In jener Zeit, aus der anschlie­ßend berich­tet wird, waren Geburt und Tod noch nicht in die Anony­mi­tät von Kranken­häu­sern verbannt, sie spiel­ten sich inner­halb der Famili­en und Häuser ab. Deshalb waren Hebam­men und Toten­grä­ber im Dorf wichti­ge Persön­lich­kei­ten. Über die erste­ren soll nun einiges erzählt werden.

Elisa­be­ta Widmann (1754 — 1831)
Am 5. August 1754 geboren, aufge­wach­sen im Welzhei­mer Wald und wohl ohne Möglich­keit zum Schul­be­such, unter­zeich­ne­te sie zwar mit drei Kreuzen, in ihrem Beruf aber war sie — wie man heute sagen würde — Spitze. Elisa­be­ta Widmann war am 25. Febru­ar 1778 die Frau des Oberko­che­ner Bürgers und Schuh­ma­chers Johann Joachim Widmann gewor­den. Dieser war ein Sohn des Bergmanns Jakob Widmann und seiner Frau Johan­na Barba­ra. Das Paar hatte acht Kinder, zuletzt wurde im Jahr 1794 das Zwillings­paar Johann Joachim und Susan­na geboren, das aber kurz nach der Geburt starb.

Ab wann Elisa­be­ta Widmann als Hebam­me in Oberko­chen arbei­te­te, ist nicht bekannt. Sehr wahrschein­lich hat sie aber nach dem Tode ihres Mannes im März 1810 das Hebam­men­amt übernom­men und von da ab dem Oberko­che­ner Nachwuchs zum Eintritt in diese Welt verhol­fen. Genau­er gesagt, nur ein Teil der Oberko­che­ner Kinder kam mit ihrer Hilfe zur Welt, denn sie war die evange­li­sche Hebam­me. Da Oberko­chen bis zum Jahre 1802 durch eine Grenze geteilt war, gab es auch später noch bei vielen dörfli­chen Einrich­tun­gen doppel­te Beset­zun­gen, so auch beim Dienst der Hebam­men. Deshalb war für katho­li­sche Frauen

Katha­ri­na Veil
als Hebam­me zustän­dig. Sie war eine Tochter des Oberko­che­ner Beisit­zers und Taglöh­ners Johann Micha­el Groß und seiner Frau Vikto­ria geb. Schmid. Sie hatte Johann Georg Veil, Beisit­zer und Schnei­der in Oberko­chen, gehei­ra­tet und starb am 30. Juni 1827 im Alter von »67 Jahren, 10 Monaten, 9 Tagen an Lungensucht«.

Hebam­men­wech­sel
Als im Jahre 1827 die katho­li­sche Hebam­me verstor­ben und die evange­li­sche Kolle­gin mit ihren 73 Jahren etwas alters­schwach gewor­den war, sah sich der evange­li­sche Kirchen­kon­vent veran­laßt, »ebenfalls die Wahl einer neuen Hebam­me anzuge­hen, damit beide neue Hebam­men mitein­an­der in Aalen unter­rich­tet werden könnten«: Ökume­ni­sche Ansät­ze um des Sparens willen.

Die Sache hatte nur den einen Haken: Elisa­be­ta Widmann fühlte sich keines­wegs zu alt, und auch der Kirchen­kon­vent wollte die bewähr­te Kraft nicht vor den Kopf stoßen, denn »sie hatte ihr Amt schon lange Zeit zur Zufrie­den­heit verwal­tet. Aber das hohe Alter — sie war inzwi­schen 75 Jahre alt gewor­den — und die durch dassel­be herbei­ge­führ­te Kränk­lich­keit« legten einen Wechsel nahe. Deshalb beschloß der Kirchen­kon­vent, dem damals Pfarrer M. Stett­ner vorstand, und Schult­heiß Schee­rer sowie die Mitglie­der Burr, Hofmann und Widen­hö­fer angehör­ten, die bishe­ri­ge Hebam­me könne, »solan­ge sie Lust und Kraft dazu habe, das Amt verse­hen und dürfe im Falle der Dienst­un­fä­hig­keit das Herrschaft­li­che Grati­al von 12 Sack Dinkel nebst dem Holzgeld von einem Gulden und zwölf Kreuzern von der Commun« behal­ten. Als so die Versor­gung der alten Hebam­me gesichert war, konnte die Neube­set­zung der Stelle angegan­gen werden.

Neuwahl durch 31 »Mahlwei­ber«
Als Nachfol­ge­rin der bishe­ri­gen Hebam­me hatten sich drei Frauen gemel­det: Magda­le­na Kolb, Friede­ri­ke Schuma­cher, Marga­re­te Pflei­de­rer. Wahlgre­mi­um waren »31 zur Wahl berufe­ne Weiber«. Warum es gerade 31 »Wahlwei­ber« waren und wodurch sie bestimmt wurden, ist nicht übermit­telt. Als »Honora­tio­rin­nen« waren die Frau des Schult­hei­ßen, die Frauen der Convents­mit­glie­der, »Frau Schul­meis­te­rin Adam«, die Lehrers­frau, und »Frau Förster Schel­ling« vertre­ten. Vor der Wahl wurde dem Wahlgre­mi­um »ans Herz gelegt, für dieses wichti­ge Amt eine Person zu wählen, welche körper­lich und geistig dazu tauge«. Anschlie­ßend wurde die Stimm­ab­ga­be genau im Proto­koll verzeich­net. Am Ende der Wahl »ergab sich bei der Auszäh­lung, daß Magda­le­na Kolb 25 Stimmen erhal­ten hatte«, somit die Wahl eindeu­tig ausge­fal­len war.

Magda­le­na Kolb (1789 — 1839)
Als Magda­le­na Kolb, Tochter des Bergmanns Konrad Eisele, zur Hebam­me gewählt wurde, war sie 38 Jahre alt. Verhei­ra­tet mit dem Weber Balthas Kolb hatte sie drei Kinder, als ihr Mann 1819 starb. Sie versah das Hebam­men­amt ab 1827 bis zu ihrem Tode am 22. Juli 1839.

Aufga­ben und Entloh­nung
Sofort nach der Wahl wurde die neue Hebam­me »mit ihren Pflich­ten bekannt gemacht, angewie­sen, wie sie sich bei Nottau­fen zu verhal­ten habe, und mit dem Gehalt, den sie anzurech­nen habe«. Da die bishe­ri­ge Hebam­me Widmann ihr Amt nicht zurück­ge­ge­ben hatte, durfte »neben dieser auch die neue zugezo­gen werden, beide waren jedoch zu beloh­nen«. Die Natura­li­en gingen, wie zuvor schon festge­legt, weiter­hin an die alte Hebam­me. Als Einkom­men stand der neuge­wähl­ten nur das zu, was im Tarif für die einzel­nen Leistun­gen vorge­se­hen war. Dieser wurde der neuen Hebam­me ebenfalls mitgeteilt.

Er sah vor:

  1. Von einer Weibs­per­son in oder außer der Ehe für das erstge­bo­re­ne Kind 30 Kreuzer, einen Laib Brot nebst einem Scher­ben Mehl und eine gut gemach­te Haube.
  2. Bei folgen­den Gebur­ten eben dies mit Ausnah­me der Haube.
  3. Einwi­ckeln eines toten Kindbett­kin­des 12 Kreuzer,
  4. Für das Tragen dessel­ben auf den Kirch­hof ebenfalls 12 Kreuzer

Zur Verdeut­li­chung der Kosten seien einige »Viktua­li­en­prei­se« genannt, wie sie im März 1831 auf dem Wochen­markt in Aalen galten:
1 Pfd. Roggen­brot 2 kr., 1 Pfd. Kalbfleisch 6 kr., 1 Pfd. Schwei­ne­fleisch 9 kr., 1 Pfd. Butter 16 kr, 1 Pfd. gezoge­ne Lichter 16 kr., 1 Ei 5 kr.

Ausein­an­der­set­zun­gen
Obwohl Rechte und Pflich­ten der beiden Hebam­men genau abgegrenzt waren, mußte sich der Kirchen­kon­vent zwei Jahre später erneut mit dem Hebam­men­dienst befassen.

Hebam­me Widmann hatte rekla­miert, »indem meist bei Gebur­ten die neue Hebam­me Kolbin gerufen wird, werde ihr der Verdienst entzo­gen«. Zudem habe sie — so ihr Argument — »ehemals ihrer Vorgän­ge­rin vier Jahre bis zu deren Tode den jedes­ma­li­gen Verdienst überlas­sen müssen«.

Oberkochen

Nun war guter Rat teuer. Einer­seits wollte man die alte Hebam­me ihrer unbestrit­te­nen Verdiens­te wegen nicht einfach abset­zen, anderer­seits war nicht zu überse­hen, daß »bei der Widmann hie und da wegen Alters­schwach­heit Fehler vorge­kom­men und hierdurch das Zutrau­en zu ihr geschwächt wurde«. Drittens sah sich die Gemein­de nicht imstan­de, zwei Hebam­men zu entloh­nen, deshalb wurde beschlos­sen, »das König­li­che gemein­schaft­li­che Oberamt um gütige Entschei­dung in dieser Sache zu bitten«.

Drei Wochen später lag die Antwort aus Aalen vor: »Das Berufen der Hebam­me ist Sache des Vertrau­ens, und es hat niemand Anspruch auf den Verdienst, wo ein anderer Hilfe leistet. Daher erscheint die Beschwer­de der Hebam­me Widmann unbegrün­det«. Dies wurde der Beschwer­de­füh­re­rin umgehend »eröff­net und sie bezeugt es« mit drei Kreuzen.

So blieb es bei der bishe­ri­gen Regelung, bis Elisa­be­ta Widmann am 2. Juni 1831 »an Alters­ent­kräf­ti­gung in ihrem 77. Jahr weniger 2 Monate und 3 Tage« starb. Von da an war Magda­le­na Kolb allei­ni­ge Amtsin­ha­be­rin, der nun sämtli­che Einnah­men ungeschmä­lert zukamen. Sie übte den Dienst bis zu ihrem Tode im Jahr 1839 aus. Ihre Nachfol­ge­rin wurde wieder­um durch eine Wahl bestimmt. Jedoch war zunächst überlegt worden, »ob man sich nicht mit der katho­li­schen Hebam­me begnü­gen könne, da gewöhn­lich auf 1000 Seelen eine gerech­net wird«. Allein weder die Kirchen­con­vents­mit­glie­der noch die versam­mel­ten Weiber, welche die Wahl vorneh­men sollten, willig­ten in den Vorschlag ein«. Und so wurde wieder­um eine evange­li­sche Hebam­me gewählt, die aber im Unter­schied zu ihren Vorgän­ge­rin­nen von Anfang an voll entlohnt wurde, da keine »Altheb­am­me« zu versor­gen war.

Maria Anna Franzis­ka Elmer
Auf katho­li­scher Seite verlief der Hebam­men­wech­sel weit reibungs­lo­ser. Am 24. Juli 1827 wurde unter fünf Bewer­be­rin­nen Maria Anna Elmer gewählt. Sie erhielt 16 Stimmen, während es ihre Konkur­ren­tin­nen nur auf 11 bzw. 9 und 2 Stimmen brachten.

Mit dieser Wahl blieb das Hebam­men­amt in der Familie: Die neue Hebam­me war die Tochter der Amtsvor­gän­ge­rin. Sie war verhei­ra­tet mit dem Oberko­che­ner Maurer Joseph Anton Elmer und selbst Mutter von 10 Kindern. Die Übernah­me des Hebam­men­am­tes setzte eine gewis­se Vorbil­dung voraus. Obwohl die neue Hebam­me sicher­lich aus der Praxis ihrer Mutter einiges gelernt hatte, wurde sie »zum Ober- und Unter­arzt zur Prüfung geschickt, ob sie zum Unter­richt und Hebam­men­dienst fähig ist«.

Maria Anna Elmer hat den Hebam­men­dienst 23 Jahre lang bis zu ihrem Tode im Jahr 1850 ausge­übt. Sie starb an Lungen­schwind­sucht. Ihr Mann Joseph Anton Elmer überleb­te sie um 24 Jahre; er starb im für damali­ge Zeiten erstaun­lich hohen Alter von 80 Jahren 1874 an Altersschwäche.

Ende des Oberko­che­ner Hebam­men­diens­tes
Genau 100 Jahre später haben wir das Ende des Oberko­che­ner Hebam­men­diens­tes zu regis­trie­ren. Erinnern wir aber zunächst an die letzte langjäh­ri­ge Hebam­me in Oberko­chen, Frau Gertrud Hauber:

»Etwa 700 neue Erden­bür­ger hat Frau Hauber zum Licht der Welt gelei­tet«, so schrieb Bürger­meis­ter Bosch in seinem Abschieds­gruß, als Frau Hauber am 31.7.1961 aus dem Oberko­che­ner Hebam­men­amt ausschied. Sie hatte diesen Dienst im Jahre 1948 übernom­men und mußte ihn 1960 infol­ge akuter Erkran­kung aufge­ben. Frau Hauber wohnt heute in Aalen und viele Oberko­che­ner grüßen sie auf diesem Wege herzlich.

Nachfol­ge­rin von Frau Hauber war eine junge Hebam­me, die ihre Ausbil­dung an der Landes­frau­en­kli­nik in Stutt­gart damals abgeschlos­sen hatte: Frau Marga­re­te Reuff. Sie prakti­zier­te nur kurze Zeit in Oberko­chen und gab den Dienst zum 31.7.1963 auf. Von da ab war für Oberko­chen die Unter­ko­che­ner Hebam­me, Frau Dallin­ger, zustän­dig. Sie war wöchent­lich im Amtsblatt in der Spalte »Ärztl. Bereit­schafts­dienst« genannt. Zuletzt geschah dies am 23. August 1974. Ab diesem Zeitpunkt gehört das Oberko­che­ner Hebam­men­amt endgül­tig der Vergan­gen­heit an.

Oberkochen

Abbil­dung 1: Auszug aus dem »Kirchen-Covents-Proto­koll­buch« der Jahre 1923 bis 1850: Die Beschwer­de der Hebam­me Widmann wird abgewiesen.

Abbil­dung 2: Frau Gertrud Hauber, eine der letzten in Oberko­chen tätigen Hebam­men, 1958 bei der Taufe der Zwillin­ge Axel und Ingo.

Volkmar Schrenk
Fotos: Privat

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte