Unter dem 50 m hohen von 1806–1836 errich­te­ten Triumph­bo­gen auf dem Place Etoile in Paris befin­det sich ein weltbe­rühm­tes Grab, das »Grab des Unbekann­ten Soldaten«.

Wir müssen nicht so weit gehen, um das Grab nicht nur eines, sondern das von fünf unbekann­ten Kriegs­op­fern zu besuchen: Es befin­det sich in der Katzen­bach­stra­ße »etwas abseits« (so steht es in einem offizi­el­len Bericht) auf dem evange­li­schen Friedhof.

Herr Rolf Stelzen­mül­ler war so freund­lich, es für diesen Bericht zu fotogra­fie­ren. Wir haben die nach 47 Jahren etwas unleser­lich gewor­de­ne Schrift leicht nachgezeichnet.

Der Text lautet schlicht:
Hier ruhen
fünf unbekann­te Opfer
eines Flieger­an­griffs
† 1. April 1945

Oberkochen

Hierzu gibt es bis jetzt folgen­de Veröf­fent­li­chun­gen: 2 Zitate aus »Heimat­ge­schicht­li­cher Wegwei­ser zu Stätten des Wider­stands und der Verfol­gung 1933−1945«, erschie­nen im Verlag Akade­mi­sche Schrif­ten, — ein Werk, das 1991 vom »Studi­en­kreis Deutscher Wider­stand« heraus­ge­ge­ben wurde, und das sich im Besitz des Heimat­ver­eins befindet.

Seite 96: In Oberko­chen gab es Lager für Zwangs­ar­bei­te­rin­nen in der Turnhal­le, auf dem Gelän­de der Rüstungs­fir­ma Fritz Leitz und bei den Firmen WIGO, Bäuerle und Oppold. Am Oster­sonn­tag 1945 griffen alliier­te Flugzeu­ge einen Eisen­bahn­trans­port mit etwa 2.800 KZ-Häftlin­gen in der Nähe des Bahnho­fes Oberko­chen an: »Die Schie­ße­rei hörte zwar sofort auf, als die Flieger feststell­ten, daß es sich um einen Trans­port von KZ-Häftlin­gen handel­te«, berich­te­ten Zeitzeu­gen. Der Zug mit überwie­gend deutschen und franzö­si­schen Gefan­ge­nen kam von Bad Ems (Rhein­land-Pfalz) und war unter­wegs in das Konzen­tra­ti­ons­la­ger Dachau. Fünf getöte­te Häftlin­ge wurden auf dem evange­li­schen Fried­hof Oberko­chen »etwas abseits« beigesetzt. Zeitzeu­gen jedoch sprechen von 70 bis 80 Toten.

In demsel­ben Werk heißt es auf Seite 274:
Kurz vor dem Abtrans­port der Kranken erfolg­te die Räumung der Lager: Ende März sammel­te die SS alle Häftlin­ge der Neckarel­zer Komman­dos, sowie Häftlin­ge aus Heppen­heim und Bensheim-Auerbach (Hessen) in Neckarelz. Am 28. März 1945 begann der Abmarsch von etwa 4.000 in mehre­re Gruppen aufge­teil­ten Männern in das Konzen­tra­ti­ons­la­ger Dachau. Über Neuen­stadt (Kr. Heilbronn) kamen sie am folgen­den Tag in Kupfer­zell (Hohen­lo­he­kreis) an, zwei Tage später marschier­ten sie zur Eisen­bahn­stre­cke bei Walden­burg (Hohen­lo­he­kreis), wo man sie in Viehwag­gons verlud. Nach der Fahrt über Oberko­chen (Ostalb­kreis) und Ulm erreich­ten sie am 2. April 1945 das Konzen­tra­ti­ons­la­ger Dachau. Eine Gruppe von über 400 Häftlin­gen kam jedoch erst am 27. April 1945 in Dachau an: Sie hatten die gesam­te Strecke zu Fuß zurück­le­gen müssen. Wievie­le Todes­op­fer diese Trans­por­te forder­ten, ist ungeklärt; von den etwa 4.000 Häftlin­gen, die in Neckarelz losge­schickt wurden, erreich­ten knapp 3.400 das Konzen­tra­ti­ons­la­ger Dachau.

2 weite­re Berich­te befin­den sich in unserem Heimat­buch »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag«. Herr Oberleh­rer I. Umbrecht berich­tet auf den Seiten 197/198:

Der erste ernst­li­che Luftan­griff erfolg­te am Oster­sonn­tag, dem 1. April 1945, auf einen soeben einge­fah­re­nen, 60 Waggon zählen­den, Perso­nen­zug am hiesi­gen Bahnhof. Es war ein überfüll­ter Trans­port­zug, der Insas­sen aus dem KZ-Lager Neckarelz bei Mosbach nach Ulm beför­dern mußte. Um elf Uhr vormit­tags knatter­ten die schwe­ren Maschi­nen­ge­weh­re einer Anzahl Flugzeu­ge in den Zug. Der Angriff erfor­der­te acht Tote, darun­ter ein beglei­ten­der Wachmann, und eine Anzahl Verletz­te. Die Toten wurden anschlie­ßend auf dem hiesi­gen evange­li­schen Fried­hof beigesetzt.

Auch Frau Martha Gold spricht in ihrer Darstel­lung auf den Seiten 212/213 des Heimat­buchs von 8 Toten.

Es fällt auf, daß im Bericht des »Studi­en­krei­ses für Wider­stand« von 5 Toten die Rede ist, und auch die Inschrift auf dem Grabstein »5 unbekann­te Tote« aufführt, während in den Berich­ten von Oberleh­rer Umbrecht und Frau Martha Gold von 8 Toten die Rede ist. Weiter fällt im Bericht des »Studi­en­krei­ses Deutscher Wider­stand« die Stelle auf, wo es heißt »Zeitzeu­gen sprechen von 70 — 80 Toten«. Diesen Wider­sprü­chen bin ich nachgegangen.

Viele Oberko­che­ner können sich noch an diesen Angriff erinnern, es gibt aber, soweit bis jetzt feststeht, nur 3 Oberko­che­ner, die in die Folgen des Luftan­griffs direkt verwi­ckelt waren, und deshalb die unmit­tel­bars­ten Zeugen sind. Es sind dies: Dr. Eberhard Sußmann, Frau Elisa­beth Bäuerle und Frau Irene Schoch. Alle 3 Zeugen bestä­ti­gen überein­stim­mend die Berich­te von Herrn Umbrecht und Frau Gold und ergänz­ten sie um bisher nicht veröf­fent­lich­te Details. Dr. Sußmann, der als Soldat im Heiden­hei­mer Lazarett als Lazarett­arzt arbei­te­te und in Oberko­chen wohnte, berich­te­te, daß der Zug, von Aalen kommend, noch nicht ganz in den Oberko­che­ner Bahnhof einge­fah­ren war, als er wegen des Luftan­griffs stehen blieb. Nach dem ersten Angriff der 5(?) franzö­si­schen Tiefflie­ger die man auch »Rotschwän­ze« nannte, auf den ca. 60 Waggons zählen­den KZ-Häftlings-Trans­port, hatten viele der von SS-Leuten bewach­ten Häftlin­ge den Zug verlas­sen, auch Verletz­te. Verletz­te und Tote waren zunächst jedoch auch noch in den Wagen. Unver­wun­de­te und Verwun­de­te saßen entlang dem Bahndamm am Zaun, die Toten wurden zugedeckt.

Einige Häftlin­ge beteten — der Zug war von Geist­li­chen beglei­tet — andere, so erinner­ten sich alle 3 Befrag­ten, suchten unter­des auf der anderen Zugsei­te über die Rodhal­de Richtung Wald das Weite. Die SS-Leute patrouil­lier­ten zwar mit großen Hunden, waren jedoch, da sie einen weite­ren Luftan­griff befürch­te­ten und ums eigene Leben Angst hatten, glück­li­cher­wei­se insoweit nicht »Herr der Lage«, als sie keinen Gebrauch von der Schuß­waf­fe machten. Alles ging blitz­schnell. Die Schwer­ver­letz­ten wurden, wohl auf einem Firmen­last­wa­gen der Firma Bäuerle, nach Aalen gefah­ren, das Notla­za­rett war in der Parkschu­le, Leicht­ver­letz­te wurden an Ort und Stelle versorgt. Sowohl Frau Schoch als auch Frau Bäuerle durften das ansons­ten abgesperr­te Gelän­de aufgrund ihrer Rot-Kreuz-Ausbil­dung betreten.

Die nicht zu identi­fi­zie­ren­den Toten wurden unmit­tel­bar nach dem Angriff auf dem evange­li­schen Fried­hof beigesetzt, Toten­grä­ber war Eugen Schaupp. Die identi­fi­zier­ten Toten, demzu­fol­ge höchst­wahr­schein­lich 3, wurden, so Frau Schoch, überführt. Insofern ist die Angabe »5 Tote« im Bericht des »Studi­en­krei­ses Deutscher Wider­stand« zu korri­gie­ren: Es bleibt bei der in Oberko­chen überlie­fer­ten Zahl von 8 Toten. Ganz entschie­den wandten sich überein­stim­mend alle Befrag­ten gegen die Aussa­gen von angeb­li­chen Zeitzeu­gen, die dem »Studi­en­kreis Deutscher Wider­stand« gegen­über von 70 — 80 Toten sprachen, dies sei ein reines Gerücht und völlig frei erfunden.

Der ganze Bereich ab dem Postge­bäu­de war, wie bereits erwähnt, abgesperrt. Den Verletz­ten durfte nichts zu Trinken und nichts zu Essen gegeben werden. Die »Rotschwän­ze« kamen tatsäch­lich nochein­mal zurück, eröff­ne­ten aber kein erneu­tes Feuer. Das unter­mau­ert eine Aussa­ge, die davon spricht, daß die Piloten wohl erkannt hatten, daß sie auf einen KZ-Trans­port geschos­sen hatten. Der Trans­port konnte nach dem Angriff nicht gleich weiter­fah­ren, weil auch die Lokomo­ti­ve getrof­fen worden war. »Aus der Lokomo­ti­ve ist Wasser rausgelaufen«.

Es muß ein Riesen­durch­ein­an­der entlang des getrof­fe­nen Zugs gewesen sein. Dennoch erinnert sich Frau Schoch so als ob es gestern gewesen wäre daran, wie Dr. Sußmann, der ihrer Erzäh­lung zustim­mend beiwohn­te, einem Schwer­ver­letz­ten auf dem Bahnsteig den Arm abneh­men mußte, damit er nicht verblutete.

Zurück zu den 5 unbekann­ten Toten!
In irgend­ei­nem Winkel Frank­reichs, Belgi­ens oder Deutsch­lands mögen sie noch heute in uns unbekann­ten Herzen weiter­le­ben, während uns im Südos­ten Europas erneut unbekann­te Opfer von Gewalt ankla­gen, und Gewalt in unserem eigenen Land ausge­übt wird.

Volks­trau­er­tag einmal im Jahr … und die Frage: Was haben wir dazugelernt?

Nachtrag zu Bericht 177:
Der Name »Leo Klotz­bü­cher«
Der Verfas­ser des Berichts im Heimat­buch ist an einer Stelle mit »Leo Klotz­bü­cher« genannt. Selbst­ver­ständ­lich handelt es sich, wie im gleichen Bericht weiter unten aufge­führt, um »Oberleh­rer Ignaz Umbrecht«. Herr Feil beton­te übrigens, daß Herr Umbrecht für seine Bericht­erstat­tung, die bislang als »klassisch« galt, sich nicht mit dem Bahnhof Oberko­chen in Verbin­dung gesetzt hat.

Dietrich Bantel

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