Bekanntlich bestanden in früherer Zeit zwischen Oberkochenern und ihren Nachbarn, vor allem den nördlichen, Rivalitäten, die teils in freundschaftlicher Fopperei zur Schau gestellt, die aber auch in ernsthaften Auseinandersetzungen ausgetragen wurden.
Bekannt sind z.B. die Geschichten um die Oberkochener und Unterkochener Wallfahrten, wie sie Christhard Schrenk in »Alt-Oberkochen« erzählt: Das Zusammentreffen beider Prozessionszüge endete nur deshalb nicht in einer allgemeinen Prügelei, weil der Oberkochener Polizeidiener Gold sich mutig den Kampfhähnen entgegenstellte. Auch der Oberkochener Spitzname »Schliddaschei…« entstand durch Rivalitäten, diesmal mit Aalenern, die politisch anderer Meinung als die Oberkochener waren.
Nun ist aus der Aalener Kocher-Zeitung eine Begebenheit bekannt geworden, die einerseits zeigt, wie schwierig in alter Zeit Tiefbauarbeiten durchzuführen waren.
Andererseits wird durch die einige Tage später erfolgte Aalener Einmischung deutlich, wie man sich gegenseitig beobachtete und keine Gelegenheit ausließ, dem Nachbarn eins ans Bein zu geben — in aller Freundschaft versteht sich!
Nach getaner Arbeit
Den ganzen Tag hatten sie geschuftet, gegraben — und gebangt, denn einen Entwässerungsschacht auszuheben war keine einfache und geringe Arbeit. Mit Pickel und Schaufel mußte man vorgehen, Bagger und Maschinen hatten sie nicht. Zahlreiche Dorfbewohner beobachteten die Arbeit und »gaben ihren Senf dazu«. Bei Feierabend waren die Arbeiten glücklicherweise ohne Zwischenfall beendet, und die Arbeiter gönnten sich Vesper und Bier beim Hirschwirt.
War es nun das bekanntermaßen kräftige Bier der Hirschbrauerei, das ihnen in den Kopf stieg, oder war es die Gefährlichkeit der überstandenen Arbeit, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ: Zunächst kritzelten sie einige Bierdeckel voll, dann baten sie Hirschwirt Nagel um Papier und Bleistift und schrieben das Erlebnis dieses Tages nieder, indem sie zu dichten begannen: »Es sitzen zwei Arbeiter bei ihrem Schmauß bei Herrn Nagel im Wirtshaus … .«
Doch es blieb nicht dabei. Einmal dem Verseschmieden verfallen, sollte das Produkt auch an die Öffentlichkeit dringen. Wozu gab es in Aalen schließlich eine Zeitung? Und tatsächlich, am 1. Februar 1896 erschien das Gedicht der Oberkochener Grabarbeiter in der Kocherzeitung. Zwar oft nach dem Prinzip »reim dich, oder ich freß dich« gestrickt, spricht aus ihm berechtigte Freude über eine gelungene gefährliche Arbeit.
Wir bringen das Gedicht nun in seiner originalen Gestalt:
»Aus Oberkochen
Es sitzen zwei Arbeiter bei ihrem Schmauß
bei Herrn Nagel im Wirtshaus!
Sie haben gemacht den gefürchteten Dohlen,
von dem so vieles wird gesprochen.
Wer die Tiefe des Dohlen anschaut,
dem geht ein Gruseln durch die Haut.
Sagt, wer arbeitet zwischen solchen Wänden,
darf einen schönen Lohn verdienen.
Der Arbeiter Aufgab war sehr gefährlich.
Wer das Geschäft beschaut alltäglich
sagt, jeder hätt’s nicht gewagt,
zu graben in dem tiefen Schacht.
Die Arbeiter scheuten keine Gefahr!
Das bezeugen viele fürwahr,
und haben gar oft gesagt,
ihr machet hier euer eigenes Grab.
Wenn auch einer hat gemeint,
er Arbeit nicht mit solche Leut.
Zu diesen Worten sag ich,
ein Wamphans taugt zum graben nicht!
Zu solcher Arbeit braucht man ja
nur Leute, die sind ganz »normal«.
Unterirdisch in die Erde bohren
ist nicht so leicht wie Stiefel sohlen.
Den Durchbruch in den Keller macht
ganz normal und akkurat
ohne Unglück, Gott sei Lob!
kouraschiert der Joseph Schoch.
Flott lauft das Wasser aus dem Keller,
wie das Bier in d’Lagerfässer.
Den Keller kann man halten rein.
Dann ist das Bier noch so fein.
Gut ist das Bier heut Abend auch,
drum trinken die beiden gemütlich drauf
und sprechen von ihrer Arbeit noch:
sie soll leben dreimal hoch!«
Nun aber fanden zwei Aalener nicht nur ein Haar in der Suppe, sondern auch dieses Oberkochener Gedicht mit seinen »schrecklichen Versen« unter aller Kritik. Sie waren ja ehemalige Freie Reichsstädter, fühlten sich dörflichen Grabarbeitern weit überlegen — und schließlich hatten die Aalener einen echten Dichter, »ihren Schubert« gehabt, dem sie fünf Jahre zuvor ein Denkmal setzten. (Dieses steht jetzt im Park der Bohl-Schule unmittelbar an der Roschmann-Kreuzung; wer dort bei »rot« auf »grün« warten muß, sollte sich ruhig einmal danach umsehen).
Und so spitzten die Aalener auch die Feder und sandten ein Gedicht an die Kocher-Zeitung, das diese einige Tage später veröffentlichte:
»Es saßen zwei Burschen wohl nach dem Schmauß
in Aalen in einem Cafehaus
und haben die Zeitung zur Hand genommen,
doch sollte das ihnen schlecht bekommen.
Sie lasen, was dort in Oberkochen
für schreckliche Verse wurden verbrochen,
es war ihnen schwindlig ob dem Gedicht,
sie wollten davon und konnten nicht.
So saßen sie da wie festgebannt
die Kocherzeitung in der Hand:
Die Verse, die Arbeiter und die Dohlen,
die haben ihnen die Ruh’ gestohlen.
Es wollte sich kein Ausweg zeigen,
als selbst den Pegasus zu besteigen.
0 gütige Muße, habe Geduld,
der Oberkochener Dichter ist daran schuld!«
Was sonst noch in der Zeitung stand
Wenn schon die alte Zeitung aufgeschlagen ist, sehen wir uns noch ein wenig darin um, Oberkochen wird an drei Stellen erwähnt.
Zunächst ist im »Hirsch« vom Revier Oberkochen ein »Stammholzverkauf« angesagt: Aus »den Staatswaldungen Zahnberghalde, Zellerhau, Wagrain, Riesenhau und Zollhau« werden verschiedenartigste Hölzer angeboten: Eichen und eichene Gartenpfosten, Rotbuche, Birken, Nadelholz in verschiedenen Klassen, Langholz, Sägeholz und »11 St. birkene Wagnerstangen«.
Die beiden anderen Anzeigen zielen auf die Gesundheit. Zum einen werden »gegen Husten, Heiserkeit, Katarrh die unter allen Brustbonbons unübertroffenen Ostberg’schen Eibisch-Bonbons in Päckchen á 20 Pfennig« angepriesen, vorrätig bei W. Geisinger in Oberkochen.
Aber auch die Konkurrenz schlief nicht: »Die allein echten Spitzwegerich-Brustbonbons á 20 Pf. und á 40 Pf., Spitzwegerich-Brustsaft á 50 Pf. und á 100 Pf. sind echt zu haben bei J. Betzler, Oberkochen.«
Volkmar Schrenk
