Der Karst der Schwä­bi­schen Alb ist mit Klüften, Spalten und Hohlräu­men durch­setzt, die sich teils zu echten Höhlen erwei­tern, teils auch nur unter­ir­di­sche Wasser­läu­fe führen. Diese »Innen­ar­chi­tek­tur« unserer Landschaft war Anlaß zu Sagen und Erzäh­lun­gen, die nun durch eine weite­re ergänzt werden soll. Zunächst aber rekapi­tu­lie­ren wir die beiden bekann­tes­ten Geschich­ten kurz:

Der Schäfer vom Wollen­berg
Der Schäfer war eines Tages mit seiner Frau in Streit geraten — sie hatte das Essen nicht recht­zei­tig gebracht, zudem schmeck­te es nicht! — in dessen Verlauf er sie erschlug und dann ihren Leich­nam im Wollen­loch verschwin­den ließ. Doch einige Zeit später fand man die Pantof­feln der Schäfers­frau in der Quelle bei der Ziegel­hüt­te. Waren sie durch Spalten und Klüfte dorthin geschwemmt worden? Als ein Experi­ment die Frage bejah­te — man hatte mit Tierblut gefärb­tes Wasser ins Wollen­loch gegos­sen und dieses trat dann in der Quelle zutage — entzog sich der Schäfer seiner Verhaf­tung durch eilige Flucht ins bayeri­sche Ausland.

Der Höhlen­d­ackel vom Griebi­gen Stein
Obwohl einst der Jagdhund eines Oberko­che­ner Jägers spurlos in der Höhle am Griebi­gen Stein verschwand, war er doch nicht auf Nimmer­wie­der­se­hen in die ewigen Jagdgrün­de einge­gan­gen. Nein, es gibt sogar zwei Versio­nen für ein Happy-End der Geschich­te. Die erste besagt, der Dackel — um einen solchen handel­te es sich nämlich — sei beim Pulver­turm wieder ans Tages­licht gekom­men, die zweite erzählt gar davon, der Hund habe Kürze und Krümmung seiner Beine dazu benutzt, bis zum Königs­bron­ner Kloster­kel­ler vorzu­drin­gen.
Nun aber die dritte, wohl unbekann­te Geschich­te vom

Ebnater Gänse­wun­der
Vermut­lich wußten die Ebnater in grauer Vorzeit nichts davon, daß im fernen Rom einmal Gänse das Kapitol mit ihrem Geschnat­ter vor dem Feind geret­tet haben sollen. Gleich­wohl schrie­ben sie Gänsen heimli­che Kräfte zu, die sich in deren unbeherrsch­tem Zischen äußer­ten, Kräfte, die auch imstan­de sein mußten, den in einer finste­ren Höhle des Härts­fel­des hausen­den Wetter­gott wohlge­son­nen zu stimmen. Bemer­kens­wer­ter­wei­se war dieser Wetter­gott nicht am oder im Himmel zu finden, sondern er saß als häßli­ches Unwesen in einer finste­ren Höhle, was vielleicht auch erklärt, warum man früher unfolg­sam Kindern mit Verfrach­ten auf das Härts­feld drohte. Wie dem auch sei, wenn die Ebnater um gut Wetter bitten wollten, nahmen sie zwei fette Gänse, putzten sie mit Bändern und Schel­len und trieben sie in den Wald dorthin, wo sie den Wetter­gott in seiner Höhle vermuteten.

Zu jener Zeit hatten zwei fahren­de Gesel­len die Stein­höh­le bei Neres­heim zum Stand­quar­tier auser­ko­ren. Hier war es trocken und geschützt, aber der Felsen, den sie als Tisch benutz­ten, war meist leer — bis zu dem Tag, als sie im Dunkel der Höhle ein Geschnat­ter vernah­men und fürch­te­ten, der Leibhaf­ti­ge würde kommen, um sie wegen verschie­de­ner Gaune­rei­en zur Rechen­schaft zu ziehen. Aber o Wunder, es kam ganz anders.

Nein, nicht »es« kam, sondern was da der Schlund der Höhle ausspuck­te, waren zwei Gänse, zwar in einer etwas komischen Aufma­chung, aber doch leben­dig und wohlge­nährt. Als sich die beiden Gesel­len vom ersten Schre­cken erholt hatten, schlüpf­ten sie unver­se­hens in die Rolle des Ebnater Wetter­got­tes, nahmen das Opfer gnädig an, und so fand die rituel­le Wande­rung der Gänse ein für solche Tiere fast normal zu nennen­des Ende in einer Braten­pfan­ne über dem offenen Höhlenfeuer.

Einige Zeit später kamen die beiden Gesel­len nach Ebnat und erleb­ten zufäl­lig mit, wie die Bewoh­ner wieder einmal für gutes Wetter sorgen sollten. Da fiel es ihnen wie Schup­pen von den Augen und sie erkann­ten den reellen Hinter­grund ihres Gänse­wun­ders. Weil sie cleve­re Burschen waren, hielten sie ihren Mund und bekann­ten sich als eifri­ge Anhän­ger des Ebnater Glaubens. Jedes­mal, wenn sie fortan die Lust auf Gänse­bra­ten überkam, zogen sie gen Ebnat, predig­ten dort Buße und forder­ten die Bewoh­ner auf, ihrem Gott zwei Gänse zu opfern. Ihn bei guter Laune haltend, sollten sie für entspre­chen­des Wetter sorgen — und natür­lich auch für das leibli­che Wohl der Höhlen­be­woh­ner (worüber sie aber tunlichst kein Sterbens­wört­chen verloren).

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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