Maris­ten­bru­der Irmao Estanis­lau José, — Brasi­li­en genannt »Ziegen­pa­ter«
Die Ordens­ge­mein­schaft der Maris­ten wurde 1817 in Südfrank­reich gegrün­det mit dem Ziel, Jugend­li­chen ohne Schul­bil­dung weiter­zu­hel­fen und ihnen religiö­sen Halt zu geben. Erst 1913 wurde dem Orden die Geneh­mi­gung erteilt, sich in Deutsch­land (Reckling­hau­sen) zu etablie­ren. Dort und in Fürth bei Lands­hut befin­den sich Maris­ten­schu­len, aus denen vor allem deutsche Maris­ten­schul­brü­der hervor­ge­hen. Vor 1913 konnten die Brüder ihre Ausbil­dung nur im Ausland erhal­ten, wie zum Beispiel in Arlon (Belgi­en). Der Ordens­na­me bezieht sich auf Maria.

Sand gibt es am Meer wie Gold in Oberko­chen. Um die vielen Golds vonein­an­der zu unter­schei­den gab man ihnen »Hausna­men«. Karl Joseph Gold stammt aus dem Geschlecht der »Ziegler«. Sein Vater war der Ziegler Micha­el Gold (siehe unser Bericht 103 vom 16.2.1990 — »Ziegel­hüt­te Oberko­chen«), seine Mutter Katha­ri­na eine gebore­ne Brand­stet­ter. Karl Joseph Gold wurde am 9.11.1886 im Haus Langgas­se 184 (heute Heiden­hei­mer Straße 57) geboren. Vor dem Eintritt ins Novizi­at besuch­te er die Volks­schu­le in Oberko­chen. Ein 1899 in Oberko­chen weilen­der Maris­ten­bru­der konnte den damals 13-jähri­gen Karl Joseph (meist nur Joseph genannt) und 2 weite­re Oberko­che­ner Buben für den Eintritt in die Kloster­schu­le der Maris­ten in Arlon/Belgien begeis­tern. Aus Aufzeich­nun­gen unseres verstor­be­nen Mitglieds Kuno Gold, die uns seine Gemah­lin zum Studi­um überließ, ist zu entneh­men, daß der alte Ziegler damals zu seinem Sohn sagte: »Du kascht ganga, aber wannd gascht, nao bleib.« Der Vater war sehr streng gewesen, und hatte nach der Devise »ora et labora« (bete und arbei­te) gelebt, und diese Lebens­hal­tung auf die 4 Kinder übertra­gen, wie Frau Greter, Erbach, eine Nichte des späte­ren Paters berichtet.

Bereits als 19-Jähri­ger ging der junge geist­li­che Schul­mann nach Brasilien.

Schon nach kurzer Zeit entwi­ckel­te er den Gedan­ken, daß seine Tätig­keit nicht allein auf Santa Maria begrenzt bleiben dürfe und entschloß sich, den Bahnstre­cken entlang Schulen für die Kinder seiner »ferro­vi­a­ri­os«, seiner Eisen­bah­ner, zu gründen. Im Lauf der Jahre entstan­den so 95 einfa­che Volks­schu­len, deren Lehrer und vor allem Lehre­rin­nen in Santa Maria ausge­bil­det wurden. So entstand entlang der großen Eisen­bahn­li­ni­en eine Kette solcher Schulen, die von F. Stanis­lau ständig besucht wurden. Viele Nächte verbrach­te er wartend auf den Warte­bän­ken kleiner Bahnhö­fe, bis wieder ein Perso­nen- oder Güter­zug einlief, um dann bis zur nächs­ten Stati­on mitzu­fah­ren. Frau Löffler, eine Nichte, die im Oberko­che­ner Stamm­haus des Paters wohnt, weiß aus Erzäh­lun­gen, daß ihr Onkel oft auch per »Eisen­bahn­stop« reiste, ein nicht ungefähr­li­ches Unter­fan­gen. Aber jeder Lokomo­tiv­füh­rer kannte ihn, und er ist immer mitge­nom­men worden. Später machte er seine Schul­be­su­che und Dienst­rei­sen auf eine fast noch ungewöhn­li­che­re Art: Er reiste mit einer eigenen Draisi­ne.

Oberkochen

Man denkt, wenn man das Foto betrach­tet, unwill­kür­lich an Don Camil­lo und Pepone, — hier aber handelt es sich nicht um eine filmi­sche Insze­nie­rung sondern um die reine Wahrheit.

Da Pater Stanis­lau auf diese Weise ständig in Kontakt mit seinen Eisen­bah­nern war, konnte er sehr bald feststel­len, daß diese unter misera­blen Umstän­den zu leben hatten. Ein weite­res Ziel, das er hartnä­ckig verfolg­te, war, daß die Bahnar­bei­ter, die Strecken­wär­ter und so weiter einen kleinen Garten und eine Ziege hätten, damit gesün­de­re Nahrung und beson­ders Milch für die Kinder vorhan­den wäre. Wegen dieses neuar­ti­gen Unter­neh­mens, das als Vorläu­fer der moder­nen Entwick­lungs­hil­fe betrach­tet werden kann, erhielt er von der Bevöl­ke­rung den Namen »Padre das cabras«, »Ziegen­pa­ter«. Er wußte gut, daß man zuerst für den Leib, für eine gesun­de Nahrung dieser Leute sorgen mußte, wenn man ihnen auch religi­ös näher kommen wollte. Und so richte­te er eine eigene Ziegen­zucht ein. Die Ziegen nannte man, wie Frau Ruth Gold erzähl­te, »Eisen­bah­n­er­kü­he«. Richti­ge Kühe waren zu teuer, und auch für das Land wohl ungeeig­net. Einer versuchs­wei­se impor­tier­ten Kuh aus der Schweiz ist das brasi­lia­ni­sche Klima gar nicht gut bekom­men, so daß sie ziemlich schnell einging.

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Zu all dieser Aufbau­ar­beit kamen mit der Zeit noch die von ihm gegrün­de­ten Abend­schu­len hinzu, in denen er Erwach­se­ne, die noch nicht des Lesens und Schrei­bens kundig waren, unter­rich­ten ließ. Damit verbun­den war der Aufbau von guten Bibliotheken.

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Das Abschieds­fo­to aus dem Jahr 1906 zeigt den jungen Maris­ten­bru­der (Bildmit­te) im Kreis der Familie, die heute auch den Hausna­men »s’Hugo­les« hat, nach Josephs Bruder Hugo, der die Landwirt­schaft übernahm. Sein Reise­ziel in Brasi­li­en war Santa Maria im südli­chen Teil des Staats Rio Grande do Sul. Bis 1930 gab er dort Unter­richt an verschie­de­nen Schulen. Ab 1930 wurde ihm ein neues Arbeits­feld übertra­gen, dem er sich mit allen Kräften widme­te: Die schuli­sche Erzie­hung der Kinder der Bahnangestellten.

Zuerst gründe­te er in Santa Maria die »Escola de Artes e Offici­os« (Techni­sche Berufs­aus­bil­dungs­schu­le mit Inter­nat). Während vieler Jahre erhiel­ten hier die Söhne der Bahnan­ge­stell­ten eine gute religiö­se und beruf­li­che Ausbil­dung. An der Spitze dieser nicht leich­ten Aufga­be stand Joseph Gold, der inzwi­schen den brasi­lia­ni­schen Namen Frater (auch Pater) Estanis­lau José angenom­men hatte. Er verbes­ser­te die von ihm geschaf­fe­ne Insti­tu­ti­on ständig und kein Gang war ihm zuviel, wenn es um die Inter­es­sen seiner Schütz­lin­ge ging.

Ein weite­res Foto zeigt Pater Stanis­lau, den »Ziegen­pa­ter« inmit­ten seiner Ziegen, — eines von vielen Fotos dieser Art.

Dietrich Bantel

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