Den folgen­den Bericht hatten wir bereits vor 5 Jahren aus Anlaß des 150-jähri­gen Gründungs­ju­bi­lä­ums des ältes­ten Oberko­che­ner Vereins zusam­men­ge­stellt, ihn dann aber auf Bitte der Redak­ti­on von BuG zurück­ge­stellt, um die Festes­freu­de nicht zu trüben …

Die zuneh­men­den natio­na­lis­ti­schen Umtrie­be im gegen­wär­ti­gen Deutsch­land geben dem Bericht eine brisan­te und nachdenk­lich stimmen­de Aktualität.

Oberkochen

Josef Schmid war 15 Jahre lang, von 1921 — 1936 Vorstand des Sänger­bunds. Dieses Amt mußte er wegen seiner Haltung gegen die NS-Dikta­tur auf Druck des damali­gen Gemein­de­ra­tes 1936 niederlegen.

Nach dem Krieg, 1947, wurde er Ehren­vor­stand des Sänger­bunds. 1945 — 1953 war Josef Schmid Erster Stell­ver­tre­ten­der Bürger­meis­ter. Am 6.11.1953 wurde er Ehren­bür­ger von Oberkochen.

Als Sohn des Gründers der 1882 gegrün­de­ten Werkzeug­fa­brik Jakob Schmid & Co. starb er am 2.1.1960 im Alter von 73 Jahren.

Die hier auszugs­wei­se veröf­fent­lich­ten sehr persön­li­chen Notizen schrieb Josef Schmid unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de zusam­men mit vielen weite­ren Aufzeich­nun­gen zur persön­li­chen Geschich­te, zur Firmen­ge­schich­te und zur Geschich­te Oberko­chens. Seine Tochter Josi Kurz hat die den Sänger­bund betref­fen­den Aufzeich­nun­gen freund­li­cher­wei­se dem Heimat­ver­ein überlassen.

Dietrich Bantel

Vom »Sänger­bund«
In unser Privat‑, Famili­en- und Geschäfts­le­ben spielt auch der Gesang­ver­ein »Sänger­bund« mit herein. Schon von Kindheit an war ich mit ihm vertraut. Mein Vater hat ihm bis zu seinem Tod mehr als 25 Jahre angehört. Ich bin am 5. Juni 1905, an einem Pfingst­sams­tag in den Verein einge­tre­ten. Es war dies die Übergangs­zeit vom evang. ins katho­li­sche Schul­haus. Die Geschich­te des Vereins kenne ich wie meine Hosen­ta­sche, habe solche als Schrift­füh­rer mehr als 10 Jahre selbst geschrie­ben und in dem Verein gute und schöne, wie es so sein muß auch recht wider­wär­ti­ge Stunden erlebt. Der Verein lag mir am Herzen und ich war bereit, jedes Opfer für ihn zu bringen. Im ganzen habe ich dem Verein über 31 Jahre angehört und bin im Sept. 1936 auf politi­schen Druck ausge­tre­ten, nachdem ich vorher nach dem 10-jähri­gen Schrift­füh­rer und Vizevor­stand noch 16 Jahre Vereins­vor­stand war und den Verein vom einfa­chen Volks­ge­sang bis zum schwie­ri­gen Kunst­ge­sang herauf gebracht hatte. Schon als junger Mensch hatte ich das Vertrau­en der »Alten«, die mich jeder­zeit gerne in Gesell­schaft hatten. Wo ich war wurde gesun­gen und es herrsch­te Harmo­nie und Freund­schaft. Als Vizedi­ri­gent konnte ich ohne weite­res jedes Lied anstim­men und konnte Tonart usw. auswen­dig. Durch Zusam­men­künf­te bei Fahnen­wei­hen, Lieder­fes­ten im Kreis, im Gau, im Reich lernte man viele Menschen kennen und wurde eine bekann­te Persön­lich­keit in Sänger­krei­sen bis hinauf zur Führung. Das Vertrau­en des Kreis­füh­rers, Rechts­an­walt Dr. Wörner in Aalen, berief mich auch in den Kreis­füh­rer­rat. Bei Wahlen im Verein wurde ich jedes­mal einstim­mig gewählt und wenn im Verein eine Vertrau­ens­kri­se entstand, wurde ich stets in offener Ausspra­che voll anerkannt. Der Name des Vereins hatte im ganzen Land und noch darüber hinaus einen guten Klang. Nach d. Macht­über­nah­me im Jahr 1933 legte ich mein Amt als Vereins­füh­rer nieder, wurde aber wieder voll anerkannt. In der betref­fen­den Versamm­lung erklär­te z.B. ein Vereins­mit­glied, daß er als Natio­nal­so­zia­list mich schon seit Jahren beobach­tet habe und nur empfeh­len könne, mich wieder zu wählen. Der Ortsgrup­pen­lei­ter entschied dahin, daß eine Wahl vollstän­dig unnötig sei, wenn ein so bewähr­ter Mann an der Spitze des Vereins stehe. Es ging auch alles einige Jahre gut. Der Verein wurde bei jeder Gelegen­heit zum Singen aufge­ru­fen und hat auch Folge geleis­tet. Im Jahre 1936 ist aber dann doch die Entschei­dung gefallen.

Voraus ging, wie schon beschrie­ben, der Kampf um die Deutsche Schule. Ich hatte nicht unter­schrie­ben und wurde deshalb aufs neue verfolgt. Man suchte nach einer Gelegen­heit, mich unschäd­lich zu machen und restlos auszu­schal­ten. Und diese kam in verschie­de­ner Form. Zunächst erhielt der hiesi­ge Pfarrer Alfons Riek die Pfarr­stel­le in Gebraz­ho­fen, Kreis Leutkirch. Aus den durch die politi­sche Lage entstan­de­nen Umstän­den wollte er keine Abschieds­fei­er. Trotz­dem wurde eine solche im Gehei­men organi­siert. Der katho­li­sche Arbei­ter­ver­ein hielt eine Versamm­lung in der Bahnhof­re­stau­ra­ti­on im kleinen Saal, während sich im großen Saal die Gemein­de­an­ge­hö­ri­gen, u.a. auch der Sänger­bund, einfan­den. Im gegebe­nen Augen­blick ging der Vorhang hoch und es war eine statt­li­che Anzahl Gäste, den Abschied zu feiern. Da H.H. Pfarrer Riek passi­ves Mitglied des Vereins war und stets mit Inter­es­se an unseren Auffüh­run­gen teilnahm, sang der Verein einige Lieder und ich hielt eine Abschieds­re­de. In seinen Dankes­wor­ten bestä­tig­te der H. Pfarrer, daß er stets gerne im Kreise der Sänger gewesen sei, diese machten ihm die wenigs­ten Sorgen; er wolle auch weiter­hin Mitglied des Vereins bleiben. Weil ja alles bespit­zelt und gemel­det wurde, ist auch diese Abschieds­fei­er jeden­falls mit entspre­chen­der Entstel­lung dem Bürger­meis­ter hinter­bracht worden. Der Pfarrer ging hier weg und ein Nachfol­ger war noch nicht da. Wir wurden von Unter­ko­chen aus betreut. Diese Zwischen­zeit wurde für die Einfüh­rung der Deutschen Schule ausge­nützt. In dieser Zeit war noch Religi­ons­un­ter­richt in der Schule, Kaplan Kamme­rer war in der Pause bei uns im Büro. In der Kirche wurde verkün­det, daß abends ein Vortrag sei, wegen der Schul­fra­ge. Dies wurde dem Oberleh­rer Mager durch die Schul­die­ne­rin gemel­det. Mager sandte sofort zum Ortsgrup­pen­lei­ter, dieser wieder zum Landjä­ger und der mußte den Kaplan bei mir vom Büro auf das Rathaus holen. Also war der Verdacht der Zusam­men­ar­beit schon vorhan­den. Als nach 6 oder 7 Wochen der neue Pfarrer Jans kam, war die Woche vorher die Deutsche Schule so gut wie einge­führt. Die Stimmung im allge­mei­nen war ziemlich zerris­sen, und wer zum Pfarrer hielt, wurde extra schwarz angeschrie­ben. Nun war es immer üblich, daß wenn ein Pfarrer oder ein Primi­zi­ant kam, die Gemein­de am Vorabend ein Ständ­chen darbrach­te. Das geschah auch für Pfarrer Jans. Ich fragte noch vorher den stell­ver­tre­ten­den Bürger­meis­ter, wer beim Ständ­chen spreche, dieser sagte, das müsse der Dirigent des Kirchen­cho­res, Oberleh­rer Umbrecht, tun. Da dieser ablehn­te und auch andere sich nicht bereit fanden zu sprechen, war ich gezwun­gen, dieses zu tun. Zuerst spiel­te die Musik, dann sang der Kirchen­chor, dann der Sänger­bund und nun mußte ich sprechen. Neben­bei gesagt, ich war ja auch Mitglied des Kirchen­stif­tungs­ra­tes und hätte von hier aus ein gewis­ses Recht gehabt. Ich begrüß­te den Pfarrer im Namen der Gemein­de und fand, wie mir nachträg­lich bestä­tigt wurde, ganz gute Worte, obwohl ich mich dazu nicht beson­ders vorbe­rei­tet hatte. Da ich es gewohnt war, stets offen und ehrlich zu sprechen, entschlüpf­te mir durch den gerade die Woche vorher voraus­ge­gan­ge­nen Schul­kampf ungefähr folgen­der Satz: »Wenn es auch schon schwer gewor­den ist, Farbe zu beken­nen, wollen wir doch ehrlich und treu zusam­men­hal­ten, damit ein einigen­des Band den Hirten und die Herde umschlin­ge, daß Ihre Arbeit zum Segen sei für unsere Gemein­de und unser gelieb­tes deutsches Vater­land!« Aus diesem Satz wurde etwas gemel­det, was, habe ich nicht erfah­ren, aber es hat mit zu meinem Sturze beigetra­gen. Diese Vorgän­ge waren in den Pfingst­ta­gen des Jahres 1936.

Durch die politi­schen Umwäl­zun­gen wurden die Geister getrennt. Es gelang mir noch einige Zeit, den Verein als Ganzes zusam­men zu halten, aber das Finger­spit­zen­ge­fühl sagte doch, daß etwas in Vorbe­rei­tung war, das sich eines schönen Tages auswir­ken müßte. Die Mitglie­der wurden weniger, die Singstun­den schlech­ter besucht und die Aufrich­tig­keit und Kamerad­schaft zweifel­haf­ter. Die Einnah­me­quel­len wie Verlo­sun­gen, Garten­fes­te etc. fielen weg, so daß der Verein seine Betriebs­mit­tel nicht mehr aufbrin­gen konnte. Ich habe wieder­holt vorge­schos­sen, so daß ich bis zu 200 RM und mehr für den Verein ausge­ge­ben hatte. Da es mir nicht möglich war, den Verein allein zu finan­zie­ren, — so nach und nach verging mir die Lust, — machte ich den Bürger­meis­ter Heiden­reich mit dieser Lage bekannt und bat um einen Beitrag von Seiten der Gemein­de, da ja der Verein zu dieser Zeit meist nur politisch bei Versamm­lun­gen, Kundge­bun­gen u.s.w. aufzu­tre­ten hatte. Am Schluß der General­ver­samm­lung im Jan. 1936 hatte mir der Bürger­meis­ter einen Beitrag zugesagt, da solcher aber nicht kam, machte ich am 29. Juli 1936 eine Einga­be. An diesem Tag ging auch ein Bittschrei­ben an Herr Albert Leitz und Herrn Fritz Leitz, welche mir ebenfalls Unter­stüt­zung zugesagt hatten; auch hierauf erhielt ich keine Antwort mehr. Ob hier schon der Einfluß der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Angestell­ten mitge­wirkt hat, weiß ich nicht. In den August­ta­gen 1936 hatten wir noch ein Garten­fest. Ich merkte wohl, daß etwas nicht stimm­te, fand aber dafür noch nicht die Erklä­rung. Diese kam nun am 4. oder 9. Sept. 1936, an dem Tag, an dem nach den Ferien der Singstun­den­be­trieb wieder aufge­nom­men wurde. Morgens 1/2 9 Uhr erhielt ich einen Brief vom Rathaus, die Antwort auf meine Einga­be. Mit Absicht schrei­be ich den Inhalt wörtlich ab:

Gemein­de Oberko­chen, Blatt 133
Auszug aus der Nieder­schrift über die Beratun­gen mit den Gemein­de­rä­ten.
Beraten mit den Gemein­de­rä­ten am 13. Aug. 1936. Anwesend: Der Bürger­meis­ter und 5 Gemein­de­rä­te, Normal­zahl 6
Außer­dem anwesend:
2 Beigeord­ne­te und der Gemeindepfleger

Beitrag an den Sänger­bund Oberko­chen.
Der Vereins­füh­rer des Sänger­bun­des Oberko­chen sucht in einer Einga­be vom 29 Juli 1936 um Gewäh­rung eines laufen­den Jahres­bei­tra­ges für den Sänger­bund Oberko­chen nach, mit der Begrün­dung, daß der Verein nicht in der Lage ist, die notwen­di­gen Ausga­ben des Vereins­be­trie­bes aufzu­brin­gen. Der Bürger­meis­ter führt hierzu aus, daß er an sich nicht abgeneigt sei, diesem Gesuch näher zu treten und daß er sich der Bedeu­tung des Sänger­bun­des als Träger des Musik­le­bens einer Gemein­de bewußt sei. In dem vorlie­gen­den Falle könne aber insolan­ge eine Beihil­fe seitens der Gemein­de nicht in Frage kommen, als in der Leitung des Sänger­bun­des Oberko­chen keine Änderung eintre­te. Der derzei­ti­ge Vereins­füh­rer hat sich bei verschie­de­nen Gelegen­hei­ten Äußerun­gen erlaubt, aus denen entnom­men werden muß, daß er nicht gewillt ist, seinen Verein so zu führen, wie es im Sinne der natio­nal-sozia­lis­ti­schen Weltan­schau­ung verlangt werden muß.

Der Bürger­meis­ter stellt die Frage den Gemein­de­rä­ten zur Beratung.

In dieser Beratung wird die Auffas­sung des Bürger­meis­ters von sämtli­chen Gemein­de­rä­ten bestä­tigt, insbe­son­de­re der 1. Beigeord­ne­te führt aus, daß er selbst als aktives Mitglied des Sänger­bun­des wieder­holt die Beobach­tung gemacht habe, daß sich der Vereins­füh­rer nicht so zu beneh­men weiß oder sich beneh­men will, wie es billi­ger­wei­se im Inter­es­se des Zusam­men­le­bens der Gemein­de­an­ge­hö­ri­gen erwar­tet werden muß.

Der Bürger­meis­ter faßt folgen­de Entschließung:

1. Das Gesuch des Sänger­bun­des Oberko­chen um Gewäh­rung eines laufen­den Jahres­bei­tra­ges aus den oben angeführ­ten Gründen abzulehnen.

2. Dem Vereins­füh­rer des Sänger­bun­des Oberko­chen hievon Mittei­lung zu machen, mit dem ausdrück­li­chen Ersuchen, den Grund der Ableh­nung des Gesuches den Vereins­mit­glie­dern (aktiven Sängern) mitzuteilen.

Diesen Auszug beglau­bigt:
Oberko­chen, d. 19. August 1936
Der Bürger­meis­ter:
gez. Heiden­reich.

Sofort nach Erhalt des Briefes stand mein Entschluß fest. Ich besprach ihn nur mit meinen Famili­en­an­ge­hö­ri­gen, sonst erfuhr niemand davon. Als ich am Abend in die Singstun­de kam, fühlte man, daß etwas los war. Gegen die sonsti­ge Gewohn­heit begann der Dirigent Otto Spranz mit dem Singen. Als der 2. Tenor aufge­ru­fen wurde, nahm ich das Wort. »Ich habe heute vom Rathaus einen Brief bekom­men, den ich vorle­sen möchte.«

Nachdem dies gesche­hen war und ich neben­bei das Verhal­ten der einzel­nen Sänger beobach­te­te, erklär­te ich, daß es mir nun in diesen Verhält­nis­sen nicht mehr möglich sei, für den Verein auch nur mehr den kleinen Finger zu biegen, weshalb ich mein Amt als Vereins­füh­rer nieder­le­ge und meinen Austritt aus dem Verein erklä­re. Ich richte­te noch einen Appell an die Sänger, auch ferner dem deutschen Liede treu zu bleiben.

Ich übergab den Verein dem Vizevor­stand welcher erklär­te, wer jetzt mit mir ginge, müßte als »Staats­feind« erklärt werden.

Außer meinen Brüdern sind noch einige mit mir ausge­tre­ten. Ich selbst ging noch zum Kreis­füh­rer, klärte ihn auf und bat um meine Enthe­bung vom Amt als Mitglied des Kreis­bei­ra­tes. Zuerst glaub­te er, eingrei­fen zu müssen; als er aber von der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Weltan­schau­ung etwas hörte, da hat er als Natio­nal­so­zia­list auch das Gruseln bekom­men. Er ließ mich gehen und hat nach einiger Zeit für mich noch ein Dank- und Anerken­nungs­schrei­ben geschickt, auf welches ich aber nichts mehr gegeben habe. In der Gemein­de hat die Sache wie eine Sensa­ti­on gewirkt, von hier wie von auswärts wurde mein Entschluß mit Bedau­ern aufge­nom­men. Ich hatte in Jahrzehn­ten meine Pflicht getan, meine Zeit und mein Geld geopfert und hätte einen solchen Abgang nicht verdient gehabt.

Es dauer­te länge­re Zeit, bis ich die ganze Sache überwun­den hatte und immer wieder gibt es noch Augen­bli­cke, wo die Narben brennen. Anderer­seits mußte ich dem Herrgott für diese Fügung dankbar sein, denn er hat mich sicher dadurch vor Schlim­me­rem bewahrt und mir meine persön­li­che Freiheit gelassen.

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