Während des sogenannten »Drei-Kaiser-Jahrs 1888« regierten in Deutschland nacheinander drei Kaiser: Wilhelm I., Friedrich III., der nach 99 Tagen Regierungszeit starb, und Wilhelm II. Auch für Oberkochen gab es anfangs des Jahrhunderts etwas Ähnliches: innerhalb von fünf Jahren amtierten vier Schultheißen.
1901: Oberkochener Schultheiß erstmals gewählt
Schultheiß Bezler gestorben
»Vier Wochen vor seinem Tod, der in der gesamten Gemeinde innigste Anteilnahme findet, stand Schultheiß Johannes Sezier noch in der Vollkraft seines Lebens«, so besagt eine Meldung der Aalener »Kocher-Zeitung« am 25. Februar 1901 und fährt fort: »Ende Januar beteiligte er sich noch an der Prozession in unserer Neuen Kirche. Bald darauf erkrankte er, dennoch meinend, den Pflichten seines Amtes nachkommen zu können. Doch die Schmerzen nahmen zu. Trotz sorgfältigster ärztlicher Bemühungen war er unrettbar verloren. Er starb während des Zusammenläutens zum Sonntagsgottesdienst…«
Die weit über den Ort hinaus reichende Wertschätzung des nur 40 Jahre alt gewordenen Ortsvorstehers zeigte sich bei seiner Beerdigung: »Eine große Menge Leidtragender von nah und fern, namentlich auch viele Kollegen, Beamte, an der Spitze der Herr Oberamtmann und Kameralverwalter und viele Bekannte aus Aalen fanden sich ein, so daß sich der Leichenzug zu einem großartigen gestaltete, wie einen solchen Oberkochen noch nie gesehen«.
Doch Oberkochen braucht einen neuen Ortsvorsteher — und der wird nun zum ersten Male von der Bürgerschaft gewählt.
Wahlkampf
Das war etwas Neues: Wahlkampf in Versammlungen und Zeitungsanzeigen, Wahlkomitees für einzelne Kandidaten.
Aus Oberkochen ging Gemeindepfleger Balle ins Rennen, »ein Mann mit klarem, nüchternem Kopf, mit gesundem Menschenverstand, allseitig anerkannt und tüchtig«. Seine Anhänger sagten weiter: »Wir brauchen keinen Gerichtsvollzieher, keinen Steuererheber, keinen Grundbuchkundigen, was uns nottut, ist ein Mann, der mit den Verhältnissen in unserer Gemeinde vertraut ist…«
So wurde der Lokalmatador von den auswärtigen Bewerbern abgehoben. Diese waren Revisionsassistent Pfitzenmaier aus Heidenheim und Assistent Butscher von der Hospitalverwaltung Ellwangen. Zwei weitere Kandidaten erschienen zur anberaumten Wählerversammlung nicht, ein weiterer zog die Kandidatur zurück, somit entspann sich der Wahlkampf zwischen drei ernsthaften Bewerbern und deren Anhängerschaft.
Geradezu rührend ist zu lesen, wie sogar in gereimter Form (»Ihr Bürger, ach leset doch dieses Reimle, ich bring es leider nicht besser hin …«) für den Kandidaten Pfitzenmaier geworben wurde:
»Guten Morgen, lieber Nachbar,
morgen ist ja Schultheißenwahl.
Wir müssen uns bald entschließen,
wem wir zollen unsere Wahl:
Ob dem Balle oder Butscher,
oder dem, der z’erst sich gemeldt:
Dieser, mein ich, wär der Beste,
weil mir sein ganzes Wesen gefällt.
Sogar die Frage nach der künftigen »first Lady« Oberkochens war von Bedeutung:
»Ich hab’ auch g’hört, er hab ein »Fraule«
recht brav und keinen vorlauten Mund,
das tät für Frau Schultheiß taugen,
sonst werden Geheimnisse vorzeiten kund!«
Überraschendes Wahlergebnis
Doch all diese Wahlpropaganda verpuffte. Die am 26. März 1901 in der Zeit von 12–3 Uhr vorgenommene Wahl zeitigte ein überraschendes Ergebnis:
Gemeindepfleger Balle (»der Mann aus unsrer Mitte«: 28 Stimmen
Revisionsassistent Pfitzenmaier (»Prüfet alles, das Beste behaltet): 77 Stimmen
Assistent Butscher (von dem wenig Bemerkenswertes in der Zeitung stand: 85 Stimmen
Damit war der Kandidat, der am wenigsten Wirbel in der Presse entfacht hatte, als neuer Oberkochener Schultheiß gewählt (wahrscheinlich hatte er mehr Hausbesuche gemacht, daß er dabei jeder Hausfrau eine Rose mit gebracht hätte, ist nicht überliefert). Die Wahlbeteiligung war mit 93 % sehr gut. Die Oberkochener waren offensichtlich mit dem Ergebnis zufrieden. Es gab keine Wahlanfechtungen, und so bestätigte »die Königliche Kreisregierung Ellwangen die Wahl des Alois Butscher von Aitrach OA Leutkirch zum Oberkochener Ortsvorsteher am 10. April 1901«.
Kurze Amtszeit
Schultheiß Butscher waren nur wenige Jahre Amtszeit als Oberkochener Ortsvorsteher vergönnt. »Soeben kommt aus Aitrach die betrübende Nachricht, daß unser geliebter Schultheiß Alois Butscher seinem schweren Leiden erlegen ist«, so berichtet die Zeitung über die Nachricht, die schon am Vortag wie ein Lauffeuer durch das Dorf gegangen war: Schultheiß Butscher war im Alter von 31 Jahren verstorben. Er wurde am 8. April 1903 in seiner Heimat Aitrach, wo auch sein Vater Schultheiß war, beerdigt, wobei auch zahlreiche Oberkochener anwesend waren.
Wenige Zeit später begann sich das Oberkochener Schultheißenwahl-Karussell erneut zu drehen (doch darüber später!).

Oberkochener Rathaus um 1920
Das Oberkochener Rathaus dürfte 1903 genauso ausgesehen haben, wie das Bild aus der Sammlung Stelzenmüller von 1920 zeigt: Am Anfang der »Langgaß« (heute Heidenheimer Straße) gelegen, seit 1840 im Besitz der bürgerlichen Gemeinde, beherbergte das Haus im Erdgeschoß den Amtsboten und dessen Familie sowie Feuerlöschgeräte. Die Amtsräume lagen im ersten Obergeschoß, ein Sitzungssaal war nicht vorhanden (doch die »Grube« war nicht weit!). Im Jahr 1952 wurden Feuerlöschgeräte und Wohnung anderweitig untergebracht und 1953 »grüßte das Rathaus in neuem Gewand« (so Bürgermeister Bosch nach der gründlichen Rathausrenovierung). Ende 1961 faßte der Gemeinderat den Beschluß, ein neues Rathaus »jenseits des Gutenbachs« zu bauen. Das alte Rathaus mußte einem Neubau der Oberkochener Bank weichen.
Volkmar Schrenk