Am Schluß des voran­ge­hen­den Berichts wurde der Eindruck erweckt, sein Verfas­ser würde Lehrer Stingel beim Viehver­kauf am 26. Febru­ar — also heute — assis­tie­ren. Deshalb sei mitge­teilt, daß dies kein verfrüh­ter April­scherz war, sondern nur eine nicht beabsich­tig­te Namens­pla­zie­rung, die viele Leser ergötzt hat. Allen zur Freude soll heute nochmals eine Episo­de mit Lehrer Stingel erzählt werden, die erst vor einigen Tagen entdeckt wurde. Zugleich wird die Gelegen­heit genutzt, das vor 14 Tagen erschie­ne­ne Foto im Origi­nal der Bildta­fel von Kuno Gold mit dessen Namens­an­ga­ben nochmals zu bringen.

Im Jahre 1803 wurde die Fürst­prob­s­tei Ellwan­gen dem König­reich Württem­berg zugeschla­gen. Damit war auch die inner­ört­li­che Grenze Oberko­chens am »Zollbach« (Guten­bach) hinfäl­lig gewor­den und Oberko­chen besaß fortan nur einen Schult­hei­ßen. Im Jahre 1828 war dies Kaspar Schee­rer, der zuvor schon Königs­bron­ni­scher, also evange­li­scher Schult­heiß im geteil­ten Dorf Oberko­chen gewesen war. Aber die Zeit der staat­li­chen Trennung war 1828 noch nicht verges­sen und die konfes­sio­nel­le Spaltung bestand weiterhin.

In dieser Situa­ti­on hatte der evange­li­sche Pfarrer von Oberko­chen »gemäß eines Hohen Consis­to­ri­al-Erlas­ses vom 15. Januar 1827« eine Beschrei­bung seiner Pfarrei zu ferti­gen, was er mit großem Fleiß und in bewun­derns­wer­ter Ausführ­lich­keit auf 48 Seiten tat. Nachfol­gend wird unter Verwen­dung auch anderer Quellen (Kirchen­kon­vents­pro­to­kol­le, Schult­hei­ßen-Amtspro­to­kol­le, Zeitungs­mel­dun­gen) darüber berichtet.

Aus der Ev. Pfarr­chro­nik des Jahres 1828, ergänzt durch einige andere Quellen
»Oberko­chen ist ein Markt­fle­cken«, — so schrieb der fleißi­ge Pfarrer — »hat einen Schult­heiß, gehört ins Oberamt Aalen, hat einen Revier­förs­ter u. Forst­wart und ist von Aalen zwei Stunden entfernt«, — als Entfer­nungs­maß galten Fußmarschzeiten.

Oberkochen

Die Einwoh­ner­zahl jener Zeit wird mit 385 angege­ben, wobei 2/3 katho­lisch und 1/3 evange­lisch ist. Zum Bereich der evange­li­schen Pfarrei Oberko­chen gehör­te zeiten­wei­se »der Hof Niesitz«, aber auch Simmers­wei­ler bei Waldhau­sen und die Stefan­wei­ler­müh­le bei Unterkochen.

Zum Lebens­un­ter­halt der Bewoh­ner wird gesagt: »Die Mehrzahl der Einwoh­ner beschäf­tigt sich mit Acker­bau, der aber wegen des steini­gen Bodens für Mensch und Vieh äußerst beschwer­lich ist«. Ja, hier galt wohl der Vers: »Wenn einer a steinigs Äcker­le hat und hat an hölzer­ne Pflug, und hat a schäbi­ges Weib dahoim, na hat r zratze gnug«. Dennoch war »durch den Fleiß der Bewoh­ner ziemlich guter Ertrag gesichert«.

Weite­re Erwerbs­zwei­ge waren »ein bedeu­ten­der Viehbe­stand, Schaf­wei­den mit 700 bis 800 Tieren (so die Ausschrei­bun­gen in der Zeitung) und natür­lich der Wald mit seinem Holz, aber auch den Beeren, die fleißig gesam­melt wurden, und das Oberko­che­ner Wachol­dergs­älz war weit über Oberko­chen hinaus geschätzt. Einige Oberko­che­ner pendel­ten täglich als Bergleu­te zum Wasser­al­fin­ger Bergwerk. Vom Hafner­hand­werk, das wohl mehr den katho­li­schen Bürgern zu eigen war, wird im Bericht nichts erwähnt. Zwar sind die Oberko­che­ner nicht gerade mit Reich­tum geseg­net, denn die »Anzahl der ärmeren Famili­en ist nicht gering, aber Bettler gibt es keine!«

Die Gemein­de sorgte in beschei­de­nem Rahmen für die Armen. Sie erhiel­ten z.B. bei der Einfüh­rung des neuen Gesang­bu­ches im Jahre 1842 Gratis­exem­pla­re und jährlich wurden 6 Gulden aus der Veits­stif­tung an 10 »Hausar­me« verteilt; dazu kam noch ein Frucht­gra­ti­al von 12 Simri Dinkel (ich denke, daß es Württem­ber­gi­sche evange­li­sche Simri zu ca. 22 Litern waren und keine katho­li­schen, die nur 15 Liter faßten). Der Ursprung der Veits­stif­tung verliert sich im Reich der Sage. Dem Königs­bron­ner Pfarrer Stein­ho­fer — wir werden am Schluß nochmals auf ihn bzw. seine Frau zurück­kom­men — soll einmal passiert sein, als er verges­sen hatte, die Veits­stif­tung auszu­tei­len, daß die Königs­bron­ner »Schlüs­sel­ber­ge­rin«, die in der Ruine des Herwart­steins geister­te, an seiner Haustü­re Sturm läute­te, um ihn an sein Versäum­nis zu erinnern. Gottes­diens­te u. Sittlichkeit.

Stolz berich­tet der Pfarrer über das gottes­dienst­li­che und kirch­li­che Angebot. Es war sehr groß. Gepre­digt wurde an allen Sonn- und Feier­ta­gen und natür­lich auch am Geburts­tag des Königs. Kinder­leh­re fand an Sonn- und Feier­ta­gen nachmit­tags statt, ebenso am Gründon­ners­tag und an den beiden Weihnachts­fei­er­ta­gen, und außer­dem an jedem Freitag. Bittstun­den am Mittwoch und Bibel­lek­tio­nen im Winter am Samstag, im Sommer am Sonntag nach der Kinder­leh­re gehör­ten dazu.

Der Pfarr­be­richt beschei­nigt den Oberko­che­nern »im ganzen religiö­sen Sinn und Christ­lich­keit«. Dennoch ist in den Proto­kol­len des Kirchen­kon­vents öfters von Strafen die Rede, weil Kinder­leh­re oder Gottes­diens­te nicht besucht wurden. Im Septem­ber 1832 kommt sogar ein gemein­sa­mer Beschluß des kath. und ev. Kirchen­con­vents zustan­de, »daß die beiden Bürger Chris­toph Mack und Konrad Sapper je um 43 Kreuzer bestraft werden, weil sie am Sonntag dürren Klee einge­fah­ren haben«. Zugleich beschlie­ßen die beiden Ortsgeist­li­chen »von der Kanzel herab aufs Neue einzu­schär­fen, daß am Sonntag weder Frucht noch Futter einge­führt noch nach Hause getra­gen werden darf«. Und so setzte es 1844 für Hirsch­wirt Fuchs und Ochsen­wirt Braun eine Geldstra­fe ab, »weil sie während des Gottes­diens­tes am Sonntag­nach­mit­tag auf dem Felde gearbei­tet und abends Früch­te und Öhmd einge­fah­ren haben«.

Dies erklärt auch einiger­ma­ßen die Klage des Pfarrers, nach der »zuneh­mend Unsitt­lich­keit in das Leben eindringt«. Beweis dafür sind auch zahlrei­che Verhand­lun­gen vor dem Kirchen­kon­vent wegen unehe­li­cher Schwan­ger­schaf­ten, Schlä­ge­rei­en und Strei­tig­kei­ten. So lesen wir im Schult­hei­ßen Amtspro­to­koll von 1826: »Polizei­die­ner Gold zeigte an, daß gestern nachts um 8 Uhr beim Ochsen­wirt Pfisterer die Bauern Joseph Grupp und Sebas­ti­an Fischer mittelst Wortwech­sels anein­an­der­ge­kom­men seien, daß Grupp dem Fischer mit einem Halbmaß­krug auf den Kopf geschla­gen habe, daß dersel­be in mehre­re Stücke zerbro­chen sei …« (wohlge­merkt der Krug, nicht der Kopf, letzte­rer wurde mit Hilfe des Orts-Chirur­gen Maier wieder geheilt). Und was beson­ders betrüb­lich war, »die Jugend verwil­dert jedes­mal den Sommer über auffal­lend durch das tägli­che Viehhüten«.

Deshalb wurde 1832 von den beiden Ortsgeist­li­chen für gut befun­den, Tanzen nur am Kirch­weih­sonn­tag zuzulas­sen. Hirsch­wirt Fuchs, der dies nicht beach­te­te, wurde einmal wegen unerlaub­ter Tanzmu­sik bestraft. Weiter soll »jedes Nacht­schwär­men, Schrei­en, Singen und Lärmen nament­lich am Sonntag bei stren­ger Ahndung verbo­ten sein. Stehen der ledigen Leute vor den Wirts­häu­sern — damals gab es noch keine Rathaus­pa­vil­lon — soll als unanstän­dig unter­sagt und nötigen­falls bestraft werden«. Auch wurde den »ledigen Weibs­per­so­nen 1797 unter­sagt, heimlich in die Kunkel­stu­ben zu gehen, beson­ders auch, weil den Winter über wahrschein­lich Militär hier liegt, woraus dann leicht manche üble Folgen entste­hen könnten«.

Aalener Proto­koll (s. auch BuG-Berich­te 40/41)
Wie schon erwähnt, konnten die beiden Ortspfar­rer sehr wohl an einem gemein­sa­men Strang ziehen, wenn es um Sitte und Moral ging. Auch sorgten die jewei­li­gen Herrschaf­ten durch stren­ge Regle­men­tie­rung für Ordnung und gegen­sei­ti­ge Achtung. Aller­dings hob sich die Praxis manch­mal von der Theorie schmerz­lich ab.

Schon im Jahre 1578 war eine »Dorford­nung« mit 48 Artikeln verkün­det worden, und das sog. »Aalener Proto­koll« vom Jahre 1749 regel­te auf etwa 80 Seiten das Zusam­men­le­ben der Oberko­che­ner. Eigent­lich war diese Verein­ba­rung eine Notlö­sung. Man wollte einen Gebiets­tausch vorneh­men, um Oberko­chen einheit­lich einer Herrschaft und Religi­on zuzufüh­ren. Da aber weder Fürst­propst noch Königs­bron­ner auf die Oberko­che­ner Unter­ta­nen verzich­ten wollten — diese selbst wurden nicht gefragt, — kam keine Einigung zustan­de. So schloß man auf dem Boden der neutra­len Freien Reichs­stadt Aalen wenigs­tens einen Vertrag, der aufs neue das Zusamen­le­ben im geteil­ten Oberko­chen regeln sollte.

Der Pfarr­be­richt von 1827 nennt wichti­ge Bestim­mun­gen diese sog. Aalener Proto­kolls. So soll »jeder Oberko­che­ner vollkom­me­ne Gewis­sens­frei­heit zu allen gottes­dienst­li­chen Übungen haben, die Konfes­sio­nen sollten sich gegen­sei­tig respek­tie­ren und bei der Religi­ons­aus­übung nicht stören«. In der Praxis sah dies z.B. dann so aus, daß das Mittags­läu­ten der evange­li­schen Kirche schon um dreivier­tel zwölf Uhr erklang, damit das Mittags­ge­bet der anderen Konfes­si­on nicht durch evange­li­sche Glocken­tö­ne gestört wurde.

Kinder durften auf dem Weg zu Schule oder Kirche nicht beläs­tigt werden. So wurde im Febru­ar 1828 der evange­li­sche Knabe Johan­nes Kroll vom evange­li­schen Kirchen­con­vent bestraft, »weil er beim Heimge­hen von der Sonntags­schu­le einige katho­li­sche Mädchen mit »Khot« bespritz­te. Nebst ernst­li­cher Ermah­nung wurde ihm eine Stunde Strafe im Turm zuerkannt«.

Die Religi­ons­zu­ge­hö­rig­keit der Kinder aus konfes­sio­nel­len Misch­ehen legte das Aalener Proto­koll nach dem Wohnsitz der Eltern fest: Kinder im ellwan­gi­schen Teil mußten katho­lisch, Kinder im Königs­bron­ner Teil dagegen evange­lisch werden. Dennoch soll der Schult­heiß einer Gemein­de, deren Name mit »O« beginnt, nach einem Bericht im Aalener Amts- und Intel­li­genz-Blatt vom 13. August 1858 folgen­de Bestim­mung in einen Verlo­bungs­ver­trag aufge­nom­men haben: »Ist der erste Knabe ein Sohn, so werden die Kinder luthe­risch, ist er aber ein Mädle, so werden sie katholisch«.

Feier­ta­ge
Die kirch­li­chen Feier­ta­ge versuch­te man gegen­sei­tig zu respek­tie­ren. Die Katho­li­ken hatten sich verpflich­tet, den (evang.) Karfrei­tag zu feiern, dafür feier­ten die Evange­li­schen auch den Fronleich­nams­tag mit.

Im Jahre 1796 wird berich­tet: »Bei der Feier des Fronleich­nams­ta­ges ist die Unord­nung einge­ris­sen, daß junge Leute vor der Prozes­si­on im Flecken trommelnd, pfeifend und schie­ßend umher­zie­hen. Sie schie­ßen geflis­sent­lich während des evange­li­schen Gottes­diens­tes vor der Kirchen­tü­re ihre Flinten los, daß unser Gottes­dienst auf grobe Art gestört wird, wo wir doch aus Rücksicht auf die Katho­li­schen schon morgens um 6 Uhr in die Kirche gehen«.

Einen beson­de­ren Feier­tag begin­gen beide Konfes­sio­nen wie im Aalener Proto­koll vorge­se­hen gemein­sam, den Hagel­fei­er­tag am 26. Juni zum Geden­ken an schwe­re Hagel­un­wet­ter. Da dies ein kommu­na­ler Feier­tag war, erhiel­ten sowohl der evange­li­sche als auch der katho­li­sche Pfarrer für ihre Predigt je einen Gulden extra aus der Gemeindekasse.

Soweit die Auszü­ge aus dem Pfarr­be­richt von 1828, der natür­lich noch viel mehr Themen anschnei­det wie z.B. Besol­dungs­fra­gen, Zustand von Kirche und Schul­haus, Streit um den »Wiesen­herr­gott«.

Der Verfas­ser des Berichts
Bleibt noch eine Frage zu klären: Wie hieß der Pfarrer, der den Bericht schrieb?

Es war der 36. evange­li­sche Oberko­che­ner Pfarrer Johann Chris­ti­an Hornber­ger, der von 1827 bis 1834 hier wirkte. Seine Frau war die Witwe des Königs­bron­ner Pfarrers Steinhofer.

Der erste Sohn aus der am 4. April 1828 geschlos­se­nen Ehe war Chris­ti­an Hornber­ger, der späte­re Missio­nar, Forschungs­rei­sen­de und Pionier der Fotogra­phie, dessen Name der große Gemein­de­saal der Versöh­nungs­kir­che nun trägt. Über ihn wird noch zu berich­ten sein (s. auch BuG-Bericht Nr. 127).

Volkmar Schrenk

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