Einst lebte in Oberko­chen, es war in der Mitte des vorigen Jahrhun­derts, ein Schus­ter, der war reich an Kindern, ansons­ten aber arm wie eine Kirchen­maus. Auch kann von ihm nicht wie von seinem berühm­ten Nürnber­ger Kolle­gen gesagt werden
»Hans Sechs war ein Schuh­ma­cher und Poet dazu«.

Nein, Georg Adam Tausch — so sein Name — war ein kleines Würst­chen im großen Weltge­tüm­mel, aber er besaß drei Eigen­schaf­ten: Er war bibel­fest, kannte sich in seinem Gesang­buch aus und inter­es­sier­te sich für Lokal­po­li­tik, was ihn schließ­lich auch in die Spalten der Zeitung brachte.

»Dem Schus­ter Tausch von Oberko­chen diene auf seine im Boten von Aalen abgege­be­nen Erklä­rung zur Erwide­rung, daß es sehr gut gewesen wäre, wenn er den Hergang der Sache näher beleuch­tet hätte . ..«, so ist mit Datum vom 26. Febru­ar 1849 im »Boten von Aalen« zu lesen.

Wollen wir heute nach 145 Jahren dieser Forde­rung nachkom­men, finden wir eine dörfli­che Episo­de, zwar nicht weltbe­we­gend, aber doch ein kleines Schlag­licht auf das Leben in Alt-Oberko­chen werfend. Lesen wir zunächst in der Zeitung, die sich im Unter­ti­tel »Oberamts- und Intel­li­genz-Blatt« nannte, ein wenig weiter.

Dort heißt es: »Am Sonntag, den 18. des Monats — es war der Febru­ar 1849 — befand sich der Schrei­ber­ge­hil­fe Sch. von Aalen, welcher zur Rechnungs­un­ter­su­chung schon drei Tage in Oberko­chen zubrach­te, im »Hirsch« und unter­hielt sich an einem Tisch mit Bürgern Oberko­chens«, ein an sich ganz norma­ler Vorgang bei der Rechnungs­prü­fung durch einen Beamten der König­li­chen Oberamtsverwaltung.

Doch sie erfolg­te in einer Zeit des Umbruchs. Die Wellen der franzö­si­schen Febru­ar-Revolu­ti­on von 1848 waren auch auf Deutsch­land überge­schwappt. In vielen Städten und Dörfern, so auch in Oberko­chen, hatten sich mehr oder weniger gut bewaff­ne­te Bürger­weh­ren sowie Bürger- und Volks­ver­ei­ne gebil­det. Der damali­ge katho­li­sche Pfarrer Oberko­chens, Carl Wilhelm Desal­ler, sein Grabmal findet sich noch bei der katho­li­schen Kirche hinter dem alten Schwes­tern­haus, war einer der führen­den Männer im Bereich Aalen, Vorsit­zen­der des Aalener Volks­ver­eins und Abgeord­ne­ter im Stutt­gar­ter Landtag. Oberko­chen war also von den umwäl­zen­den Ereig­nis­sen nicht nur am Rande berührt, der Oberko­che­ner Pfarrer war als »Mann der drei P« (Pries­ter, Publi­zist und Politi­ker) unmit­tel­bar beteiligt.

Die Lage wird treff­lich beleuch­tet durch eine kleine Meldung, die im »Boten von Aalen« direkt vor der Oberko­che­ner Geschich­te steht. Die Erste Württem­ber­gi­sche Kammer hatte in jenen Tagen über den Antrag eines Grafen zu befin­den. Der vortra­gen­de Staats­rat sprach dabei jenen schlicht und einfach als »Herr Graf« an. Dieser forder­te aber für sich die Anrede »Erlaucht«, worauf der Regie­rungs­be­am­te feststell­te, in Württem­berg gebe es vor Gesetz und Regie­rung nur noch Bürger.

Armer Schus­ter
Ein Bürger war nun auch Schus­ter Tausch, wie schon erwähnt, mit reicher Kinder­schar, aber nicht mit Wohlstand geseg­net, dennoch einer, der sich redlich abracker­te. Seine Kinder mußten vor allem im Sommer mithel­fen beim Gänse­hü­ten, Wurzeln- und Beeren­sam­meln, aber »auch bei seinem Geschäft«. Da konnte es schon mal passie­ren, daß sie die Schule schwänz­ten, was den ehrba­ren, aber armen Schus­ter Tausch ins Proto­koll­buch des evange­li­schen Kirchen­con­vents brach­te. Im Jahre 1855 sollte er für acht Schul­ver­säum­nis­se seiner Kinder 16 Kreuzer Strafe bezah­len… Doch bat er »mit Rücksicht auf seine Armut« um Reduzie­rung der Strafe »mit dem Verspre­chen, in Bälde wenigs­tens sechs Kreuzer zu bezahlen«.

Ein Jahr später wurde die Strafe für Schul­ver­säu­mis­se von zwei auf drei Kreuzer erhöht. Jedoch konnte »von dem Schuma­cher Georg Adam Tausch mit Rücksicht auf seine unglück­li­chen Verhält­nis­se der Betrag der Strafe nicht erhoben, ebenso­we­nig diesel­be ihm in Arrest verwan­delt werden, weshalb sie ihm erlas­sen« wurde.

Als 1856 der Sohn Georg »aus der Schule kam«, also konfir­miert werden sollte, konnten für ihn und einen weite­ren »notorisch sehr Armen die nötigs­ten Konfir­man­den­klei­der nicht aus eigenen Mitteln angeschafft werden«. Der Kirchen­con­vent wandte sich deshalb an den damals in Stutt­gart existie­ren­den »Pauli­nen­ver­ein zur Beklei­dung von Landleu­ten« mit der Bitte um Unter­stüt­zung. »Um den Verein dazu um so geneig­ter zu machen«, wurde auf Antrag von Pfarrer Dürr und Schult­heiß Wingert beschlos­sen, »dem Verein die Opfer­kol­lek­te von einem oder zwei Sonnta­gen zu überlassen«.

Unzen­siert
Doch nun zurück in den Oberko­che­ner »Hirsch«. Hier hatte sich um den Beamten eine Bürger­run­de versam­melt, die aus ihm Zweck und Ziel seines Auftra­ges heraus­kit­zeln wollte. Schus­ter Tauscher, der erst etwas später dazu gesto­ßen war, fragte ihn ganz ungeniert, was er denn so lange in Oberko­chen zu tun habe und ob etwa die Gemein­de­re­chun­gen nicht stimm­ten. Wie es so zu gehen pflegt, ein Wort gab das andere und des Hirsch­wirts Bier tat das seine dazu.

Damit wäre unsere Geschich­te in frühe­rer Zeit schon zu Ende. Aber am 1. März 1848 war in Württem­berg die Presse­zen­sur aufge­ho­ben worden, und so gelang­te der Vorfall, den wir aufhel­len wollen, in die Zeitung, aller­dings mit der angehäng­ten Fußno­te »um den Artikel nicht sinnent­stel­lend abzudru­cken, hat sich der Setzer keine Änderung erlaubt«.

Auch wir wollen uns die origi­na­le Atmosphä­re erhal­ten und zitie­ren einige Passa­gen aus Tauschs Darstel­lung des Vorfalls ebenso ohne Änderung im Wortlaut:

»Ich Tausch fragte ihn ob er noch hier währ, da sagte er Ja dann sagte ich nicht wahr ich hab mich doch richtig benom­men, da fiel dieser Steif besof­fe­ne Schlo­ßer auf mich her und setzte mich so Kalt und lieblos runter und warf mir meine Armuth vor in seinem Groben Dummen Dialegt. Da nahm sich Isidor Gold um mich an und sagte, er glaube daß jeder vor seiner Thüre zu kehren hätte und that diesem Grobi­an den Rost von der Nase, weil diese doch immer schwarz ist. Ich Tausch glaube für meinen Theil, daß dieser Schlo­ßer keinem nichts bezah­len kann, wenn er auch was übrig hätte so würde er es bei Würfel und Karten Spil opfern … So jetzt kannst du Blitzen in einer Stunde 25Tausendmahl und ich halt mich an den 91. Psalm vor mich zum Schutz. Schus­ter Tausch.«

(Für weniger Bibel­fes­te: Psalm 91 beginnt »Wer unter dem Schirm des Höchs­ten sitzt und unter dem Schat­ten des Allmäch­ti­gen bleibt . .)«.

Um die Objek­ti­vi­tät zu wahren, müssen wir nun auch die Gegen­sei­te hören. Diese behaup­tet, als Schus­ter Tausch zur Runde am Wirts­haus­tisch gesto­ßen sei, »hatte das Braun­bier seinen Kopf schon ziemlich verwirrt«. Als der Revisor andeu­te­te, es sei schon möglich, »daß einige Rest zum Vorschein kämen«, und daß diese »wahrschein­lich an solchen hängen­blie­ben, die schon im Voraus zahlungs­un­fä­hig seien«, erhob sich ein Disput darüber, wer wohl zur Gruppe der letzte­ren zu zählen sei. »Dabei erlaub­te sich der Schlos­ser J.G. gegen den Schus­ter Tausch solch kränken­de Äußerun­gen, daß sich Gastge­ber Fuchs veran­laßt fand, solchem ein paar derbe Ohrfei­gen zu stecken und ihn am Ohr zur Tür hinauszuführen«.

Gut im Singen
Damit hätte eigent­lich der Friede wieder herge­stellt sein können, denn der Berich­ter »fand nichts für Tausch kränken­des, was er jedem ohne Bibel­spruch zur Selbst­be­ur­tei­lung überlas­se«. Schus­ter Tausch war aber noch nicht zufrie­den­ge­stellt und mußte nochmals nachkar­ten. Obwohl ihm dabei ein Bibel­spruch verwehrt war, zeigte er sich auch mit dem Gesang­buch vertraut und ließ in der Zeitung verlau­ten: »Den Bürger von Oberko­chen, welcher in der Nacht am letzten Samstag im Hirsch­wirts­haus verleum­de­ri­sche Äußerun­gen gegen mich erlaub­te, möchte ich auf das Lied im alten evange­li­schen Gesang­buch Nro. 499 aufmerk­sam machen.«

Glück­li­cher­wei­se gelang es, ein solches Gesang­buch aufzu­fin­den — es stammt aus dem Jahre 1826 und koste­te ungebun­den 36 Kreuzer. Dort stehen in der Abtei­lung »Von den Pflich­ten gegen den Neben­men­schen« folgen­de Verse (in origi­na­ler Schreib­wei­se wiedergegeben):

»Suchst du das nächs­ten ehr / und achtung nur zu schmä­lern;
Sprichst du so oft und gern / Von deines bruders fehlern;
Verklei­nerst du aus stolz, / Aus mißgunst seinen ruhm, Deckst seine schwach­heit auf: Wo bleibt dein Chris­ten­tum?
Wenn du aus argwohn bloß Von ihm nur böses denkest, Und durch ein falsch gerächt / Ihm schadest und ihn kränkest;
Wenn ihn dein meid, dein haß, dein haß, dein stoz dein Spott entehrt:
Bist du denn noch ein Christ, Und dieses namens wert?«

Oberkochen

Zum Foto: Das aus Privat­be­sitz stammen­de Foto zeigt nicht den alten Schus­ter Tausch aus dem vorste­hen­den Bericht, sondern einen jünge­ren Kolle­gen in einer Schuh­mach­er­werk­statt alten Schlags, wie sie wohl auch unser Schus­ter Tausch einst hatte, umgeben von repara­tur­be­dürf­ti­gen Schuhen vor seiner großen Nähma­schi­ne im Hintergrund.

Volkmar Schrenk

Ergän­zung zu Bericht 212
»Schus­ter Georg Adam Tausch«
Von Ivo Gold/Ravensburg erhiel­ten wir eine Zuschrift, die sich auf den 5. Abschnitt in der 2. Spalte des genann­ten Artikels bezieht. Dort heißt es:

»Da nahm sich Isidor Gold um mich an und sagte, er glaube, daß jeder vor seiner Thür zu kehren hätte unt that diesem Grobi­an den Rost von der Nase, weil diese doch immer schwarz ist …«.

Zur Person des in diesem Abschnitt genann­ten Isidor Gold lautet die Zuschrift:

»Isidor Gold, Schrei­ner, 28.3.1820 — 13.4.1877, verhei­ra­tet mit Maria Anna Hug, 5.7.1826 — 7.4.1868, hatte 7 Kinder.

Sein Vater war Schul­meis­ter Franz Anton Gold, 29.5.1773 — 20.7.1824. Seine Mutter war Katha­ri­na geb. Fritz, 5.10.1782 — 10.9.1844. Sie hatten 14 Kinder.

Isidors Ahnen gehen zurück auf den ca. 1622 geb. Johann Jakob und dessen Sohn Martin, der Schult­heiß in Oberko­chen war. Die alle hier genann­ten Gold gehören also der Küfer- und Marxen-Linie an, die noch heute in Oberko­chen leben.«

Ivo Gold, Ravens­burg
15.3.1994

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