Herr Ernest Gillen war als Häftling bei dem KZ-Häftlings­trans­port, der am 1. April 1945 im Bahnhof Oberko­chen von alliier­ten Fliegern angegrif­fen wurde. Während bei diesem Angriff 8 Todes­op­fer zu bekla­gen waren, und eine Reihe von Kamera­den von Ernest Gillen, mögli­cher­wei­se auch SS-Leute, verwun­det wurden, blieb er selbst unver­letzt. Er kam am 2.4.45 in Dachau an, wurde von dort nach München-Riem (Außen­kom­man­do von Dachau) verlegt und erlang­te die Freiheit durch Flucht in Rottach am Tegernsee.

Herr Ernest Gillen macht im Auftrag des luxem­bur­gi­schen Minis­ters für Kultur und seiner KZ-Kamera­den aus Natzwei­ler ausge­dehn­te Nachfor­schun­gen über das KZ Natzwei­ler und seine Neben­la­ger und ist an allen Infor­ma­tio­nen auch im Zusam­men­hang mit dem Jabo-Angriff auf den KZ-Häftlings­trans­port am 1.4.1945 in Oberko­chen sehr interessiert.

Über Herrn Anton Feil, der, wie bereits veröf­fent­licht, dem Gesche­hen am Bahnhof fast von Anfang an beiwohn­te, und der, wie ebenfalls berich­tet, bereits im Jahr 1985 erste Infor­ma­tio­nen an Herrn Gillen gegeben hat, erhielt der Heimat­ver­ein die Anschrift von Herrn Gillen. Wir möchten Herrn Gillen in seinen Nachfor­schun­gen unter­stüt­zen und veröf­fent­li­chen deshalb seinen ausführ­li­chen Brief vom 16.12.1992, da Herr Gillen hier alle Oberko­che­ner anspricht, die irgend­wie, und sei es auch nur am Rande, Zeugen dieses Gesche­hens waren, und ihnen für Ihre damali­ge Anwesen­heit, die aus seiner Sicht schlim­me­re Folgen verhin­dert hat, dankt. Herr Gillen ist vor allem an schrift­li­chen Aussa­gen interessiert.

Dietrich Bantel

Howald, den 16.12.1992
Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom 26. Novem­ber 1992 und die beigefüg­te Ablich­tung des Berich­tes Nr. 178 in der neues­ten Ausga­be von »Bürger und Gemeinde«.

Berich­te über in Oberko­chen geflüch­te­te Häftlin­ge inter­es­sie­ren mich sehr, beson­ders da anzuneh­men ist, daß ein großer Teil der Geflüch­te­ten, wegen des nahen Endes des Krieges, die Flucht überstan­den haben können. Bisher habe ich keinen Kontakt mit solchen Häftlin­gen oder mit den damali­gen Helfern herstel­len können. Mich inter­es­sie­ren die Hilfs­ak­te, aber auch die etwas negati­ve­ren Handlun­gen, wie Abwei­sung der Hilfe­su­chen­den, Verrat bei SS, Gesta­po oder andern Behör­den, und andere Folgen für die Geflüch­te­ten. Was ihre Zahl betrifft, muß man vorsich­tig sein, hier wird gern übertrie­ben. Durch eigene Beobach­tun­gen konnte ich z. B. feststel­len, daß eine Reihe von Häftlin­gen, die sich sofort bei Beginn des Angriffs vom Zug entfernt hatten, später zurückkamen.

Was den Abtrans­port von Flücht­lin­gen betrifft, bleibe ich skeptisch. Ich konnte persön­lich keine Beobach­tun­gen auf diesem Gebie­te machen; ich kenne auch keine Aussa­gen meiner damali­gen Kamera­den in diesem Sinne. Meine Beden­ken beruhen aber haupt­säch­lich auf folgen­den Überle­gun­gen: Die SS unter­nahm alles, beson­ders in jenen Tagen, damit kein Häftling in die Hände der Befrei­er und der Bevöl­ke­rung fiel (das war ja auch der Sinn des ganzen Evaku­ie­rung der KZ-Lager und KZ-Neben­la­ger). Hier, in Oberko­chen, bestand die Möglich­keit die Verwun­de­ten mit nach Dachau zu nehmen (was auch, wenigs­tens zum Teil, geschah). Ein Abtrans­port mit Lastwa­gen hatte nur einen Sinn, a) wenn man annimmt, daß man diese Verwun­de­te den Augen der Bevöl­ke­rung entzie­hen wollte, daß man sie verschwin­den lassen, also liqui­die­ren wollte (was leider immer­hin möglich war und der KZ-Politik vollkom­men entsprach), b) wenn auf diese Weise eine Überstel­lung nach Dachau besser zu reali­sie­ren gewesen wäre. Da der Sammel­trans­port der Kranken von Neckarelz am 1. April 1945 jedoch bereits in Oster­bur­ken blockiert war, ist diese Möglich­keit nicht wahrschein­lich. Eine Überstel­lung in ein Kranken­haus liegt auch nicht im Bereich der Wahrschein­lich­keit (siehe a). Es ist trotz­dem nicht auszu­schlie­ßen, daß ein Abtrans­port in Lastwa­gen wegen der Anwesen­den oder vielleicht sogar unter ihrem Druck statt­fand. Ich bin darum gespannt auf das Resul­tat Ihrer weite­ren Nachforschungen.

Über die Art und Weise wie die Toten zum Fried­hof gebracht wurden, kann ich mich nicht äußern; ich habe selbst nichts gesehen und kenne nur die auch Ihnen bekann­ten Aussa­gen. Es ist möglich, daß für den Trans­port KZ-Häftlin­ge heran­ge­zo­gen wurden, wenn dies bald nach dem Angriff geschah und nicht lange dauer­te, da wir bereits nach wenigen Stunden weiterfuhren.

Zur Frage über die Beglei­tung durch einen (oder mehre­re) Geistliche(n) kann ich nur meine frühe­re Stellung­nah­me bestä­ti­gen. Geist­li­che Häftlin­ge waren prinzi­pi­ell nicht in den Arbeits­la­gern, aus denen dieser Trans­port kam, und es war ihnen überall strengs­tens verbo­ten ihr geist­li­ches Amt auszu­üben. Anderer­seits ist ein offizi­el­ler geist­li­cher Beglei­ter undenk­bar: die Kirchen waren im KZ-Lager 100 % ausge­schal­tet und Nicht-Häftlin­ge oder Nicht-SS-Leute (oder anderes Wach- u. Aufsichts­per­so­nal) wurden nicht gedul­det; sie waren zu unbeque­me Zeugen.

Hier drängt sich übrigens ein anderer Aspekt dieses Ereig­nis­ses auf: Wir Häftlin­ge können es als ein großes Glück ansehen, daß dieser Angriff am Rande oder im Innern einer Ortschaft, unter den Augen von nicht SS-Leuten statt­fand. Wäre dies außer­orts gesche­hen, hätten wir sicher fast keine Verletz­te, aber viele Tote gehabt. Das ist ein zwar ungewoll­tes, aber doch ein sehr positi­ves Verdienst Oberko­chens: die Anwesen­den und Zeugen aus den Reihen der Bevöl­ke­rung haben uns einen großen Dienst erwie­sen, sie haben viele von uns geret­tet allein durch ihre Anwesen­heit. Das verges­sen wir Häftlin­ge nicht, unsere Gegner wahrschein­lich auch nicht.

Ich benut­ze gerne diese Gelegen­heit um dem Heimat­ver­ein Oberko­chen und Ihnen persön­lich meinen tiefen Dank auszu­spre­chen für das Inter­es­se, das man in Oberko­chen diesen Ereig­nis­sen widmet, und für die gewis­sen­haf­ten Nachfor­schun­gen und Veröf­fent­li­chun­gen auf diesem Gebiet. Mein Dank gilt auch den Verant­wort­li­chen von »Bürger und Gemein­de«, die eine so große Verbrei­tung der Erkennt­nis­se über die tragi­schen Ereig­nis­se des 1. April 1945 ermög­licht haben. Dieser Dank gilt auch den Herren Anton Feil und Johan­nes Feil, die mir sehr behilf­lich waren und sind bei meinen Nachfor­schun­gen über die Gescheh­nis­se in Oberko­chen. Als Mitglied des Inter­na­tio­na­len Natzwei­ler Komitees werde ich auch nicht verfeh­len, meine Kamera­den in diesem Organ auf die Bemühun­gen und Verdiens­te vorge­nann­ter Perso­nen und Instan­zen aufmerk­sam zu machen.

Mit freund­li­chen Grüßen
und mit meinen besten Wünschen
zu Weihnach­ten und zum Jahres­wech­sel
E. Gillen

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