Der »Zehnt« (Zehnte) ist eine der ältes­ten Formen einer Abgabe — heute würde man sagen Steuern — und zwar ursprüng­lich der zehnte Teil eines Ertrags oder eines Einkom­mens. Seit dem 4. Jahrhun­dert erhob die abend­län­di­sche Kirche nach bibli­schem Vorbild von allen Gläubi­gen den Kirchen­zehn­ten (auf freiwil­li­ger Grund­la­ge aller­dings, lt. Duden). Seit 818/819 forder­ten auch die weltli­chen Grund­her­ren Abgaben — zunächst für ihre Eigen­kir­chen. Es entwi­ckel­ten sich verschie­de­ne Formen des Zehnten: Der Feld-Zehnte bestand aus Getrei­de, Wein, Früch­ten; der Tierzehn­te aus Vieh (Blut-Zehnter) oder tieri­schen Produk­ten. Seit dem 13. Jahrhun­dert gab es auch Papst-Zehnten, die vom Klerus an den Heili­gen Stuhl abzulie­fern waren — d. h.: der Klerus als »Zehnten-Zwischen­han­del«. In Frank­reich wurde der Zehnte mit der Franzö­si­schen Revolu­ti­on (1789) abgeschafft, im übrigen Europa erfolg­te die Ablösung des Zehnten durch Steuern in anderer Form im Verlauf des 19. Jahrhunderts.

Der Oberko­che­ner Zehnt­sta­del stand, und — großzü­gig formu­liert — steht bis auf den heuti­gen Tag im Katzen­bach. Der erste Zehnt­sta­del wurde 1421, also noch im Mittel­al­ter, sein Nachfol­ger 1737 gebaut. 1895 brann­te das 2. Gebäu­de aus und wurde von seinen 3 damali­gen Besit­zern umgehend wieder­errich­tet, und zwar im wesent­li­chen so, wie es gewesen war. Deshalb ist die Bau-Zeich­nung von 1895, die sich bei den Unter­la­gen des Stadt­bau­am­tes befin­det, und die wir heute abdru­cken, von größtem Inter­es­se — vermit­telt sie doch immer­hin das genaue Bild der Scheu­er, wie sie vor ca. 250 Jahren (1737) zum zweiten Mal errich­tet worden war.

Oberkochen

Das Bauge­such der 3 Besit­zer aus dem Jahre 1895 lautet wie folgt:

Bauge­such
des Micha­el Weber (Bäcker) (Kohlbäck)
des Johan­nes Beiswän­ger (Sattler)
und des Micha­el Balle, Bauer,
sämtli­che in Oberko­chen
betref­fend den gemein­schaft­li­chen Wieder­auf­bau der abgebrann­ten sogenann­ten frühe­ren Zehnt­scheu­er von 27.70 m Länge, 12.30 m Breite, 5 m Stock­hö­he und 6.50 m Dachhö­he mit durch­aus massi­ven Umfas­sungs­wan­dun­gen und Falzzie­ge­lein­de­ckung. Der Neubau erhält im Erdge­schoß wie seither für jeden der 3 Eigen­tü­mer einen Futter­raum mit Tennen­ein­fahrt und im Dachstock je einen Futter­raum. Die seithe­ri­gen Gebäu­de­ab­stän­de mit 1.10 m und 2.00 m von dem Gebäu­de Nr. 81 und mit 2.20 m und 3.10 m von dem Gebäu­de Nr. 83 werden einge­hal­ten. (Es folgen die Ausfüh­rungs­be­stim­mun­gen — als Aufla­gen sind zusätz­li­che feuer­po­li­zei­li­che Absiche­rungs­maß­nah­men gefordert.)

Zur Beurkun­dung: Oberamts­bau­meis­ter Stein, Aalen, 11. Novem­ber 1895 Geneh­migt (man lese dies sorgfäl­tig 3 mal hinter­ein­an­der): Aalen, 12. Novem­ber 1895.

Die 3‑Teilung der ehema­li­gen Zehnt­scheu­er, die nach Beschaf­fung des Zehnten an Oberko­che­ner Inter­es­sen­ten verkauft worden war, ist bis auf den heuti­gen Tag aus der Fassa­de ablesbar:

Die linke Tennen­ein­fahrt wurde erst kürzlich von der alten Torbo­gen­ein­fahrt in eine recht­ecki­ge Einfahrt umgebaut; im derzei­ti­gen Verputz ist der alte Torbo­gen noch gut zu erken­nen. Dieses Gebäu­de ist noch einsto­ckig. Hinter der mittle­ren ehema­li­gen Einfahrt befin­det sich die Fahrschu­le Albert Abele, hinter der linken die Tankstel­le Karl Balle. Die beiden letzte­ren Gebäu­de­tei­le wurden aufgestockt.

Herr Balle wies auf die 90 bis 100 cm starken Mauern hin, die in Bruch­stein­mau­er­werk ausge­führt sind; in den Giebel­wän­den waren bei der Aufsto­ckung noch Spuren des Brandes von 1895 nachweis­bar, was die aus den Bauak­ten heraus­les­ba­re Vermu­tung bekräf­tigt, daß beim Brand von 1895 die alten Umfas­sungs­mau­ern zumin­dest teilwei­se stehen blieben und vor allem die Holztei­le erneu­ert werden mußten.

Steuer­in­spek­tor Franz Balle (Geislin­gen) hat nach dem Zweiten Weltkrieg beträcht­li­che Nachfor­schun­gen zur Geschich­te Oberko­chens angestellt, die 1953 in einem kleinen schreib­ma­schi­nen­ge­schrie­be­nen Vorläu­fer unseres Heimat­buchs gesam­melt wurden (siehe Vorwort im Heimat­buch, auch BuG 1953/54). Herr Balle ist der Geschich­te des Zehnten im Kapitel »die Lehens­gü­ter ab 1385« in Bezug auf Oberko­chen nachge­gan­gen: den Zehnten erhielt das Amt Kochen­burg. Die »Vest« Kochen­burg (Unter­ko­chen) hat den Zehnt­sta­del gebaut; daran sollte man erken­nen, daß ihr von alters her der Laien­zehn­te gehörte.

Zum Oberko­che­ner Zehnststa­del selbst steht geschrieben:

»Unter den alten Gebäu­den, die uns aus dem mittel­al­ter­li­chen Leben unserer Vorfah­ren erzäh­len, befin­det sich auch unter anderem in der Regel ein Zehnt­sta­del. Schon in frühe­ren Zeiten, dem Beginn der Lehens­herr­schaft, sind sie da. So hatte auch Oberko­chen seinen Zehnt­sta­del. Ein umfang­rei­ches Akten­stück berich­tet über die Erbau­ung dessel­ben um 1726. Der alte war baufäl­lig. Bereits vor 1726 liegen drei Voranschlä­ge vor, aber die Herren zu Ellwan­gen hatten keine Eile — dafür viele Ausre­den. Schult­heiß Gold und seine Vierleu­te drängen, denn der Stadel ist am Einfal­len. Auf einen Vorschlag des Zimmer­meis­ters Ehmer zu Ellwan­gen schreibt Kurfürst Ludwig an den Amtmann zu Unter­ko­chen, es müsse der alte Stadel nochmal repariert werden. Das Geld fehle, denn das Ellwan­ger Schloß habe zuviel davon verschlun­gen. Was darauf die Oberko­che­ner gemeint haben, kann man sich leicht denken, aber es blieb ihnen zunächst nichts anderes übrig, als sich in das Unver­meid­li­che zu fügen. Erst 1737 kam dann der Bau zustan­de. Es war jener, der in den neunzi­ger Jahren des letzten Jahrhun­derts in einer Herbst­nacht abgebrannt ist. Sein Vorgän­ger war 1421 erstellt worden und hatte ein Alter von 316 Jahren erreicht.«

Josef Balle ergänz­te diesen Text 1978 wie folgt: »Der Zehnt­sta­del im vorde­ren Katzen­bach ist später in Privat­be­sitz überge­gan­gen. Er war geteilt in drei Teile; der erste gehör­te Anton Gentner, der ihn nach Aufga­be seiner Landwirt­schaft an den Ochsen­wirt Kirch­dör­fer verkauf­te. Kirch­dör­fer kaufte auch den mittle­ren vom Lammwirt und Metzger­meis­ter Fried­rich Reber. Der hinte­re Teil gehör­te Micha­el Weber (Kohlbäck); er ist heute noch im Besitz seiner Nachfol­ger Karl Gold und Richard Schill. Die beiden vorde­ren Teile des Zehnt­sta­del wurden nach Aufga­be der Kirch­dör­fer­schen Landwirt­schaft an Karl Balle verkauft, der eine Autore­pa­ra­tur­werk­statt und Wohnun­gen einge­baut hat.«

1988, 10 Jahre später, gehören die beiden rechten, aufge­stock­ten Teile wie 1978 Herrn Karl Balle — im vorde­ren Bereich des mittle­ren Teils ist die Fahrschu­le A. Abele unter­ge­bracht, im übrigen Bereich die Tankstel­le Balle; der linke dritte Teil, der bislang noch nicht aufge­stockt wurde, gehört Maler­meis­ter W. Schönherr.

Zu unseren Bildern:
Auf dem ersten Bild, das wohl noch vor dem ersten Weltkrieg entstan­den ist, sehen wir die 2 dicht beisam­men liegen­den Torbo­gen des Zehnt­sta­dels — der dritte befin­det sich links außer­halb des Bildes. Davor erken­nen wir die Elmer­sche Dampf­dre­sche­rei. Man sieht den Riemen der Trans­mis­si­on ins Innere des Stadels zur Dresch­ma­schi­ne laufen. Für Hinwei­se, um welche Perso­nen es sich auf dem Foto handelt, sind wir äußerst dankbar.

Oberkochen

Das andere Bild zeigt einen Blick in den vorde­ren Katzen­bach. Links die Nagel­sche Scheu­er, die heute noch so aussieht; rechts das große zweite Gebäu­de mit dem gewal­ti­gen Sattel­dach zeigt sämtli­che 3 Tennen­ein­fahr­ten des Zehnt­sta­dels. Das Foto ist nach der Errich­tung des Linden­brun­nens in den Zwanzi­ger Jahren entstan­den und kam als Postkar­te in Umlauf.

Oberkochen

Der Linden­brun­nen, das Krieger­denk­mal für Oberko­chens Gefal­le­ne des Ersten Weltkriegs, damals noch beschau­li­cher Mittel­punkt einer fast autolo­sen dörfli­chen Idylle, wurde zwischen­zeit­lich in Bezug auf seinen Stand­ort zu einem Verkehrs­tei­ler auf einer Verkehrs­in­sel degradiert.

Dietrich Bantel

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