»Ein Haus am Kocher­ur­sprung (16 Einwoh­ner), hier stand länge­re Zeit ein Hochofen und 1745 wurde eine Schla­cken­wä­sche hier gebaut«, so sagt die Oberamts­be­schrei­bung Aalen vom Jahr 1854. Gegen Ende des vorigen Jahrhun­derts wohnt aber am Kocher­ur­sprung nur noch eine Familie, der kurz vor der Jahrhun­dert­wen­de die folgen­de Geschich­te widerfährt.

Unerbe­te­ner Besuch
Am 11. Oktober 1899 kreuzt Hugo V. aus Unter­ko­chen bei den Bewoh­nern des einsa­men Hauses am Kocher­ur­sprung auf. Hugo, zwar gelern­ter Maschi­nen­schlos­ser, ist ein Tunicht­gut ersten Ranges und schon etliche Male mit dem Gesetz in Konflikt gekom­men. Verständ­li­cher­wei­se sind weder die Schwes­ter des Hausherrn samt zwei Töchtern, noch der Hausherr selbst und dessen Sohn vom Besuch entzückt, hat dieser doch vor einiger Zeit dazu beigetra­gen, daß der Hausherr der Hehle­rei verdäch­tigt einge­locht und erst nach 30 Tagen wieder freige­las­sen wurde, nachdem sich dessen Unschuld heraus­ge­stellt hatte.

Also fällt der Empfang des ungebe­te­nen Gastes eher frostig als herzlich aus. Deshalb verzieht sich Hugo zunächst an die Kocher­quel­le, wo er unter einem Baum von den Schät­zen träumt, die er in der ehema­li­gen Schla­cken­wä­sche zu ergat­tern hofft.

Geld ergau­nert
Am Nachmit­tag ist es dann soweit. Die Erwach­se­nen gehen zur Arbeit, nur eine der Töchter hütet krank Haus und Bett. Da steigt Hugo auf den Dachbo­den, wo er in einem Schrank das Objekt seiner Träume vermu­tet. Er bricht ihn auf. Ehe er aber gefun­den hat, was er sucht, wird er von der Schwes­ter des Hausherrn, die früher als erwar­tet zurück­ge­kehrt ist, in flagran­ti ertappt. Zur Rede gestellt barmi­siert er und sagt, er habe sich für sechs Jahre als Soldat nach Afrika verpflich­tet und benöti­ge deshalb etwas Bargeld. Er habe zwar in München 200 Mark erspart und in Stutt­gart bekom­me er in den nächs­ten Tagen 180 Mark ausbe­zahlt, aber momen­tan besit­ze er keinen roten Pfennig Bargeld. Ob man ihm vielleicht mit fünfzig Mark aushel­fen könne?

Nein, ist die Antwort der Frau, sie besit­ze zwar einen Fünfzig­mark­schein, aber den benöti­ge sie selbst. Schließ­lich läßt sie sich erwei­chen und gesteht Hugo eine kleine Beihil­fe zu. Aber wie soll dies gesche­hen, wo doch nur ein Fünfzig­mark­schein vorhan­den ist? Doch da weiß Hugo schnel­len Rat und sagt, er wolle den Schein im Dorf wechseln lassen und könne sogar eine Flasche mitneh­men, um für die kranke Tochter ein wenig Wein als Stärkung zu besor­gen. Soviel Edelmut und die Aussicht, den unbeque­men Gast bald los zu sein, verlei­ten die Frau, dem Handel zuzustim­men: Hugo samt Fünfzig­mark­schein entschwin­det in Richtung Oberko­chen — und anstatt an den Geldwech­sel auch nur im Entfern­tes­ten zu denken, fährt der Schwe­re­nö­ter mit dem Mittags­zug nach Aalen und läßt es sich dort im »Grünen Baum« wohl sein.

Entkom­men!
Als der Hausherr später nach Hause kommt, findet er den aufge­bro­che­nen Schrank samt beläm­mert drein­schau­en­der Schwes­ter, der inzwi­schen schwant, daß sie ihr sauer verdien­tes Geld nie mehr wieder­se­hen würde. Doch der Mann handelt. Er läuft rasch ins Dorf, erfährt dort von der Abfahrt des Besuchers und telegra­phiert dem Aalener Stati­ons­kom­man­dant »Faßt den Dieb, vermut­lich sitzt er im »Lamm«? (das ist Hugos Aalener Stammkneipe).

Der Polizei­chef sendet darauf­hin sofort einen Boten zum »Lamm«. Doch dieser verspürt unter­wegs plötz­lich unbän­di­gen Durst und kehrt zur Stillung dessel­ben justa­ment im »Grünen Baum« ein, wo — wie wir wissen — auch Hugo Stati­on gemacht hat. Und wie es eben so zu gehen pflegt, es bleibt nicht bei einem Glas Bier, weite­re folgen und lockern die Zungen des Boten. Schließ­lich plaudert er aus, was seine Missi­on ist, nämlich im »Lamm« einen Dieb aus Oberko­chen dingfest zu machen.

Dieser jedoch sitzt mit gespitz­ten Ohren am Neben­tisch, grinst sich eins und verduf­tet klamm­heim­lich ohne zu bezah­len remstal­ab­wärts. Doch schon in Lorch hat er das gesam­te Geld verjubelt.

Zurück zum Kocher­ur­sprung
Als Hugo nun mittel­los dasteht, beschließt er, nochmals nach Oberko­chen zurück­zu­keh­ren, denn wo einmal fünfzig Mark zu ergat­tern waren, da müßte noch mehr zu holen sein, — und macht sich, unter­wegs durch etwas Mundraub den Hunger stillend, erneut auf den Weg zum Kocherursprung.

Was dann passiert, wird uns folgen­der Bericht schildern.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

Unsere Abbil­dung stellt einen Ausschnitt aus der Urkar­te von 1830 dar. Sie wurde uns freund­li­cher­wei­se durch Herrn Hersa­cher vom Staat­li­chen Vermes­sungs­amt Aalen in der Kopie zur Verfü­gung gestellt.

Die Karte zeigt:

  1. Das Gebäu­de »Schla­cken­wä­sche«, wie es in der Oberamts­be­schrei­bung von 1854 mit 16 (kath.) Einwoh­nern beschrie­ben ist. In der Beschrei­bung ist auch auf den Schla­cken­weg (5) Bezug genommen.
  2. Die Kocher­quel­le des schwar­zen Kochers. Sie hat sich in den 165 Jahren seit der karto­gra­phi­schen Aufnah­me durch rückschrei­ten­de Erosi­on beträcht­lich nach Süden verlagert.
  3. Den Kocher­ka­nal, der aus der Zeit des an dieser Stelle von 1559 — 1634 (Schlacht bei Nördlin­gen) betrie­be­nen Hochofens stammt.
  4. Die »Kocher­in­sel«.
  5. Den »Schla­cken­weg«. Laut Karte sind die südlich an den Bereich der Kocher­quel­le gelege­nen Äcker gemeint. Als »Schla­cken­weg« wird jedoch auch der Beginn des Sträß­chens ins Tiefen­tal bezeichnet.

In den 4‑bändigen 1904 — 1907 erschie­ne­nen Werk »Das König­reich Württem­berg« ist in dem 1906 erschie­ne­nen Band »Jagst­kreis« das Gebäu­de »Schla­cken­wä­sche« als »Haus mit 5 Einwoh­nern, am Ursprung des Kochers, wo länge­re Zeit ein Hochofen stand, 1745 erbaut«, immer noch geführt. Einiges deutet jedoch darauf hin, daß das Gebäu­de »Schla­cken­wä­sche« zu diesem Zeitpunkt bereits abgebro­chen war. (Zwischen 1904 und 1906?).

In unserem Bericht 250 veröf­fent­li­chen wir ein Foto, das ein Neben­ge­bäu­de der sogenann­ten »Schla­cken­wä­sche«, das als Geräte­schup­pen bis ca. 1963 bestan­den hat, zeigt.

Dietrich Bantel

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