Auch bei Herrn Emil Elmer wurde durch die Lektü­re des vor 54 Jahren von ihm geschrie­be­nen Aufsat­zes jeder Moment der Gesamt­si­tua­ti­on gegen­wär­tig. Er ergänzt heute:

Es war »a kloine »Klemm 130« für 2 Mann«, ein sogenann­ter Tiefde­cker, der als Schulungs­flug­zeug von der Luftwaf­fe einge­setzt wurde. Gebaut wurde sie in Nürtin­gen. Das Flugzeug war in Böblin­gen gestar­tet und kam aus Richtung Aalen. Es hatte sich offen­bar etwas »verfranst« und hätte sein Ziel nicht mehr erreicht, ohne in die Nacht zu kommen. Beim Start am nächs­ten Morgen gewann die Maschi­ne etwas langsam an Höhe und schoß »keine andert­halb Meter« über die Pappeln weg.

Das war in der 7. Klasse. Herr Elmer war genau 12 Jahre und 9 Monate alt, als er den Aufsatz in der Dreißen­tal­schu­le (Fuchs­bau) oben rechts schrieb.

Übrigens sei der »junge Röchling« so zwischen 1930 und 1932 hin und wieder mit einem Doppel­de­cker in den Wiesen da unten gelandet.

Dietrich Bantel

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