Der Bericht über den König­li­chen Oberförs­ter Carl Weiger, Ehren­bür­ger von Oberko­chen, veran­laß­te eine Reihe von Bürgern zu ergän­zen­den Angaben.

Der Archi­var des Katho­li­schen Kirchen­chors liefer­te einen uns unbekann­ten u.a. von Carl Weiger unter­zeich­ne­ten und nachste­hend abgedruck­ten Presse­be­richt und an alle Katho­li­ken Württem­bergs gerich­te­ten Aufruf:

Notschrei von der »Verjäh­rungs­kir­che« Oberko­chen
Schon seit Jahrzehn­ten war die Oberko­che­ner kath. Kirche zu klein und baufäl­lig. Die Baufäl­lig­keit hatte in der Folge derart zugenom­men, daß nach dem sachver­stän­di­gen Gutach­ten der Bautech­ni­ker die Abhal­tung des Gottes­diens­tes lebens­ge­fähr­lich war. Infol­ge dessen erfolg­te der polizei­li­che Schlie­ßungs­be­fehl. Die Kirche wurde abgebro­chen und aus dem Abbruchs­ma­te­ri­al eine Notkir­che erstellt. Wer baut nun die neue Kirche?

Ursprüng­lich war die geist­li­che Regie­rung in Ellwan­gen — Oberko­chen bilde­te ehemals einen Teil der altellwangen’schen Herrschaft — baupflich­tig. Mit der Einzie­hung der geist­li­chen Güter ist, wie die Gemein­de geltend macht, die Baupflicht auf den Staat Württem­berg übergegangen.

Schon in den 1840er-Jahren wende­te sich die Vertre­tung der kath. Gemein­de an den Staat um Erfül­lung dieser Pflicht; diese und die später gestell­ten Bitten wurden abschlä­gig beschie­den und eine diesbe­züg­li­che Pflicht vom Staat bestritten.

Damit war für die Gemein­de die Notwen­dig­keit gegeben, ihr gutes Recht kläge­risch durch­zu­set­zen. Durch Urteil des Kgl. Landge­richts Ellwan­gen vom 15. Mai 1896 wurde auch wirklich die Baupflich­tig­keit des Staates ausge­spro­chen, aber gleich­wohl die Klage der Gemein­de abgewie­sen, weil der Staat die Einre­de der Verjäh­rung erhob. Das Oberlan­des­ge­richt und Reichs­ge­richt haben die Einre­de der Verjäh­rung und die Klage­ab­wei­sung wegen Verjäh­rung bestä­tigt; mit der Rechts­fra­ge, ob das Bestrei­ten der Baupflicht seitens des Staats überhaupt begrün­det gewesen wäre, hatten sich die zwei höheren Gerich­te nicht zu befas­sen, weil diese Frage infol­ge der Verjäh­rungs­ein­re­de belang­los wurde.

Heute liegen die Verhält­nis­se so:
Der Staat ist von dem Landge­rich­te als baupflich­tig erklärt, er stützt sich aber auf sein forma­les Recht und weigert sich zu bauen, weil die Klage verjährt sei. Daran ist nichts mehr zu ändern.

Es tritt nun an die katho­li­sche Gemein­de die Pflicht heran, zu bauen. Auf sich selbst angewie­sen, aber kann diesel­be, da sie fast ausschließ­lich dem Arbei­ter, Klein­ge­wer­be und klein­bäu­er­li­chen Stand angehört, und dazu vor einem dringen­den Schul­haus­neu­bau steht, unmög­lich die Kosten des Neubau­es, die für 1000 Seelen auf 100000 Mark veran­schlagt sind, bestrei­ten. Zwar ist ein Baufonds vorhan­den, allein dersel­be ist infol­ge der hohen Prozeß­kos­ten auf kaum 1800 Mark herabgeschmolzen.

So ist zur Zeit die hiesi­ge finan­zi­el­le und kirch­li­che Notla­ge die denkbar größte und die katho­li­sche Gemein­de Oberko­chen die dürftigs­te des ganzen Landes.

Deshalb wenden sich die Unter­zeich­ne­ten an die schon tausend­mal erprob­te Opfer­wil­lig­keit ihrer Glaubens­ge­nos­sen in Württem­berg mit der dringends­ten Bitte um milde Beiträ­ge für den hiesi­gen Kirchenbau.

Tausen­de von Mark gehen alljähr­lich nach Berlin, es ist recht: die Kirchen­not in Berlin ist groß. Tausen­de gehen nach Schwe­den, es ist lobens­wert: die dorti­gen kirch­li­chen Verhält­nis­se sind schlimm. Wenn aber im eigenen Lande eine derar­ti­ge Not besteht, die vom hochw. Herrn Kapitu­lar­vi­kar anerkannt ist, wer mag es den Unter­zeich­ne­ten verübeln, wenn sie in erster Linie einen Notschrei ins Land hinaus gehen lassen und in erster Linie um Hilfe und Unter­stüt­zung bitten. Jede, auch die kleins­te Gabe ist unter herzli­chem Vergelt’s Gott willkommen.

Wolle das göttli­che Herz Jesu, die liebe Mutter Gottes, die hl. Apostel Petrus und Paulus, zu deren Ehren die Kirche gebaut werden soll, uns viele edle, herzens­gu­te Wohlt­hä­ter zufüh­ren.
Oberko­chen, den 3. Septem­ber 1898
Für den Kirchen­stif­tungs­rat«
Pfarr­ver­we­ser: Bucher,
Schult­heiß: Bezler, Verw.-Aktuar Oberförs­ter: Weiger

Oberförs­ter Weiger war dem Bericht zufol­ge Mitglied des Kirchenstiftungsrates.

Weiger ist nach den Mitglieds­bü­chern umgehend nach seinem Herzug nach Oberko­chen, 1894, in den Kirchen­chor einge­tre­ten. Nach 14 Jahren, im Lauf des Jahres 1908, ein Jahr vor seiner Zurru­he­set­zung, trat er aus dem Chor aus, blieb jedoch bis 1910 zahlen­des passi­ves Mitglied, — d.h. auch noch nach seinem Wegzug nach Herrlin­gen bei Ulm, wo er 1911 verstarb.

Während seiner aktiven Zeit im Chor verwen­de­te er sich mehre­re Male für Bazarein­käu­fe (Weihnachts­fei­ern und andere Veran­stal­tun­gen zuguns­ten des Kirchen­neu­baus). Seine Gemah­lin, Frau Rosa Weiger, war nicht nur Pianis­tin, sondern führte auch das Kassen­buch des Kirchenchors.

Oberkochen

Inzwi­schen konnte auch bestä­tigt werden, daß Oberförs­ter Carl Weiger, wie vermu­tet, tatsäch­lich im Jahre 1894, also ebenfalls in seinem ersten Amtsjahr in Oberko­chen, die Ortsgrup­pe des Schwä­bi­schen Albver­eins gegrün­det hat.

Aller­dings spricht vieles dafür, daß diese Ortsgrup­pe bereits 3 Jahre früher, 1891, von unserem bisher noch völlig unbeleuch­te­ten ältes­ten Ehren­bür­ger, Oberförs­ter Fröhner, gegrün­det worden ist, und demnach eigent­lich in diesem Jahr ihr 100-jähri­ges Bestehen hätte feiern können.

Vor über 7 Jahren erschien im Amtsblatt »Bürger und Gemein­de« vom 25. Mai 1984 anläß­lich des 90-jähri­gen Bestehens der Oberko­che­ner Ortsgrup­pe des Schwä­bi­schen Albver­eins eine »Kleine Chronik« des Vereins. Diese lautet für das Jahr 1894:

»Forst­amts­vor­stand Oberförs­ter Weiger gründet in Oberko­chen eine SAV-Ortsgrup­pe. Erste Mitglie­der waren Schult­heiß Bezler, die Geist­li­chen Brecht und Breiten­bach, die Fabri­kan­ten Bäuerle, Günther, A. Leitz sen., Zimmer­mann Ernst und Hirsch­wirt Nagel. In der Ausga­be der SAV-Blätter vom Januar 1892 werden neben Oberförs­ter Fröhner schon einige der Vorge­nann­ten als AV-Mitglie­der genannt. Demnach gab es schon 1891 eine kleine Gruppe des Albver­eins in Oberko­chen, bevor noch der Nordost­alb­gau bestand.«

Im Jahres­band der »Blätter des Schwä­bi­schen Albver­eins« ist Oberförs­ter Carl Weiger bereits 1896 als Vertrau­ens­mann geführt, — d.h. spätes­tens in diesem Jahr hatte er die Leitung der Ortsgrup­pe, — wahrschein­lich hatte er sie gleich von 1894 an, — dies wird noch nachzu­wei­sen sein.

1906 ist Weiger als einer der Obmän­ner des Haupt­ver­eins nachzu­wei­sen. Ersatz­mann ist Josef Mahler. 1909 ist Weiger auf der Mitglie­der­ver­samm­lung des SAV in Nürtin­gen, und zwar als Vertre­ter im erwei­ter­ten Hauptausschuß.

Eine ausge­spro­chen exklu­si­ve Ergän­zung zum Persön­lich­keits­bild des König­li­chen Oberförs­ters und Ehren­bür­gers Carl Weiger trug ein Oberko­che­ner bei, dessen Mutter im könig­li­chen Forst­haus Diens­te geleis­tet hatte. Aus ihren Erzäh­lun­gen war immer hervor­ge­gan­gen, daß es bei dem »barocken«, umgäng­li­chen, aktiven, gewand­ten und trink­fes­ten Oberförs­ter noch eine weite­re Eigen­schafts­va­ri­an­te gab, die sie aus nächs­ter Nähe im häusli­chen Alltag erlebt hatte: Zuhau­se sei der Oberförs­ter ein ganz anderer Mensch gewesen als in der Öffent­lich­keit, — das sei’s manch­mal ziemlich »herge­gan­gen«, und der Oberförs­ter habe recht »oaguat« sein können wenn danach was gewesen ist. Außer­dem erzähl­te sie ihrem Sohn, der es bis heute gespei­chert hat, daß der Oberförs­ter sein Pferd beim Hirsch­wirt Nagel einge­stellt und in Pflege gehabt habe.

Bekannt wurde auch, daß der könig­li­che Beamte in Oberko­chen ärztli­che Diens­te geleis­tet hat, und zwar vor dem von uns in unseren Berich­ten Nr. 88 vom 20.10.89 und Nr. 89 vom 27.10.89. bespro­che­nen »Oppolds­dok­tor« Karl Ruckgaber, der diese Funkti­on als Nothel­fer von 1914 bis 1926 in Oberko­chen ausge­übt hat. Zwischen Ruckgaber und Weiger wäre aller­dings eine ärztli­che Lücke von mindes­tens 5 Jahren.

Diese vielen uns gelie­fer­ten weite­ren Details zur Person, zur Persön­lich­keit und zum Wirken von Oberförs­ter Carl Weiger trösten uns darüber hinweg, daß der Druck­feh­ler­teu­fel ausge­rech­net in der Titel­zei­le unseres Berichts vom 8.11.91. (Bericht 150) zugeschla­gen hat und des König­li­chen Oberförs­ters Vorna­men mit «K« und nicht wie im weite­ren Verlauf des Berichts mit C« gesetzt hat. »Tsarl« wurde er genannt.

Dietrich Bantel

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