Durch einen Hinweis des Ehepaars Gold/Schmiedjörgle stieß ich im März dieses Jahres auf folgen­de Geschich­te: Vor einem Viertel­jahr­hun­dert, ungefähr 1969/1970, entdeck­te die Schüle­rin Monika Balle, Tochter der Eheleu­te Ingeborg und Josef Balle, beim »Rüben­raus­tun« die hier abgebil­de­te Klein­plas­tik in einem leicht anstei­gen­den Acker westlich des Anwesens Gold/Schmiedjörgle unweit der Kocherquelle.

Oberkochen

Das Kind bestand darauf, daß es die Figur seinem Lehrer, einem Herrn Elser von der Dreißen­tal­schu­le, mitbrin­ge. Dieser begab sich tags darauf mit mehre­ren Schülern auf den Acker, um den »fehlen­den Kopf oder die Beine« der Figur zu suchen. Ohne Erfolg. Die Figur war seiner­zeit angeb­lich nach Ludwigs­burg zur Bestim­mung einge­schickt und dort nicht älter als »maximal 150 Jahre alt« taxiert worden. Die Mutter des Kindes hat die Figur glück­li­cher­wei­se bis heute aufbe­wahrt und sie mir auf meine Bitte hin zur erneu­ten Bestim­mung überlassen.

Die Figur ist ca. 7 cm hoch, 4 cm breit und 3 cm dick, aus Ton gearbei­tet und gebrannt. Haupt­säch­lich die Rücksei­te weist typische Tonbe­ar­bei­tungs­spu­ren auf. Mir fiel die »Monumen­ta­li­tät« in diesem kleinen Torso auf, die deutlich heraus­ge­ar­bei­te­te Kontra­post­hal­tung (das heißt, daß die Figur so steht, daß ein Bein belas­tet, das andere entlas­tet ist), und die absolut großfor­mi­ge Gestal­tung, die fast an moder­ne Bildhau­er wie Lörcher oder Nuss erinnert. Es handelt sich um eine Gewand­fi­gur. Das Gewand weist an beiden Oberar­men ein im Bogen kerben­ar­tig einge­drück­tes Muster auf, das sich in einer Gewand­fal­te, an einem Band oder einer Kordel unter­halb der Arme wieder­holt, und zwar von links schräg nach oben rechts anstei­gend. Die Figur hält einen Stab und offen­bar ein flaches größe­res Objekt, von vorne gesehen vorwie­gend auf der rechten Brust­hälf­te. Vor der rechten Schul­ter fällt eine kleine runde konve­xe Form auf.

Der Bearbei­tung nach zu schlie­ßen, war die Figur nicht als kleine Rundplas­tik gedacht, sondern, wegen der nur sehr flüch­tig bearbei­te­ten Rücksei­te, mit Sicher­heit auf Fronta­li­tät gearbei­tet, von wo aus sie auch am schöns­ten aussieht. Wahrschein­lich handelt es sich um eine kleine Votiv­fi­gur — weniger wahrschein­lich um eine Spielzeugfigur.

Ich neigte dazu, die Figur in der Renais­sance, mögli­cher­wei­se sogar in der Antike unter­zu­brin­gen — auf jeden Fall müßte sie wesent­lich älter als 150 Jahre alt sein. Der Fundort kann im Zusam­men­hang mit einer noch nicht aufge­spür­ten alten, leicht über der früher sumpfi­gen Talsoh­le gelege­nen Straße stehen, oder er kann direkt im Zusam­men­hang mit dem nachweis­lich im Jahre 1551 bei der Kocher­quel­le errich­te­ten Hochofen und einem denkba­ren Wohnge­bäu­de zu sehen sein, dessen Bewoh­ner, auch Kinder, die Figur bei der Feldar­beit oder beim Spielen verlo­ren haben.

Am 21.3. übersand­te ich die Figur dem Landes­denk­mal­amt und erhielt sie mit Datum vom 29.4. von dort zurück. Frau Dr. Susan­ne Arnold, die vor 5 Jahren die Freile­gung des Bilzhau­ses steuer­te, teilt mit:

»… nehmen wir an, daß es sich um einen Chris­to­pho­rus handeln könnte. Nicht nur der Kontra­post und der Stab, auf den sich die Figur stützt, spricht für diese Vermu­tung; meines Erach­tens könnte die »Borte« am linken Oberschen­kel bedeu­ten, daß das Gewand hochge­schürzt war. Wie Herr Dr. Groß (LDA) meinte, könnte das Chris­tus­kind auch separat gefer­tigt worden sein und ist dem Chris­to­pho­rus dann aufge­setzt worden. Ähnli­che Beispie­le kennt man von Spiel­zeug­fi­gu­ren (z. B. Pferd und Reiter).

Eine Datie­rung ins 16. Jahrhun­dert (Renais­sance) scheint am wahrschein­lichs­ten. Nochmal zur Machart, über die wir gestern am Telefon gespro­chen haben: die Figur ist aus gebrann­tem Ton. Sie scheint in ein Model gedrückt worden zu sein (siehe umlau­fen­de feine Linie in der Seiten­an­sicht), dann wurde sie aus 2 Teilen (Frontal­an­sicht und Rücken­an­sicht) zusam­men­ge­fügt und an der Rücksei­te glatt abgestri­chen. Leider bekom­men Sie nun Ihr reizen­des Figür­chen wieder zurück — leider, weil es mich schon sehr angespro­chen hat.«

Abschlie­ßend einen herzli­chen Dank an Familie Balle, die die ca. 450 Jahre alte Figur fast 25 Jahre lang aufbe­wahrt und sie nun dem Heimat­ver­ein für’s zukünf­ti­ge Heimat­mu­se­um überlas­sen hat.

Im Bericht 142 (BuG v. 26. 7. 1991) haben wir einen in der katho­li­schen Kirche St. Peter und Paul aufge­stell­ten ca. 300 Jahre alten, aus Linden­holz geschnitz­ten barocken Chris­to­pho­rus beschrieben.

Dietrich Bantel

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