Im alten Ortskern Oberko­chens ragen zwei Kirch­tür­me empor. Sie zeugen davon, daß in der Gemein­de am Ursprung des Schwar­zen Kochers schon seit der Refor­ma­ti­ons­zeit die katho­li­sche und die evange­li­sche Konfes­si­on gleich­zei­tig anzutref­fen waren. Neben der größe­ren und älteren katho­li­schen Schwes­ter nimmt sich das evange­li­sche Gottes­haus eher beschei­den aus. Beide Kirchen erheben sich auf dem Areal, auf welchem auch schon mindes­tens jeweils eine Vorgän­ge­rin stand. Die evange­li­sche Kirche im alten Ortskern verlor 1968 ihre Funkti­on als Gottes­haus, nachdem am 3. Advent 1968 die moder­ne Versöh­nungs­kir­che in der Nähe des neuen Oberko­che­ner Stadt­zen­trums einge­weiht worden war. Darauf­hin blieb das Schick­sal der nunmehr »alten« evange­li­schen Kirche mehre­re Jahre lang ungewiß. Verschie­de­ne Pläne — von der Verwen­dung als Lager­hal­le bis zur Einrich­tung der Stadt­bi­blio­thek oder gar dem Abbruch — beweg­ten die Gemüter. Schließ­lich setzte sich die letzt­ge­nann­te Varian­te als beste Lösung durch, und es zog wieder geistig-musika­li­sches Leben in den Sakral­bau ein. Die Stadt­bi­blio­thek, die in den Erdge­schoß­räu­men des Rathau­ses aus allen Nähten gequol­len war, bekam auf diese Weise einen sehr stilvol­len neuen Stand­ort. Der äußere Gesamt­ein­druck der alten evange­li­schen Kirche als wichti­ges städte­bau­li­ches Element blieb fast unver­än­dert erhal­ten. Innen schuf eine teilwei­se einge­zo­ge­ne Zwischen­de­cke großzü­gi­ge Stell­flä­chen für die zahlreich vorhan­de­nen Bücher.

Diese Zwischen­de­cke greift — bewußt oder unbewußt — eine ganz alte bauli­che Tradi­ti­on der evange­li­schen Kirche in Oberko­chen auf. Schon der erste — im Jahre 1583 bezoge­ne — evange­li­sche Bau verfüg­te über eine solche Zwischen­de­cke, und auch diese diente in gewis­sem Sinne zur Vergrö­ße­rung der Stell­flä­chen. Aller­dings war damals nicht an zahlrei­che Bücher, sondern an die Tische, Schrän­ke und Betten der pfarr­herr­li­chen Familie gedacht. Diese Zwischen­de­cke ersetz­te nämlich den Bau eines separa­ten Pfarr- und Schul­hau­ses für die arme evange­li­sche Gemein­de, die in dieser Zeit etwa 250 Perso­nen in 30 Häusern umfaßte.

Von Anfang an wurde der bauli­che Zustand der Kirche beklagt. Eine Mängel­lis­te aus dem Jahre 1747 gibt beredt Auskunft:

»1. In der Kirchen hat man wegen Anwach­sen der Gemein­de ettli­che Stühle nöttig, in deme oft, sonder­lich bey Weibern, 14 Persoh­nen in einem Stuhl (= Kirchen­bank) stehen sollen, der nur 8 faßt.

2. Das Dach sollte mit einer Rinne verse­hen seyn, das Nicht bey jedem Regen die Sacris­tey voll Wässer, und die ganze Seiten­mau­er verder­ben würde.

3. In der Wohn- und Studier­stu­ben mangeln neue Fenster, weil bey Winden kein Licht auf den Tisch, und im Winter keine Wärme ohne gefähr­li­ches starkes Feuer zu erhal­ten (ist).

4. Die Kamine sind schad­haft, und die Küche in Gefahr in die Kirche hinunterzubrechen.

5. Der Boden in der Wohnstu­ben, und unter dem Dach ist so elend, daß man dort kaum gehen, und hier nur mit größtem Schaden die wenige Frucht von dem ohnehin kostbarn Güthle aufhe­ben kann.

6. Der Keller ist fast immer voll Wasser, da doch mit wenigem ein Dohl könnte gemacht werden.

7. An dem bei der Kirche liegen­den Kirch­hof sollte ein kurze Maur geführt seyn weil der hölzer­ne Zaun stets verris­sen (ist), und alles Ungezü­fer hinein läuft.«

Der Grund für die ständi­ge Feuch­tig­keit in Kirche lag darin, daß sich der Fußbo­den etwa einen Meter unter­halb des Straße­n­i­veaus befand.

Zur Kirche selbst gehöre eine nicht beheiz­ba­re Sakris­tei mit direk­ter Verbin­dung zur Kanzel, die auf der linken Seite lag. Im Kirchen­raum befand sich gegen­über der Kanzel eine kleine Orgel. Im Gottes­dienst saßen die Männer links, die Frauen rechts. Eine Empore fehlte, da sich im zweiten Stock der Kirche die Pfarr­woh­nung befand. Zu dieser gehör­ten außer der Küche drei heizba­re Zimmer und wenige nicht heizba­re Kammern. Natür­lich gab es kein fließen­des Wasser — wenn man vom nahe vorbei­ei­len­den Kocher absieht. Trotz­dem hatte gerade in der Pfarr­kü­che die ständi­ge Feuch­tig­keit dem Holz der Kirchen­de­cke so sehr gescha­det, daß in der Mitte des 19. Jahrhun­derts die tragen­den Balken morsch und faul gewor­den waren, sich Risse zeigten und die Kirche renoviert werden mußte.

Oberkochen

Den Abschluß des Gottes­hau­ses nach oben bilde­te ein Sattel­dach, das einen kleinen Reiter trug. Diese geldspa­ren­de Konstruk­ti­on stand in der Tradi­ti­on schlich­ter zister­zi­en­si­scher Kirchen­bau­ten — die evange­li­sche Kirchen­ge­mein­de Oberko­chen begann ja als Filia­le des Zister­zi­en­ser­klos­ters Königs­bronn. 1825 erwei­ter­te die Kirchen­ge­mein­de den Dachrei­ter zu einem kleinen Holzturm, der drei Glocken aufnahm, aber nicht mit einer Turmuhr ausge­stat­tet wurde.

Neben der Kirche stand eine kleine Scheu­er, die zur Pfarr­woh­nung gehör­te. In dieser Scheu­er befand sich ein Viehstall und ein kleiner, im Frühjahr oft vom Schmelz­was­ser überschwemm­ter Keller­raum. Ein Schwei­ne- und ein Geflü­gel­stall, ein Holzschup­pen, eine Wasch­kü­che und ein lange Zeit nicht funktio­nie­ren­der Backofen runde­ten das kirch­li­che Anwesen baulich ab. Nach 1870 entschloß sich die evange­li­sche Gemein­de zu einem Kirchen­neu­bau an der alten Stelle. Sie riß das Gottes­haus von 1583 ab und errich­te­te auf dessen Grund­mau­ern ein neues, das am 3. Oktober 1875 seiner Bestim­mung überge­ben wurde. Gleich­zei­tig entstand auch ein separa­tes Pfarrhaus.

Oberkochen

Diese zweite evange­li­sche Kirche glich ihrer Vorgän­ge­rin in vielen Punkten. Auch sie wies wieder einen Dachrei­ter ohne Turmuhr auf, aller­dings wichen die Neben­ge­bäu­de der alten Kirche einem gepflas­ter­ten Platz. Auch sie blieb ohne Wasser­an­schluß. Eine erste Heizung erhielt sie nachträg­lich im Jahre 1895.

Zum Einzug in das neue Gottes­haus mußten die noch keine 20 Jahre alten Glocken durch neue ersetzt werden. Aber auch dieses neue Geläu­te blieb nicht sehr lange erhal­ten. Im Ersten Weltkrieg wurden zwei der drei Glocken wegen des Metalls vom Staat einge­zo­gen. Die 1921 wieder ergänz­ten Glocken erlit­ten im Zweiten Weltkrieg das gleiche Schick­sal wie ihre Vorgän­ge­rin­nen. Nachdem 1949 die Dreistim­mig­keit durch großzü­gi­ge Spenden wieder herge­stellt war, kam die Idee auf, noch eine vierte, große und schwe­re Glocke anzuschaf­fen. Weil es wegen der Bausta­tik Unsicher­hei­ten gab, mußte ein Fachmann hinzu­ge­zo­gen werden. Dieser stell­te fest, daß der kleine Turm die Last von vier Glocken halten könne, wenn man ihn mit einigen Stahl­stre­ben verstär­ke. Nachdem das gesche­hen war, bestell­te die Gemein­de die vierte Glocke. Viele Schau­lus­ti­ge wollten miter­le­ben, wie das vierstim­mi­ge Geläu­te zum ersten Mal zu hören war. Die Glocken mußten damals noch von Hand, also mit dem Glocken­seil, in Bewegung gesetzt werden. Wahrschein­lich zog man am Tage der Einwei­hung beson­ders kräftig an den Seilen. Es läßt sich leicht der große Schreck vorstel­len, der durch die Reihen der Schau­lus­ti­gen ging, als plötz­lich mit dem Erklin­gen der Glocken auch das gesam­te Kirchen­dach in Bewegung geriet. Augen­zeu­gen berich­te­ten, das Dach habe sich mit den schwe­ren Glocken hin- und herbe­wegt. 1950 verbot das Gewer­be­auf­sichts­amt das Glocken­läu­ten unter diesen Voraus­set­zun­gen. Damit blieben nur zwei Möglich­kei­ten: entwe­der die große Glocke nicht mehr zu benüt­zen, oder einen stabi­le­ren Turm zu bauen. Die Gemein­de entschied sich für den Kirch­turm, der dann 1951/52 direkt neben der Kirche entstand; er blieb ebenfalls ohne Turmuhr.

Pfarrer Hornber­ger (1827 — 1834 ev. Seelsor­ger in Oberko­chen) hatte konsta­tiert: »Die auf dem Turm der Katho­li­schen Kirche im Ort befind­li­che Kirchen­uhr macht eine solche für die evange­li­sche Kirche entbehr­lich.« — Und dabei blieb es.

Der letzte grund­le­gen­de Eingriff vor dem Umbau zur Stadt­bi­blio­thek (1980÷81) erfolg­te 1955 anläß­lich einer Innen­re­no­vie­rung, die unter Aufsicht von Ernst Warmer stand. Der Künst­ler fertig­te dabei auch das Altar­bild »Chris­ti Verklä­rung«, das heute die Versöh­nungs­kir­che schmückt. Die Gottes­dienst­be­su­cher konnten im Kirchen­schiff auf 2 mal 11 Bänken Platz nehmen.

Über dem zur Straße gelege­nen Eingang und auf der linken Seite befand sich eine Empore, vorne rechts erhob sich die Kanzel. Genau über der Eingangs­tür stand auf der Empore eine Orgel aus der Ferti­gung der Gebrü­der Link aus Giengen (1875), die acht Regis­ter aufwies und die um 1937 einen elektri­schen Motor für den Blase­balg erhielt. Zuvor mußten der Mesner und seine Frau als Orgel­tre­ter für die nötige Luft sorgen. Eine weite­re techni­sche Neuerung hielt 1956 Einzug: ab Pfings­ten diesen Jahres ersetz­te ein elektri­sches Läutwerk das kräfti­ge Ziehen an den Glocken­sei­len, wenn geläu­tet werden sollte.

Dr. Christ­hard Schrenk

Richtig­stel­lung zu unserem Foto von der alten evange­li­schen Kirche im Bericht vom 1.7.88 (Nr. 24), BuG Seite 542:

Das Foto wurde verse­hent­lich falsch datiert. Die Aufnah­me wurde im Jahr 1949 von Herrn Rudolf Kristen auf Glasplat­te gemacht. Die Origi­nal­plat­te ist noch vorhanden.

Dietrich Bantel

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