Vom wohlgelungenen und durch das Wetter begünstigten Fronleichnamsfest, dem jedoch ein schrecklich wütender Wirbelsturm gefolgt war, hat die vorhergehende Folge berichtet. Knapp drei Wochen verbleiben den Oberkochenern im Sommer 1927 Zeit zur Beseitigung der Unwetterschäden, dann galt es wieder ein Fest zu feiern.
Teil 2: Jubiläum mit Fahnenweihe beim Sängerbund
Die Vorbereitungen zum fünfzigjährigen Sängerbundjubiläum liefen auf vollen Touren: Sonderproben, Ausschußsitzungen, Instandsetzen des Festplatzes, Schmuck für Straßen und Häuser — und immer wieder bange Blicke zum Himmel, denn das Unwetter vom 18. Juni lag den Oberkochenern noch schwer auf der Seele. Zunächst hatte Sonnenschein am Wochenbeginn gute Aussichten angezeigt, aber »am Freitag begann der Himmel, sein Gesicht in Falten zu legen, zu drohen und die Pläne zu durchkreuzen. Am Sonntagnachmittag nieselte es zeitweilig, aber der finster dreinschauende Himmel heiterte sich bald wieder auf«.
Rückerinnerung
Am 1. Oktober 1882 hatte schon einmal eine Fahnenweihe stattgefunden, zu der laut Inserat in der Kocher-Zeitung »die Einwohner der Umgegend von Stadt und Land freundlich eingeladen waren« — und 13 Nachbarvereine waren nach Oberkochen gekommen. Selbst die K.Württembergische Eisenbahnverwaltung hatte mitgespielt, denn »der um einhalb acht Uhr durchfahrende Schnellzug hielt ausnahmsweise an diesem Tag in Oberkochen«.
Im Zeitungsbericht zum Fest sind drei Personen hervorgehoben: Schultheiß Wingert als Ortsvorsteher und Schirmherr des Festes, Gründungsmitglied M. Balle, der die Festrede hielt und »Fräulein Wingert, Tochter des Schultheißen, welche die Fahne übergab, die ihre Verse mit reiner und voller Stimme sprach und ihrer Aufgabe vollkommen gerecht wurde«. Das Fest verlief damals nach bewährtem Schema: Böllerschießen, Tagwache, Festzug, Festnachmittag, Festessen und Festball im »Ochsen« und schließlich der Wunsch, »der Verein möge unter seinem neuen Banner blühen und gedeihen!«
Festbankett
Nun stand nach 45 Jahren wieder ein großes Fest an. »Der neuerbaute Hirschsaal konnte trotz seiner bedeutenden Ausmaße die Gäste zum Festbankett am Samstagabend kaum fassen. Chorleiter Lehrer Mayer hatte ein umfangreiches Programm zusammengestellt, das »mit seiner Töne Macht gewaltige Wogen der Begeisterung entfachte und die uneingeschränkte Bewunderung aller Anwesender erfuhr«. Höhepunkt des musikalischen Programms bildete Richard Wagners »Einzug der Gäste auf der Wartburg« aus dem »Tannhäuser«, ein Stück, das »mit tosendem Beifall bedacht wurde«. Als Lehrer Mayer mit »Weihe des Lieds« unter Ehrendirigent Chormeister Spranz gar noch als Bariton-Solist auftrat, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr.
Selbstverständlich mußten auch Reden sein: Fabrikant Schmid als Vereinsvorstand, Schultheiß Frank, Pfarrer Stöckler überbrachten die lokalen Grußbotschaften, Buchdruckereibesitzer Stierlin sprach für den Aalener Patenverein »Vulkania«. Schriftführer Grupp gab einen Auszug aus der Vereinsgeschichte und »Herr Balle führte als Gründungsmitglied — es sind noch neun vorhanden — in die Gründerzeit zurück«.
Im Takte fest …
»Im Takte fest, im Tone rein, soll unser Lied und Leben sein«, so leuchtete es in goldenen Lettern auf der neuen Fahne des Sängerbunds. Sie stammte aus der Werkstatt der Biberacher Firma Neff.
Am Sonntag rissen dröhnende Böllersalven die letzten Schläfer aus den Betten, schmetternde Musik der Tagwache tat das ihrige: ein festlicher Tag war angebrochen, zu dem sich »36 auswärtige Vereine mit 1.600 Sängern« angemeldet hatten. Zum Festgottesdienst, bei dem Pfarrer Rieck die Fahnenweihe vollzog, steuerte der katholische Kirchenchor unter Oberlehrer Mager eine Festmesse bei. Nach dem Totengedenken am Lindenbrunnen und einer Probe der Massenchöre für den Nachmittag traf man sich zum Festessen im »Hirsch«, das »bei vorzüglicher Stimmung sowohl nach Qualität als auch Quantität der Küche des Gastgebers alle Ehre machte«.
Festnachmittag
Am Nachmittag »setzte sich ein Festzug in Bewegung, wie ihn Oberkochen zuvor nie gesehen hatte«. Am Festplatz — »denselben hat Herr Fabrikant Bäuerle in großzügiger Weise überlassen« — gab es Reden von Schultheiß Frank, Vereinsvorstand Schmid und Reallehrer Feihl, Aalen, der die Ehrenurkunde des Schwäbischen Sängerbund überreichte. »Den letzten Akt bildete die Übergabe der Fahne durch die Festjungfrauen, wobei sich Fräulein Holz ihrer Aufgabe vorzüglich entledigte«.
Musikalischer Höhepunkt bildeten die Massenchöre, zu denen sich die Oberkochener mit dem »Liederkranz Unterkochen« und dem »Gesangverein Vulkania Aalen« zusammengefunden hatten. Vor allem beeindruckte der »Begrüßungschor« des Aalener Landsmanns und späterem Ehrenbürger Aalens Ruland Ayßlinger.
Schließen wir diese Rückschau auf ein großes Ereignis mit dem Wunsch, der 1927 den Schluß des Festberichts der Zeitung bildeten:
Glück und Heil und Ruhm und Segen,
ein Voran stets auf seinen Wegen
in fernsten Zeiten und Epochen
dem Sängerbund in Oberkochen!

Zum Foto:
Kuno Gold hat dem Bild in seiner Sammlung die Unterschrift »Fröhliche Sangesfreundschaft beim Bier« gegeben, und er nennt folgende Namen:
Josef Wingert (»Stöpsel«), Anton Gold (»Zieglerstone«) Hermann Spranz, Josef Bezler (»Kratzers Seff«), Karl Bezler (»Kratzers Karl«), Franz Wunderle
Volkmar Schrenk