Der »Ziegen­pa­ter«
Wir begin­nen den zweiten Teil unseres Berichts über den brasi­lia­ni­schen »Ziegen­pa­ter« aus Oberko­chen, Karl Joseph Gold, genannt Pater Stanis­lau José, mit der Beschrei­bung eines Fotos aus dem Jahr 1957, das den Pater im Alter von 71 Jahren zeigt. Der in den Unter­la­gen von Kuno Gold abgehef­te­te spani­sche Begleit­text lautet auf deutsch:

Oberkochen

»Bruder Stanis­lau José (Karl Joseph Gold) beim Aufmarsch während der Woche des Vater­lands im Septem­ber 1957 beim Festzug in seinem allego­ri­schen Wagen anläß­lich des Jugend­auf­mar­sches der Indus­trie­schu­le Hugo Talor. An der Windschutz­schei­be ist die Aufschrift »Padre des Cabras«, auf deutsch »Ziegen­pa­ter« angebracht, am Kühler befin­det sich die Aufschrift »Abtei­lung Volks­er­näh­rung«. Über dem hinte­ren Rad ist neben dem Autositz eine Aufschrift »Padre de Soja« (Sojapa­ter) erkenn­bar. Das war ein Triumph­zug, nach der Art, wie es der Bruder Stanis­lau gern hatte.«

Karl Gold besuch­te seine Heimat insge­samt 5 mal, das erste Mal nach 21 Jahren Abwesen­heit im Jahre 1927, dann 1933, 1945, 1961 und zuletzt 1970 im Alter von 84 Jahren. Die Verwand­ten holten ihn damals in Ulm auf dem Bahnhof ab, und Frau Hilde Wingert erinnert sich, daß der Pater aus dem Zug ausstieg und rief »S’Josef­le kommt«. Auf der einen Seite wird er als humor­voll und durch­aus umgäng­lich beschrie­ben, auf der anderen, so erinnert sich Frau Löffler, traute man sich als Kind nicht so richtig an ihn heran, weil er etwas Unnah­ba­res an sich hatte. Sie hätte ihn als Kind gerne so viel gefragt, aber sie traute sich’s nicht. Durch seinen Umgang mit so vielen Menschen und durch seine Erfah­run­gen wie Menschen in Elend und Armut leben, war er sehr sicher in der Einschät­zung des Mensch­li­chen. Anläß­lich seines letzten Besuchs in Oberko­chen, 1970, so erinnert sich Frau Wingert, urteil­te er über das von ihm vorge­fun­de­ne Deutsch­land: »Alles schön, die Straßen schön, die Häuser schön, die Gärten schön, — aber in den Herzen, da sieht’s gar nicht schön aus.«

Oberkochen

Ein weite­res Foto, das wir von der Nichte des Paters, Frau Greter (Erbach) erhal­ten haben, zeigt, wie Pater Stanis­lau es verstand, die Jugend für seine Sache und im Grunde genom­men für ihre Sache zu gewin­nen und begeis­tern. Der von ihm handschrift­lich auf die Rücksei­te des Fotos geschrie­be­ne Text zu diesem Foto lautet: »Wir besit­zen über 90 kleine Eisen­bahn­erschu­len. Die Schul­ju­gend an der Arbeit. Das Koope­ra­ti­ons­sys­tem muß schon den Kleinen beigebracht werden«.

Oberkochen

Nach rund 50 Jahren inten­sivs­ter Arbeit in Brasi­li­en hinder­ten ihn während der letzten Jahre die Folgen eines Unfalls daran, sein Werk noch weiter­hin persön­lich zu betreu­en. Nach der Genesung konnte er nicht mehr an seine frühe­re Arbeit gehen und zog sich in das Maris­ten-Alters­heim in Santa Maria zurück.

Er starb fast 88jährig am 20.8.1974 in Santa Maria an Alters­schwä­che. 67 Jahre hatte er in Brasi­li­en im Diens­te der Nächs­ten gewirkt. 72 Jahre hatte er als Maris­ten­schul­bru­der gelebt, 67 Jahre davon in Brasi­li­en. Vom 2.9.1932 bis zum 29.7.1967 diente er den Eisen­bah­ner­fa­mi­li­en im Staat Rio Grande do Sul in Südbra­si­li­en. Er sprach 5 Sprachen, — Deutsch, Franzö­sisch, Spanisch, Portu­gie­sisch und später auch noch Englisch.

In einem Nachruf wird sein »froher, schwä­bi­scher Charak­ter, seine gewin­nen­de Freund­lich­keit und sein weit-gespann­tes Inter­es­se beschrie­ben, und es wird gesagt, daß er überall ein gern gesehe­ner Gast war.

Die Verwand­ten in Deutsch­land wurden durch einen ausführ­li­chen Brief des Provin­zial­ats von Santa Maria über den Tod und die Bestat­tung des Bruders Stanis­lau verstän­digt; der Brief trägt das Datum vom 27.8.1974.

Oberkochen

Am 15. August 1982 wurde in Santa Maria ein Denkmal zu Ehren des Bruders Stanis­lau einge­weiht, das eine »gerech­te Huldi­gung und Ehrung des Regie­rungs­be­zirks der Stadt Santa Maria und der Eisen­bah­ner des südbra­si­lia­ni­schen Staats Rio Grande do Sul« darstellt. Es steht am Ende der Haupt­stra­ße Aveni­da Rio Branco, nahe der Eisen­bahn­sta­ti­on. Aus Anlaß der Einwei­hung des Denkmals wurden mehre­re Reden von Persön­lich­kei­ten von Kirche, Staat und Eisen­bahn gehal­ten. Die Eisen­bah­ner verehr­ten Pater Stanis­lau wie einen Vater. Jährlich schrie­ben sich über 4000 Schüler in die von ihm gegrün­de­ten Schulen ein, die meisten waren von den Famili­en der Eisenbahner.

Die Bronze­ta­fel, auf einem großen Felsblock befes­tigt, zeigt den Pater mit Kindern sowie einer Ziege auf einem Eisen­bahn­ge­lei­se stehend. Der Text lautet schlicht:

Bruder Estanis­lau
Ziegen­pa­ter
9.11.1866 — 20.8.1974

So hat Oberko­chen in Karl Joseph Gold und Chris­ti­an Hornber­ger, über den wir im Neuen Jahr berich­ten werden, 2 bedeu­ten­de Geist­li­che, den einen in Südame­ri­ka, den anderen in Afrika, die Bahnbre­chen­des im Einsatz in der heute so genann­ten Entwick­lungs­hil­fe geleis­tet haben.

Quellen:
Berich­te, Schrif­ten, Fotos von Verwand­ten des Paters, — Frau Ruth Gold, Frau Monika Löffler, Frau Hilde Wingert, Frau Irene Schoch, Frau Elisa­beth Greter (Erbach). Unter­la­gen aus dem Famili­en­ord­ner »Onkel Stanis­lau« von Kuno Gold. Ferner Schrif­ten aus dem Archiv des Provin­zial­ats der Maris­ten­brü­der in Fürth bei Lands­hut und ein Nachruf in einer brasi­lia­ni­schen Zeitung.

Weite­re Dokumen­te zum Leben von Pater Stanis­lau werden derzeit zusammengetragen.

Abschlie­ßend eine Begeben­heit aus dem Leben des Paters, die sich bei einem seiner Heimat­be­su­che abspiel­te. Pater Stanis­lau wohnte bei Verwand­ten, die sich seiner, aus ihrer Sicht, absolut unwür­di­gen Schuhe erbarm­ten. Sie waren mit profi­lier­tem Gummi von alten Motor­rad­rei­fen besohlt. Man wollte dem Pater mit einer Liebes­tat überra­schen und ließ ihm die Schuhe mit einer anstän­di­gen Leder­soh­le belegen. Als der Pater die Besche­rung sah, war er grenzen­los betrübt, daß man ihn seiner so beque­men, griffi­gen und robus­ten Motor­rad­rei­fen­soh­len beraubt hatte.

Dietrich Bantel

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