Den beiden Oberko­che­ner Kirchen­ge­mein­den bescher­te das Jahr 1894 zwei bedeu­ten­de Ereig­nis­se, die als große Feste vom ganzen Ort gefei­ert wurden: Das Doppel­ju­bi­lä­um des katho­li­schen Ortspfar­rers Franz Breiten­bach (worüber vor 14 Tagen schon berich­tet wurde) und die zwei Wochen später erfolg­te Verab­schie­dung des evange­li­schen Pfarrers Theodor Brecht, dem gegen Ende des Jahres Pfarrer Wider nachfolgte.

Pfarrer Brecht
Theodor Brecht war von 1882 bis 1894 evange­li­scher Pfarrer Oberko­chens. Litera­risch versiert hielt er z.B. im Novem­ber 1890 in Aalen einen vielbe­ach­te­ten Vortrag über Schub­art. Das Aalener Schubert-Komitee zur Errich­tung eines Denkmals zum 100. Todes­tag des Dichters hätte zunächst einen Tübin­ger Profes­sor mit dem Vortrag betraut. Doch dieser erkrank­te, Pfarrer Brecht wurde als »Lücken­bü­ßer« gewon­nen — und er hielt »einen wohldurch­dach­ten zweistün­di­gen Vortrag, der bei überaus zahlrei­cher Zuhörer­schaft großen Anklang fand« (so schrieb die Aalener Kocher-Zeitung).

Nun aber hieß es im Herbst 1894 — also vor 100 Jahren — Abschied nehmen, denn Theodor Brecht war zum Stadt­pfar­rer in Gerabronn ernannt worden. »Zur Abschieds­fei­er hatte sich eine so zahlrei­che Versamm­lung in den ausge­dehn­ten Räumlich­kei­ten des »Ochsen« einge­fun­den, daß kein Platz unbesetzt blieb«. Bei der Feier waren der evange­li­sche Kirchen­chor und der »Sänger­bund« mit von der Partie und berei­cher­ten die Feier unter Leitung des Lehrers Schmid, der beide Chöre dirigierte.

Die Reihe der Redner eröff­ne­te Schult­heiß Bezler, der »mit gewähl­ten Worten der unermüd­li­chen Tätig­keit des Schei­den­den gedach­te und dessen opfer­wil­li­ge Fürsor­ge für Arme und Notlei­den­de rühmte, aber auch seine Verdiens­te um den Darle­hens­kas­sen­ver­ein beson­ders hervor­hob«. Kirchen­ge­mein­de­rat Sapper überreich­te als Abschieds­ge­schenk eine Wanduhr und Gutsbe­sit­zer Graf dankte dem schei­den­den Pfarrer, der »stets ein Freund des Bauern­stan­des gewesen ist«.

Gewich­tig waren die Abschieds­wor­te des katho­li­schen Amtskol­le­gen. »Die Spaltung der Konfes­sio­nen ist zwar Erbstück vergan­ge­ner Jahrhun­der­te«, so sagte Pfarrer Breiten­bach, »aber in Oberko­chen gibt es immer wieder Momen­te, bei denen beide Konfes­sio­nen zusam­men­kom­men. Heute ist, wie diese Versamm­lung zeigt, wieder ein solcher Anlaß, wie er auch vor 14 Tagen bei meinem Jubilä­um gegeben war. Wie damals die Evange­li­schen mit uns feier­ten, so sind wir Katho­li­ken heute dabei, wenn ich meinem schei­den­den Nachbarn herzlich danke für sein freund­li­ches Entge­gen­kom­men und die vielfäl­ti­ge Unter­stüt­zung, vor allem auch bei der Indus­trie­schu­le …« Diese Worte waren auch deshalb so erstaun­lich, weil Pfarrer Brecht sich z.B. im Jahre 1888 eine Schrift »Protes­tan­ti­sche Papst­be­leuch­tung« veröf­fent­licht hatte, in der er sich kritisch mit der Haltung von Papst Leo XIII. zum Protes­tan­tis­mus ausein­an­der­ge­setzt hatte. Mit Pfarrer Brecht verließ auch dessen Schwes­ter Oberko­chen. Sie wurde »Stadt­pfarr­fräu­lein« tituliert, herzlich verab­schie­det und für ihre Arbeit im Frauen­ver­ein mit einer Hänge­lam­pe als Abschieds­ge­schenk bedacht.

In seiner Erwide­rung auf die Abschieds­wor­te hob Pfarrer Brecht »die glück­li­che Verei­ni­gung von Landwirt­schaft und Indus­trie in Oberko­chen hervor und gedach­te auch rühmend der Frauen Oberko­chens, deren mildtä­ti­ger Sinn und Arbeitssamkeit«.

Pfarrer Wider
Die Oberko­che­ner Pfarr­stel­le blieb nicht lange unbesetzt. Kurz vor Weihnach­ten des Jahres 1894 wurde Pfarrer Eugen Wider als Nachfol­ger durch den Aalener Dekan Knapp als neuer evange­li­scher Gemein­de­pfar­rer in Oberko­chen eingeführt.

Wieder­um »betei­lig­ten sich beide Konfes­sio­nen an der Feier in der Kirche und am Festessen im Gasthaus »Hirsch«, Dekan Knapp rühmte in seinem Toast die konfes­sio­nel­le Eintracht der Gemein­de Oberko­chen …«, so ist in der Zeitung zu lesen. Pfarrer Salzmann aus Königs­bronn überbrach­te Grüße und Wünsche der ehema­li­gen Mutter­ge­mein­de, Schult­heiß Bezler sprach für die politi­sche Gemein­de Oberko­chen und Fabri­kant Laißle war Sprecher des Kirchen­ge­mein­de­rats. »Herr Pfarrer Breiten­bach sah in seiner Anspra­che den freund­li­chen Verkehr zwischen beiden Pfarr­häu­sern als ganz natür­lich an und Oberförs­ter Weiger — späte­rer Ehren­bür­ger — feier­te in einer humor­vol­len Rede die zukünf­ti­ge Pfarrfrau«.

Pfarrer Wider bedank­te sich herzlich für all die Reden und guten Wünsche und meinte, »er sei ein Mann des Friedens und wolle seine Handlun­gen auch demnach richten«.

Pfarrer Wider, an den sich ältere Oberko­che­ner noch erinnern, amtier­te bis 1921. Eine seiner letzten Amtshand­lun­gen war, das während des Ersten Weltkriegs dezimier­te Geläut wieder zu ergänzen.

Oberkochen

Zum Foto: Das Bild zeigt Oberko­chen im Jahre 1898, aufge­nom­men von Pfarrer Wider. Das Bild wurde am 10.8.1956 schon einmal in BuG veröf­fent­licht zusam­men mit einem Gedicht von Erich Günther, aus dem wir einige Verse zitieren:

»Ein Menschen­al­ter ging ins Land,
Seit dieses Bildchen einst entstand.
Herr Pfarrer Wider nahm es auf,
Der ganze Ort ist beinah drauf.

Es stand ’s Kapell­chen in den Wiesen,
Der Kirch­turm tat mit Zwiebeln grüßen,
Der Rodstein war ganz frisch frisiert,
Der Bahnhofs­platz mit Grün geziert.

Die Schule sieht man noch nicht stehn,
Was war das für die Kinder schön!
Es war die gute, alte Zeit.
Die heut’ noch unser Herz erfreut.

Was wandelt sich doch unsre Zeit,
Wenn man vergleicht das Früher, Heut.
Mög halten schüt­zend seine Hand
Der Herrgott über diesem Land!«

Volkmar Schrenk

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