Oberkochen

Die Katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de schickt sich an, ihr 650jähriges Bestehen zu feiern. Dies ist ein faszi­nie­ren­des Jubilä­um, denn in ihm berüh­ren sich über den doch ungeheu­ren Zeitab­grund von sechs­ein­halb Jahrhun­der­ten hinweg Vergan­gen­heit und Gegen­wart der Pfarr­ge­mein­de St. Peter und Paul, einer Insti­tu­ti­on, deren Sinn und Funkti­on seit dem Gründungs­jahr 1343 bis heute im wesent­li­chen unver­än­dert geblie­ben sind: an jedem Tag dieser 650 Jahre ging es darum, durch die Organi­sa­ti­on der Gottes­diens­te und des geist­li­chen wie religiö­sen Lebens in der Gemein­schaft der »Heili­gen« (ein altes Wort für »Chris­ten«) dem »Weg des Menschen zu Gott seine Ausfor­mung und Zielge­rich­tet­heit« zu geben (Heimat­buch S. 40).

Ein Jubilä­um dieser Art löst nicht nur das gute Gefühl aus, in einer trotz aller Fährnis­se ungebro­che­nen Konti­nui­tät zu stehen, es macht darüber hinaus Geschich­te bewußt und erleb­bar, regt zu Fragen an, zu aller­erst natür­lich nach dem Gründungs­jahr und nach den näheren sozia­len und politi­schen Umstän­den, unter denen sich diese Gründung der Pfarr­ge­mein­de St. Peter (den Doppel­na­men St. Peter und Paul gibt es erst sei 1741) vollzog.

Der Anfang
»Warum ist die Oberko­che­ner Pfarrei eigent­lich erst so spät entstan­den?« wurde ich dieser Tage gefragt. Diese Frage scheint mir in diesem Zusam­men­hang beson­ders inter­es­sant und einer einge­hen­den Überle­gung Wert zu sein, denn 1343 ist in der Tat reich­lich spät, wenn man bedenkt, daß es in unserem Raum mindes­tens schon seit dem 8. Jahrhun­dert (Ellwan­gen 764, Unter­ko­chen noch vorher!) christ­li­ches Leben und kirch­li­che Struk­tu­ren gab und daß in Oberko­chen schon im 13. Jahrhun­dert eine ansehn­li­che Kirche im romani­schen Stil errich­tet wurde, wie Funda­ment und Erdge­schoß unseres heuti­gen Kirch­turms auswei­sen. Und man darf davon ausge­hen, daß es eine oder womög­lich zwei Vorgän­ger­kir­chen gab. Doch gilt grund­sätz­lich: In diesem frühen Zeitraum der Oberko­che­ner Geschich­te gibt es immer mehr Fragen als Antwor­ten — die Quellen­la­ge ist dürftig, und diese Quellen bezie­hen sich ausnahms­los nur auf Cocalin­gas, Choch­el­in­gas, Chochi­na, Choch­on … also auf »Kochen« als Gesamt­ge­mein­de im oberen Kocher­tal. Selbst in der berühm­ten Schen­kung, in welcher der letzte Brenzgau­graf Hartmann von Dillin­gen 1240 einen großen Teil von »Kochen« dem Kloster Ellwan­gen übereig­ne­te, ist noch nicht von Oberko­chen die Rede. Daß der andere Teil Kochens 1258 über seine Schwes­ter Willi­birg helfen­stei­nisch wurde und 1303 dem Stiftungs­gut des neuge­grün­de­ten Zister­zi­en­ser­klos­ter in Königs­bronn zugeschla­gen wurde, ist für die Ausbil­dung und schließ­li­che Abspal­tung Oberko­chens bedeut­sa­mer gewesen, weil »Kochen« so in das Spannungs­feld der beiden Klöster geriet und insbe­son­de­re das jünge­re, dynami­sche­re Kloster Königs­bronn eine starke Sogwir­kung (Dr. Schrenk) auf den südli­chen Teil der Gesamt­ge­mein­de »Kochen« ausübte.

Auffäl­lig ist jeden­falls, daß kurze Zeit nach der Gründung des Klosters Königs­bronn zum ersten­mal in einem Güter­ver­zeich­nis des Klosters Ellwan­gen aus dem Jahre 1337 ausdrück­lich zwischen Oberko­chen und Unter­ko­chen unter­schie­den wird. Dies ist die erste Nennung Oberko­chens. Der Vorgang wieder­holt sich 1341 auch von der Königs­bron­ner Seite, als Ulrich von Roden, einer der landsä­ßi­gen Minis­te­ria­len in Oberko­chen, mehre­re Güter dorthin veräußerte.

Vor Eintritt der Selbstän­dig­keit konnte von einer eigen­stän­di­gen Pfarrei in Oberko­chen schon deshalb keine Rede sein, weil die romani­sche Kirche in Oberko­chen stets als Filial­kir­che von Liebfrau­en in Unter­ko­chen angese­hen wurde.

Doch diese Bindung war offen­bar schon 1328 nicht mehr sehr fest, denn am 10. Febru­ar dieses Jahres wurden Pfarrei und Kirche Liebfrau­en in Unter­ko­chen durch Bischof Fried­rich von Augsburg an das Kloster Ellwan­gen veräu­ßert und diesem inkor­po­riert, ohne daß Oberko­chen von diesem Vorgang tangiert gewesen wäre.

Auch könnte man von der Tatsa­che, daß die Kirche und ihre Gläubi­gen in Oberko­chen seit der Gründung des Klosters Königs­bronn von den dorti­gen Zister­zi­en­sern seelsorg­lich betreut wurden, auf eine fortschrei­ten­de Locke­rung der Bindun­gen an Ellwan­gen schlie­ßen, wobei freilich der Abt von Ellwan­gen nach wie vor das Patro­nats­recht besaß und ganz Oberko­chen ihm zehnt­pflich­tig blieb.

Wir wissen nicht, unter welchen Rechts­ti­teln sich die neue Eigen­stän­dig­keit Oberko­chens konsti­tu­ier­te, denn merkwür­di­ger­wei­se war es der Abt von Königs­bronn, der die Errich­tung einer eigenen Pfarrei in Oberko­chen mit Nachdruck betrieb. Mit dem Kaufbrief vom 16. März 1343 reagier­te dann Abt Cuno II. von Ellwan­gen durch den Erwerb der Kirche St. Peter, wahrschein­lich — wie 15 Jahre vorher bei der Unter­ko­che­ner Kirche — wieder vom Bischof von Augsburg. Es ist anzuneh­men, daß im Kauf und Inkor­po­ra­ti­on der Oberko­che­ner Kirche auch die Errich­tung der Pfarr­stel­le einher­ging. Nun wird dieses Kaufda­tum zwar genannt, doch leider konnte die zugehö­ri­ge Urkun­de trotz jüngs­ter Nachsu­che im Staats­ar­chiv nicht gefun­den werden. Doch existiert ein Kaufbrief vom 16. Oktober 1343, in welchem Abt Cuno von Ellwan­gen an die Gebür­schaft (Gemein­de) und die Pfarrei in Oberko­chen gegen eine Ablöse­sum­me von 72 Pfund Heller jährlich 6 Malter Winter­korn und 6 Malter Haber dem Zehnten verkauf­te als Besol­dung (Pfrün­de) für den Pfarrer, »damit dieser den Gottes­dienst desto besser vollbrin­gen möge.« Diese Urkun­de weist das Jahr 1343 einwand­frei als das Gründungs­jahr der Pfarr­ge­mein­de nach und bildet somit das histo­ri­sche Fundamt unserer 650-Jahr-Feier. Sie setzt jedoch logischer­wei­se eine vorhe­ri­ge Errich­tung der Pfarrei und Einset­zung des Pfarrers voraus und bestä­tigt damit wenigs­tens indirekt das Datum vom 16. März 1343.

Zur Bauge­schich­te
Was verblüfft, ist die Voran­stel­lung der Gemein­de in der Finan­zie­rung, erscheint sie damit doch fast als die eigent­li­che Gründe­rin und Träge­rin. Das mag auch die außer­or­dent­li­che Armut der Pfarr­ge­mein­de erklä­ren, die in dem Spenden­auf­ruf des Probs­tes Albrecht zu Ellwan­gen von 1490 wortreich beschrie­ben wird. Und der Probst versäumt nicht, darauf hinzu­wei­sen, daß dieser Bettel­brief »auf Ansuchen der Gemein­de und Heili­gen­pfle­ge« von Oberko­chen ausge­fer­tigt und den mögli­chen Spendern durch einen Oberko­che­ner Boten zugestellt werde. (Herr Dr. Kämme­rer hat diese Urkun­de in BuG — Bericht 197 — veröffentlicht).

Diese rein subsid­ä­re Haltung des Props­tes gegen­über der Oberko­che­ner Kirche legt doch die Frage nahe, wie es denn mit der Inkor­po­ra­ti­on, der Einver­lei­bung dieser Kirche in die Abtei, ab 1460 Probs­tei Ellwan­gen grund­sätz­lich bestellt war, denn diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Bauge­schich­te der Oberko­che­ner Kirche. So ist unter Umstän­den die eklatan­te Armut der Kirchen­ge­mein­de im Jahre 1490 auch darauf zurück­zu­füh­ren, daß sich der Fürst­propst bei der Finan­zie­rung der 1470 erfolg­ten Umgestal­tung und beträcht­li­chen Erwei­te­rung der Kirche im spätgo­ti­schen Stil schon genau­so vornehm zurück­ge­hal­ten hatte.

Dies war ganz sicher der Fall bei der nächs­ten bauli­chen Verän­de­rung der Kirche, als 1663 der inzwi­schen baufäl­lig gewor­de­ne spätgo­ti­sche Chor abgebro­chen und im frühba­ro­cken Stil neu errich­tet wurde, die Barocki­sie­rung des gesam­ten Innen­raums fand erst 1715 ihren Abschluß. Diesmal wissen wir über die Finan­zie­rung genau Bescheid, denn ab 1658 können wir auf die Pfarr­nach­rich­ten zurück­grei­fen. Die Baulast lag ganz bei der Stiftungs­pfle­ge und wurde aus derem mit 50 Morgen Wald und 5634 fl Bargeld nicht unbeträcht­li­chen Stiftungs­ver­mö­gen bestritten.

Doch die Frage nach der Inkor­po­ra­ti­on wurde 1895 im Zusam­men­hang mit dem dringend notwen­dig gewor­de­nen völli­gen Neubau der Kirche — die alte Barock­kir­che war inzwi­schen so baufäl­lig gewor­den, daß die polizei­li­che Schlie­ßung drohte — erneut aufge­wor­fen und sogar Gegen­stand einer Klage des Stiftungs­rats der Pfarrei Oberko­chen beim König­li­chen Verwal­tungs­ge­richt in Stutt­gart, denn die König­li­che Finanz­ver­wal­tung verwei­ger­te die Übernah­me der Baulast durch das König­reich Württem­berg als Rechts­nach­fol­ger der 1803 aufge­ho­be­nen Fürst­props­tei mit dem Hinweis, die Kirche in Oberko­chen sei nie der Fürst­props­tei inkor­po­riert gewesen. Mit dem Urteil von 12. Mai 1896 stell­ten die Richter zwar fest, daß dies sehr wohl der Fall gewesen sei, denn als allei­ni­ger »parochus« habe der Fürst­propst alle Kirchen in seinem Herrschafts­ge­biet inkor­po­riert. Doch den Oberko­che­nern nützte der überaus positi­ve Richter­spruch wenig, weil sie versäumt hatten, ihren Anspruch frist­ge­recht geltend zu machen und dieser deshalb der Verjäh­rung anheim­ge­fal­len war. (So trug die dann doch noch gebau­te neue Kirche lange Zeit den Namen »Verjäh­rungs­kir­che«.)

Das Wirken und die Persön­lich­kei­ten der Oberko­che­ner Pfarrer, angefan­gen von jenem unbekann­ten ersten von 1343, über die vielen ebenso ungenann­ten Nachfol­ger, welche die Kirchen­ge­mein­de Sankt Peter und Paul durch die Unsicher­hei­ten der an gewal­ti­gen politi­schen, sozia­len und religiö­sen Umbrü­chen reichen Jahrhun­der­te des ausge­hen­den Mittel­al­ters und der begin­nen­den Neuzeit führten, ebenso die Glaubens- und Lebens­um­stän­de der ungezähl­ten Genera­tio­nen des Kirchen­vol­kes in Oberko­chen mußten in diesem kurzen Abriß unberück­sich­tigt bleiben, obwohl dies alles den eigent­li­chen Inhalt jener 650 Jahre Kirchen­ge­mein­de­ge­schich­te ausmacht, der wir uns in diesen Tagen beson­ders erinnern wollen.

Hier möchte ich jedoch auf meine Ausfüh­run­gen im Heimat­buch und auf den Festvor­trag von Herrn Albert Seckler am 9. Oktober 1993 verweisen.

Rudolf Heite­le

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