Am 6. Oktober übergab mir Herr Josef Rosen­ber­ger das noch beweg­li­che Teilstück einer Licht­putz­sche­re, das dessen Bruder Alfons in einem Humus­hau­fen in der Schwörz gefun­den hatte. Der Humus­hau­fen hatte die obers­te Schicht des Gelän­des gebil­det und war vor dem Aushe­ben der Baugru­be für einen Erwei­te­rungs­bau der Firma Röchling-Kaltwalz­werk beisei­te gescho­ben worden. 2 Schüler der Dreißen­tal­schu­le hatten dort bereits kleine­re neuzeit­li­che Funde getätigt und mir gemeldet.

Das alte Haushalts­ge­rät ist aus einer nicht­ros­ten­den Legie­rung einfach gearbei­tet und nur im Scher­arm­an­satz durch 6 diago­nal verlau­fen­de manuell einge­brach­te vertief­te Linien verziert. Der Griff ist aus einem sich verjün­gen­den Vierkant gebogen und am Ende gegen­läu­fig geschwun­gen einge­rollt. Gesamt­län­ge der Schere 15,5 cm, Höhe der Docht­kam­mer 1,7 cm. In der Zeich­nung wurde versucht, den fehlen­den Teil des Geräts zu ergän­zen (gestri­chelt).

Oberkochen

Das Landes­denk­mal­amt (Dr. Arnold, Dr. Groß) teilt mit Schrei­ben vom 23.10. mit, daß das Gerät zwischen dem 17. und 19. Jahrhun­dert, eher nicht so früh, einzu­stu­fen ist, das heißt, daß es zwischen 100 und 300 Jahre alt sein kann. Der Heimat­ver­ein wäre sehr daran inter­es­siert zu erfah­ren, ob sich in Oberko­che­ner Famili­en­be­sitz mögli­cher­wei­se noch alte Licht­putz­sche­ren befinden.

Was eine »Licht­putz­sche­re« ist, wird nur noch unseren älteren Lesern geläu­fig sein. Deshalb sei an dieser Stelle die Erklä­rung des Begriffs aus dem großen Brock­haus gegeben:

Mit der Licht­putz-Schere, auch Licht­put­ze, Licht‑, Docht­sche­re, wurde der Docht der Kerze von Zeit zu Zeit gekürzt (Fachaus­druck: schnäu­zen), um eine gut leuch­ten­de Flamme zu haben oder bei rußen­dem Ende schnel­les Abbren­nen zu vermei­den. Die Licht­putz-Schere ist schon im alten Testa­ment bezeugt. Bis in das 15. Jh. wurden einfa­che Scheren verwen­det; seit der 2. Hälfte des 16. Jh. ist im Scher­en­teil ein Kästchen, das den Docht, der früher herab­fiel, aufnahm. Als Materi­al wurde vorwie­gend Bronze, Messing, Eisen, nach 1800 auch Stahl verwen­det. Die langsa­mer brennen­den Stearin- und Paraf­fink­er­zen machten die Licht­put­ze-Schere überflüssig.

Eine über 80-jähri­ge Tante erklär­te mir, daß die Kerzen in alter Zeit aus Talg oder, wie man zu dem Talg auch sagte, Unschlitt, herge­stellt wurden. (Natür­lich auch aus Wachs).

Talg oder Unschnitt ist eine körnig feste gelbli­che Fettmas­se, die aus inneren Fettge­we­ben, u.a. von Rindern Speise­fett, Seifen und Kerzen verwen­det wurde. Eine andere Bezeich­nung für Talg oder Unschlitt ist Inselt. Wachs­ker­zen gibt es bis auf den heuti­gen Tag, und hin und wieder rußen sie bis auf den heuti­gen Tag, was vor allem an der unter­schied­li­chen Docht­qua­li­tät liegt. Mitte des 19. Jahrhun­derts wurde in England ein dünner praktisch nicht rußen­der Docht erfun­den, der wesent­lich mit dazu beitrug, daß die Licht­putz­sche­ren nicht mehr benötigt wurden.

Frau Heidrun Heckmann, Archiv der Stadt Aalen, konnte aus einem Brauch­tums­le­xi­kon noch zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen besor­gen, derzu­fol­ge die »Liech­t­put­zer« in Uralt­zei­ten aus Holz sein konnten, was aus dem Sprich­wort hervor­geht: »Man kan nicht aus iedem Holtz ein Abbrech oder Liech­t­put­zer machen«. 2 weite­re alte Redens­ar­ten weisen darauf hin, daß das Licht­put­zen am Hofe oder in hochherr­schaft­li­chen Häusern ein offen­bar wenig angese­he­ner Job war: »’s kommt kei Licht­put­zer (auch Licht­putz­scher) in Himmel«, oder »’s isch no nie e Licht­put­zer in Himmel komme ausser es starb e Nägele (fehlt ein Nagel zum Aufhängen)«.

Ganz offen­sicht­lich ekelte auch Goethe die Licht­put­ze­rei an. Er dichte­te: »Weiß nicht, was sie Besse­res erfin­den könnten, als wenn die Lichte ohne Putzen brenn­ten.«
Erst der elektri­sche Strom löste das Problem.

Der Begriff »Lichtputzscher(e) hat noch eine 2. Bedeutung.

An der Hochzeit meiner Eltern (1932), so habe ich aus Erzäh­lun­gen gespei­chert, wurde eine »Licht­putz­scher« (man sagte »Licht­but­sch­ähr«) aufge­führt, etwa wie eine Moritat, deren Anfang ich behal­ten habe:
»Isch des net a Licht­but­sch­ähr?« Alle: »Ja des isch a Licht­but­sch­ähr.«
»Schnei­det sie nicht kreuz und quer?« Alle: »Ja sie schnei­det kreuz und quer.«

Meine Eltern hatten ihre »Hochzeits­licht­but­sch­ähr« lange aufbe­wahrt — irgend­wann war sie verschwun­den. Sie hatte aus einer langen, etwa 50 cm breiten, aus Stücken zusam­men­ge­kleb­ten auf einen runden Stab aufge­wi­ckel­ten Papier­rol­le bestan­den, auf der mindes­tens 30 Illus­tra­tio­nen in Einzel­bil­dern hinter­ein­an­der gemalt waren. Zu diesen Bildern gab es die entspre­chen­de Anzahl auf das Hochzeits­paar zugeschnei­der­te Reime. Während die Rolle von 2 Perso­nen immer weiter abgewi­ckelt wurde, trug eine 3. Person die Verse vor. Nach jedem Vers sang die Hochzeits­ge­sell­schaft auf die Melodie von »blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vater­land«, folgen­den Refrain:

»Oh du liebe, oh du gute, oh du schöne Lichtbutschähr«.

Ich hatte mir nie einen Reim darauf machen können, was diese Art von Darbie­tung mit einer Licht­putz­sche­re zu tun hat. Auch noch leben­de Fröbel­se­mi­nar­kol­le­gin­nen meiner Mutter konnten nicht weiter­hel­fen. So war es wirklich aufschluß­reich, in dem Brauch­tums­le­xi­kon von Frau Heckmann zu lesen: »Auf der Fastnachts­knei­pe des Gymna­si­ums werden die Lehrer in der Lichtputzscher(e), einer gesun­ge­nen Kneip­zei­tung, durch­ge­he­chelt«, das heißt wohl, daß der Brauch, eine Licht­putz­sche­re aufzu­füh­ren, insofern mit dem Haushalts­ge­rät zusam­men­hängt, als in der Pennä­ler­zei­tung und sicher­lich auch in studen­ti­schen Kneip­zei­tun­gen, so wie dies heute noch in den »Abizei­tun­gen« geschieht, die Kommi­li­to­nen und Lehrkräf­te kreuz und quer mit der wenig angese­he­nen Betäti­gung des Licht­put­zers, der mit dem Schmutz hantie­ren muß, in Verbin­dung gebracht und so durch den Dreck, später den Kakao, gezogen wurden. Positiv betrach­tet konnte das bedeu­ten, daß durch das Abhan­deln der Makel oder anderer Eigen­hei­ten einer Person diesel­be auf diese aufmerk­sam gemacht wird und somit die Chance zur Läute­rung hat — das heißt, daß sie an sich arbei­ten und ihr Licht hernach wieder unver­schmutzt leuch­ten lassen kann. *)

Das Boshaf­te der ursprüng­li­chen Morita­ten-Licht­putz­sche­re (Morita­ten sind Mordta­ten, also Rühr- oder Schau­er­ge­schich­ten, von denen die Bänkel­sän­ger des Mittel­al­ters berich­te­ten) mag zuguns­ten der Beschrei­bung der mehr positi­ven oder sonst­wie erwäh­nens­wer­ten oder unter­halt­sa­men Begeben­hei­ten aus dem Leben der zukünf­ti­gen Ehegat­ten oder anderer besun­ge­ner und bedich­te­ter Perso­nen gestri­chen worden sein.

*) Mögli­cher­wei­se hat auch der Begriff des »Zurecht­stut­zens« etwas mit licht­put­zen und Lichtputzscher(e) zu tun, auch im übertra­ge­nen Sinn.

Dietrich Bantel

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