Ehe wir auf die Anfänge des katholischen Arbeitervereins in Oberkochen zu sprechen kommen, soll noch einiges über jenen Mann berichtet werden, der bei der Gründung im Jahre 1897 maßgeblich mitbeteiligt war: Matthias Erzberger.
Zur Zeit seines Oberkochener Auftritts war der als Lehrer ausgebildete Erzberger Arbeitersekretär und Redakteur in Stuttgart. Im Jahre 1903 als Zentrumsabgeordneter in den deutschen Reichstag gewählt, machte er rasch Karriere in seiner Partei und bekam auch Staatsämter übertragen. 1918 war er Staatssekretär und unterzeichnete als solcher für die deutsche Seite am 11.11.1918 im Wald von Comiégne den Waffenstillstandsvertrag, der dem Ersten Weltkrieg ein Ende setzte. Einen Tag zuvor war Kaiser Wilhelm II. ins Exil nach Holland gegangen und hatte somit das Ende des 2. Deutschen Reiches besiegelt.
Im Jahre 1919 wurde Erzberger Vizekanzler und Reichsfinanzminister. Als solcher sprach er bei einer Wahlversammlung im Aalener Löwenkeller am 6. Juni 1920. Bekanntgeworden ist er durch die sog. Erzbergersche Finanzreform, die eine Stärkung der reichseigenen Finanz- und Steuerpolitik zum Ziele hatte. Mitglied des Zentrums, aber dessen linkem Flügel zugerechnet, war Erzberger der Rechten als sogenannter »Erfüllungspolitiker« so verhaßt, daß er am 26. August 1920 von zwei ehemaligen Offizieren, die einer rechtsradikalen Gruppierung angehörten, ermordet wurde.
Erstes Stiftungsfest
Kurze Zeit nach der Gründungsversammlung des Oberkochener Arbeitervereins wurde Pfarrverweser Kappler, der seinerzeit auch Matthias Erzberger nach Oberkochen geholt hatte, als Stadtpfarrer und Schulinspektor nach Freudenstadt versetzt. Sein Nachfolger war Pfarrer Bucher, der im Jahre 1909 zum Oberkochener Ehrenbürger ernannt wurde (s. BuG vom 25. Januar 1991). Bucher, damals noch Pfarrverweser, und Präses des Vereins, konnte am Sonntag, dem 6. November 1898 zum »ersten Stiftungsfest in die festlich geschmückten Säle »Zum Grünen Baum« einladen«. 150 Mitglieder und Gäste (auch aus Unterkochen und Aalen) waren gekommen: »Der Vorstand, Gemeindepfleger Balle, sprach über die Presse und deren Bedeutung. Durch weitere Ansprachen von Seiten des Herrn Schultheißen (Johannes Bezler), des Herrn Oberförsters (Karl Weiger, späterer Ehrenbürger Oberkochens), der Präses von Aalen und Unterkochen, namentlich aber durch die schöne gelungene musikalische Produktion unter Direktion des Herrn Unterlehrer Maier, ausgeführt von den vereinigten Sängern des katholischen Kirchenchors und der katholischen Mitglieder des Liederkranzes, wurde die Versammlung in die freudigst gehobene Stimmung versetzt«.
Diesem ersten Geburtstag des Arbeitervereins folgten noch viele andere, über die meist auch in der Presse berichtet wurde (was uns die Gelegenheit bietet, später einmal davon zu erzählen).

Zum Foto: Leider existiert kein Foto des Katholischen Arbeitervereins aus dem Gründungsjahr 1897. Dafür zeigen wir ein Bild des am Ende des Berichts genannten Katholischen Kirchenchors, der 1897 sein fünfzigjähriges Jubiläum feiern konnte (er war 1827 von Schulmeister Balluff und Pfarrer Lauth gegründet worden). Der Herr in der Bildmitte ist der im Text genannte Dirigent Unterlehrer Maier. Die Frau im weißen Kleid ist Rosa Weiger, Gattin von Oberförster Weiger. Frau Weiger war musikalisch sehr versiert. Sie wirkte z.B. beim Konzert, das am 2. Oktober 1898 im Aalener Spritzenhaussaal zugunsten des Baus der Oberkochener katholischen Kirche veranstaltet wurde, als Pianistin mit. Die Presse schreibt darüber: »Frau Oberförster Weiger von Oberkochen hat sich durch ihre vortreffliche, bis in die kleinsten Nuancen hindurch, vollendet schwere Begleitung sämtlicher Gesangsstücke auf dem Klavier Anspruch auf vollste Anerkennung seitens der Konzertgeber und des Publikums erworben« — und immerhin galt es einen der damals berühmtesten Heldentenöre zu begleiten: Anton Balluff, den Oberkochener Lehrerssohn, über den gesagt wird: »Er ist ein vollendeter Künstler auf dem Gebiet der Gesangskunst. Sein flüsterndes Piano bis hinauf zum stärksten Fortissimo auch in den höchsten Tonlagen sind geradezu stauenswert und werden ihm für immer einen Ehrenplatz unter den Koryphäen der Tenorsolisten sichern«.
Volkmar Schrenk