Nicht von ungefähr war früher das Hafner­hand­werk in Oberko­chen — aber auch in Königs­bronn und Aalen, auf dem Härts­feld und im Albuch — im wahrs­ten Sinn des Wortes boden­stän­dig, denn das Rohma­te­ri­al, »d’r Loima«, kam dort reich­lich in der Natur vor. Wie Oberleh­rer Mager im »Spion von Aalen« 1927 berich­tet, »wurde vorzüg­li­che weiße feuer­fes­te Toner­de in der Nähe von Zahnberg gegra­ben, ferner bei Roten­sohl und in der Nähe von Nietheim«.

Der Lehm war im Laufe von Jahrtau­sen­den in Karst­do­li­nen einge­schwemmt worden. Nun mußte er dort mühsam oft bis in Tiefen von 40 und mehr Metern gegra­ben werden. Serpen­ti­nen­ar­ti­ge Treppen­we­ge dienten als Zugang, Seilzü­ge auf Rollen erleich­ter­ten das Hochzie­hen der schwe­ren Lehmkü­bel. Teilwei­se wurden auch in Tücher einge­schla­ge­nen »Lehmbol­len« auf Kopf und Nacken nach oben beför­dert (s. Bild). Die Gruben­wän­de waren mit Stangen­höl­zern aus den umlie­gen­den Wäldern verstrebt und gesichert, wobei es auch zwischen Waldbe­sit­zern und Tongrä­bern wegen großzü­gig geschla­ge­nen Holzes zu Diffe­ren­zen gekom­men sein soll.

Zur Winters­zeit, wenn der Boden gefro­ren war, aber zwischen­durch auch auftau­te, war die Arbeit in den Lehmgru­ben beson­ders gefähr­lich. Und so passier­te am 15. Januar 1844 ein Unglück, bei dem zwei »Bergleu­te« — d.h. Hafner, die nach Lehm gruben — und ein Helfer der Rettungs­mann­schaf­ten den Tod fanden und über das Alfons Mager, der Sohn von Oberleh­rer Mager, im Oberko­che­ner Heimat­buch (Seite 120) kurz berichtet.

Die Verun­glück­ten
Einer der Verun­glück­ten war der dreiund­drei­ßig­jäh­ri­ge Andre­as Kopp, Hafner aus Oberko­chen. Er war seit vier Jahren mit Anna Cathe­ri­ne geb. Kolb verhei­ra­tet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Georg Adam, der später nach Ameri­ka auswan­der­te, und Maria Susan­na, die im Jahre 1865 nach Aalen heira­te­te. Die Witwe des Verun­glück­ten verhei­ra­te­te sich im Jahr 1849 mit dem aus Essin­gen stammen­den Hafner Johann Caspar Reiser. Sie starb im Septem­ber 1858.

Ebenfalls verschüt­tet wurde Johann Georg Lupp, »lediger Bergmann (in Kost hier)« (so das Toten­re­gis­ter Königs­bronn). Er stamm­te aus Oberdorf, wo sein Vater ebenfalls Bergmann gewesen war. Bei seinem Tode war er 24 Jahre alt.

Johann Ulrich Schäfer, der bei den Rettungs­ar­bei­ten umkam, war »lediger Weber aus Oberko­chen«. Er war der Sohn des Schuh­ma­chers Johan­nes Schäfer und seiner Frau Magda­le­ne geb. Hecke. Er starb im Alter von 23 Jahren.

Doppel-Unglück
über den Hergang des Unglücks macht der evange­li­sche Pfarrer von Königs­bronn im Sterbe­re­gis­ter folgen­den Eintrag:

»Kopp und Lupp, welche als Bergleu­te auf der Tongru­be des Zahnber­ges arbei­te­ten, wurden am 15. Januar d.J. mittags 2 1/2 Uhr, als sie in einer 6 Schuh (1 über der Sohle gehen­den Strecke des 150 Schuh (2 tiefen Schach­tes arbei­te­ten, durch den Schacht­bruch plötz­lich verschüt­te­te, der in einer Tiefe von 120 Schuh (3 geschah. Durch plötz­lich veran­stal­te­te Rettungs­ver­su­che glaub­te man sie tags darauf zu Tage fördern zu können. Allein ein zweiter Sturz erfolg­te. Der Schacht wurde aufs Neue ausge­zim­mert und man kam am 19. nachmit­tags 1 Uhr ihnen, die noch Zeichen des Lebens gaben, so nahe, daß man ihre Rettung in einer Stunde bewerk­stel­li­gen zu können glaub­te. Da erfolg­te ein neuer, viel größe­rer Bruch und riß auch Schäfer, welcher als Retter im Schacht arbei­te­te, mit hinun­ter. Am 1. Febru­ar gelang­te man durch Nieder­teu­fung eines zweiten Schach­tes unter lebens­ge­fähr­li­cher Arbeit in die Strecke, wo Kopp gearbei­tet hatte, und fand ihn tot bis an den Bauch verschüt­tet. Schäfer liegt im alten Schacht an dessen unterer Mündung; neben ihm Lupp, beide ganz verschüt­tet. Die Leich­na­me konnten wegen größter Gefahr für weite­res Leben nicht heraus­ge­bracht werden, daher eine Leichen­fei­er am 6. Febru­ar unter allge­meins­ter Teilnah­me feier­lich auf dem Gruben­land gehal­ten wurde«.

1) Ein Längen­maß war damals der sog. Stutt­gar­ter Schuh zu knapp 0,29 Meter. 6 Schuh entspre­chen somit 1,72 Meter
2) etwa 43 Meter
3) etwa 34,4 Meter

Aus Artikeln und Nachrich­ten, die damals im »Oberamts- und Intel­li­genz-Blatt für Stadt und Bezirk Aalen«, dem »Boten von Aalen«, erschie­nen sind, wird deutlich, wie groß die Anteil­nah­me weiter Bevöl­ke­rungs­krei­se war, die mit Spenden und Gaben den Hinter­blie­be­nen unter die Arme zu greifen versuchten.

Aufruf zur Hilfe
Mit Datum vom 20. Januar 1844 erschien eine Notiz in der Zeitung, die kurz den Hergang des Unglücks schil­der­te und dann sagte:

»Einer der Getöte­ten hinter­läßt hier eine Witwe mit zwei kleinen Kindern, der im Beruf umgekom­me­ne Retter eine mittel­lo­se Mutter nebst drei unver­sorg­ten Geschwis­tern. Zur Annah­me etwaiger Gaben des regen Mitleids erbie­ten sich den 20. Januar 1844: Pfarrer Valet in Oberko­chen, Pfarrer Schumann in Königs­bronn, Dekan Hartmann in Aalen. Ferner erbie­tet sich zur Annah­me von Beiträ­gen und deren gewis­sen­haf­te Weiter­be­för­de­rung an Hrn. Pfarrer Valet Carl Wagner, Buchdrucker.«

Welle der Hilfs­be­reit­schaft
Schon am 29. Januar 1844 konnte Pfarrer Valet »mit Dank und Gottes reicher Vergel­tung den edlen Menschen­freun­den« den Eingang namhaf­ter Spenden bekanntgeben:

Von Wasser­al­fin­gen waren 200 Gulden einge­trof­fen. »Beamte, Berg- und Hütten­leu­te, sowie Arbei­ter in den mecha­ni­schen Werkstät­ten der könig­li­chen Hütten­wer­ke« hatten zusam­men­ge­legt, der Rest war »im Pfarr­dorf Wasser­al­fin­gen zusam­men­ge­kom­men. Von Oberko­chen und Essin­gen waren »außer den von den hiesi­gen Einwoh­nern unmit­tel­bar an jene Famili­en überge­be­ne Beiträ­ge« noch über 21 Gulden zu verzeichnen.

Drei weite­re Dankadres­sen am 8., 16. und 26. Febru­ar nennen noch andere Spender aus Aalen, Heuma­den, Schechin­gen und Oberkochen.

Einzel­ne wohl zu den Verun­glück­ten in persön­li­cher Bezie­hung stehen­de Sammler waren Theolo­gie­stu­dent Schaupp in Tübin­gen (12 Gulden), Unter­leh­rer Kopp in Mössin­gen (4 Gulden), Witwe Valet — wohl die Mutter des Oberko­che­ner Pfarrers — brach­te in Ulm über 15 Gulden zusam­men und Schulen in Goldburg­hau­sen und Freuden­stadt trugen 15 Gulden bei. Helfer Lechler in Waiblin­gen sammel­te über 10 Gulden für die Hinterbliebenen.

Aber nicht nur Geldspen­den waren zu verzeich­nen. Ochsen­wirt Braun ließ »der Witwe Kopp 50 Wellen und der Witwe Schäfer 3 Simri Dinkel« zukom­men. In der »Carl Wagner’schen Buchdru­cke­rei Aalen« erschien eine »authen­tisch-geschicht­li­che Darstel­lung des Unglücks nebst Beschrei­bung der am 6. Febru­ar statt­ge­fun­de­nen Leichen­fei­er­lich­kei­ten und die auf dem Platz des schau­der­vol­len Ereig­nis­ses abgehal­te­ne Leichen­re­de (Preis gehef­tet 3 Kreuzer). Der Erlös ist nach Abzug der Druck­kos­ten für die Hinter­blie­be­nen der Verun­glück­ten bestimmt«.

Natür­lich war die in den Gaben zum Ausdruck kommen­de Anteil­nah­me für die Betrof­fe­nen ein Trost in ihrem Leid. Wie wichtig aber auch die Linde­rung finan­zi­el­ler und materi­el­ler Not war, zeigt der von Alfons Mager im Oberko­che­ner Heimat­buch erzähl­te »Schmer­zens­aus­bruch der Mutter eines der Verun­glück­ten«, die bei der Überbrin­gung der Hiobs­bot­schaft gerufen haben soll: »Wenn mei Soh no seine neue Stiefel ond sei Uhr net aghet hätt, wärs net so arg!«

Im Dunkel der Geschich­te
Leider läßt sich auch aus alten Königs­bron­ner Flurkar­ten, die das Forst­amt zur Verfü­gung stell­te, keine Eintra­gung über die Zahnber­ger Lehmgru­be entneh­men (im Gegen­satz zum Ochsen­ber­ger Gebiet, über das genaue Kartie­run­gen vorlie­gen). Somit kann heute die Unglücks­stät­te nicht lokali­siert werden. Damit breitet sich das Dunkel der Geschich­te über die Toten.

Im Zahnber­ger Revier wurde nicht nur nach Lehm gegra­ben. Die König­li­chen Hütten­wer­ke Königs­bronn ließen dort auch Erze fördern. Im Jahre 1806 soll es 30 Stufen­erz- und 85 Bohnerz­berg­leu­te gegeben haben. Kein Wunder, daß im Laufe der Jahre aus einzel­nen Begeben­hei­ten Sagen und Erzäh­lun­gen entstan­den. Ob nun das Zahnber­ger Unglück von 1844 oder ein anderes Ereig­nis die Vorla­ge zur »Sage vom Bruder­zwist« abgege­ben hat, ist unklar. Die bei den Rettungs­ar­bei­ten geschil­der­ten Schwie­rig­kei­ten lassen aber Zusam­men­hän­ge vermuten.

Schlie­ßen wir unseren Bericht ab mit einer Kurzfas­sung jener Sage, wie sie Fritz Schnei­der in seinem Buch »Die Ostalb erzählt« einst aufge­schrie­ben hat:

Sage vom Bruder­zwist
Zwei Zahnber­ger Bergleu­te, die Brüder Hans und Georg, waren in Gretel verliebt, ohne es einan­der einzu­ge­ste­hen. Da das Mädchen Hans bevor­zug­te und ihm der damali­gen Sitte gemäß am Kirch­weih­sonn­tag als Zeichen seiner Zunei­gung ein buntes Band schenk­te, sann Georg auf Rache. Während die Verlieb­ten mit der Dorfju­gend zusam­men tanzten, stieg Georg in den Stollen ein, sägte Stützen und Balken an und legte auf dem Boden Pulver aus.

Am folgen­den Tag forder­te Georg während der Arbeit im Stollen vom Bruder, auf Gretel zu verzich­ten. »Niemals im Leben« war die Antwort des einen, »so stirb mit mir« rief der andere und warf die Gruben­lam­pe in das ausge­leg­te Pulver. Mit lautem Knall stürz­te die Grube zusam­men und begrub die beiden Brüder unter den Lehmmassen.

Bei den Rettungs­ar­bei­ten stürz­te der Stollen ein zweites Mal ein und begrub einen Retter. Das Mädchen aber wander­te jeden Tag zum Unglücks­ort, um dort zu beten, bis man sie nach einiger Zeit nieder­ge­sun­ken fand, gestor­ben an gebro­che­nem Herzen.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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