Offizi­el­le Todes­mit­tei­lung
»Königs­bronn, am 2. August 1926: Das Amtsge­richt Heiden­heim hat mitge­teilt, daß der verhei­ra­te­te Förster Wilhelm Braun, 49 Jahre alt, wohnhaft in Oberko­chen, im Waldteil Falchen, Markung Königs­bronnn, in der Zeit vom 31. Juli abends 7 1/2 Uhr bis 1. August vormit­tags 11 1/2 Uhr verstor­ben ist.«

Meldung der Aalener »Kocher-Zeitung« am 2. August 1926
»Oberko­chen, 1. August (Des Försters Los) Heute Vormit­tag wurde Förster Wilhelm Braun im Waldteil Falchen­hau beim Ochsen­ber­ger Feld von Beeren­samm­lern erschos­sen aufge­fun­den. … Es wird ein Rache­akt vermu­tet. Herr Braun war ein tüchti­ger, pflicht­be­wuß­ter Forst­be­am­ter und hier allsei­tig beliebt. Er stand im 49. Lebens­jahr und wurde vor 8 Jahren von Flein­heim nach hier versetzt«.

Was war gesche­hen?
Förster Braun war am Samstag­abend (31. Juli) in Beglei­tung seines Hundes mit Drillings-Jagdge­wehr und Terze­rol verse­hen ins Ochsen­ber­ger Revier gegan­gen. Er hatte in einer Waldhüt­te übernach­tet und wollte am nächs­ten Tag bis 7 Uhr wieder zu Hause sein bei seiner Frau und den beiden Buben. Wohlge­mut machte er sich am Sonntag­mor­gen kurz nach 5 Uhr auf den Heimweg, als ihm plötz­lich auf’ einem Pirsch­weg ein Mann entge­gen­kam, anschei­nend unbewaff­net (sein Abschraub­ge­wehr hatte er in seinen Kleidern verbor­gen). Aus einer Distanz von etwa 25 Schrit­ten erkann­te Braun den Ochsen­ber­ger Bauern X., Schwie­ger­va­ter von Y., dem Pächter des angren­zen­den Jagdre­viers. Da der Förster ein sehr korrek­ter, auf Ordnung bedach­ter Mann war und schon lange den Verdacht hegte, beide würden die Grenzen der Revie­re nicht respek­tie­ren und im Staats­wald wildern, brach­te er sein Gewehr in Anschlag und rief: »Halt oder ich schie­ße«. Der so Angeru­fe­ne gab zunächst klein bei und meinte, so schnell schie­ße man doch nicht. Förster Braun antwor­te­te: »Sie haben ein Gewehr bei sich, links ist der Schaft, rechts der Lauf«, und machte sich daran, den Verdäch­ti­gen abzutas­ten. Dabei sah dieser, daß Braun am linken Handge­lenk (als Folge einer Kriegs­ver­let­zung) eine Metall­schie­ne trug, also seinen Arm nicht voll gebrau­chen konnte.

Als der Förster das Gewehr des Bauern ertas­tet hatte und ihn auffor­dern wollte, mit zum Rathaus zu kommen, nützte X. die Gunst des Augen­blicks und entriß dem Forster den gelade­nen und gespann­ten Drilling. Braun wich darauf­hin ein wenig zurück, zog sein Terze­rol und wollte abdrü­cken. Dem kam aber sein Gegner zuvor. Der Gedan­ke »er oder ich« hatte ihn in Panik versetzt, deshalb riß er das Gewehr des Försters hoch, drück­te ab und ein Schrot­schuß entlud sich. Dem Förster fiel der Hut vom Kopf, mit einem Aufschrei griff er nach seiner rechten Schulter.

Verfol­gungs­jagd
X. war einen Augen­blick wie gelähmt. Dies nutzte Förster Braun zur Flucht und gewann einen Vorsprung von etwa 25 Meter. Als Bauer X. sich der Situa­ti­on bewußt wurde, überleg­te er — so seine Aussa­ge beim späte­ren Mordpro­zeß vor dem Ellwan­ger Schwur­ge­richt — wenn er den Förster entkom­men lasse, würde er schwer bestraft werden, wenn aber Braun nicht mehr sprechen könne, würde nichts heraus­kom­men. Im Bewußt­sein einer solch fatalen Fehlein­schät­zung jagte er dem Förster zunächst einem Hafera­cker entlang nach, dann verfolg­te er ihn auf einem Feldweg, wobei er den rechten Hahn des Drillings erneut spann­te und auf Kugel umschal­te­te. Als er dem durch den ersten Schuß Geschwäch­ten auf etwa 10 Meter nahege­kom­men war, schien ihm die Positi­on günstig zu sein: X. schoß Förster Braun hinter­rücks nieder. In der Aufre­gung hatte er sogar beide noch gelade­nen Läufe abgedrückt, so daß Braun nicht nur von einer Kugel getrof­fen tot zu Boden sank, sondern auch von einer Ladung Schrot bei der späte­ren Obduk­ti­on zählte man 60 Schrot­kör­ner, die den Förster getrof­fen hatten.

Vortäu­schung eines Unglücks­falls
Als der Bauer merkte, was er angerich­tet hatte, rannte er den Weg zurück und traf seinen Schwie­ger­sohn Y., der durch die beiden Schüs­se alarmiert worden war. Dieser fragte ihn, ob er ein Wild geschos­sen habe. »Ein Reh nicht, aber einen Förster, dort liegt er«, war die Antwort des Schüt­zen, der sich inzwi­schen auch schon einen Plan zur Vertu­schung der Tat zurecht­ge­legt hatte: Es sollte ein Unfall gewesen sein.

X. wußte, daß der Förster in der Nähe einen Hochsitz hatte. Dorthin schlepp­ten sie den Toten und legten ihn so ab, daß man meinen konnte, Förster Braun sei vom Hochsitz gefal­len, wobei sein Gewehr losge­gan­gen und er sich selbst erschos­sen habe. Hut, Feldste­cher, Gewehr zerstreu­ten sie entspre­chend, das Terze­rol warfen sie in einen Wasser­tüm­pel, nur der Hund machte ihnen Schwie­rig­kei­ten. Er hatte zuvor schon laut jaulend das furcht­ba­re Gesche­hen beglei­tet und war nun nicht mehr von der Stelle zu bewegen, seinen toten Herrn treulich bewachend. Da banden die beiden ihn an der Leiche seines toten Herrn fest.

Die so zu Mördern gewor­de­nen bisher unbeschol­te­nen Ochsen­ber­ger Bauern machten sich rasch auf den Heimweg mit dem gegen­sei­ti­gen Verspre­chen, über das grausi­ge Gesche­hen absolu­tes Still­schwei­gen zu bewah­ren und ganz einfach zur norma­len Tages­ord­nung überzu­ge­hen. In der Eile beach­te­ten sie aber dabei nicht einen Schäfer, der in der Nähe seine Schafe hütete und dabei auch zwei Schüs­se in der Stille des Sonntags­mor­gens gehört hatte. Dieser gab später den wichti­gen Hinweis auf zwei Männer, die eilig aus dem Wald gekom­men seien, die er aber wegen der großen Entfer­nung im fahlen Morgen­licht nicht habe erken­nen können.

Aufde­ckung des Mordes
Zu Hause angekom­men sagten sie ihren Famili­en, sie wollten Beeren suchen gehen. Dabei dirigier­ten sie die dreizehn­jäh­ri­ge Tochter von Y. unauf­fäl­lig in die Nähe des Hochstands, und sie fand — verständ­li­cher­wei­se rein zufäl­lig — den toten Förster von seinem Hund bewacht unten an der zum Hochsitz führen­den Leiter. Unver­züg­lich melde­ten sie den grausi­gen Fund und sagten Förster Häber­le, sein Kolle­ge Braun von Oberko­chen sei verun­glückt, er liege tot unter seinem Hochsitz. Um die Einlei­tung von Unter­su­chun­gen hinaus­zu­zie­hen, verzö­ger­ten sie das Aufsu­chen der Fundstel­le durch ein Mittag­essen, das der Ochsen­ber­ger Förster abwar­ten mußte. Schließ­lich begut­ach­te­te man gemein­sam die Fundstel­le und der Beamte alarmier­te Landjä­ger und Landes­kri­mi­nal­po­li­zei in Heiden­heim. Inzwi­schen hatte auch Frau Braun in Oberko­chen ihren Mann vermißt. Als ihr ein Förster­kol­le­ge die trauri­ge Nachricht überbracht hatte, eilte sie zum Ort des Gesche­hens, wo sie auch X. traf, der ihr mit Tränen in den Augen sein Beileid aussprach.

Bei den alsbald aufge­nom­me­nen Ermitt­lun­gen der Mordkom­mis­si­on, die von Polizei­hun­den beglei­tet war, fiel die Theorie von einem Unfall rasch in sich zusam­men und der Verdacht richte­te sich auf die »Beeren­su­cher«, zumal bekannt gewor­den war, daß Förster Braun die beiden früher schon des Wilderns verdäch­tigt hatte, dies aber nie bewei­sen konnte. Zunächst wurde der jünge­re Y. verhört und ihm bedeu­tet, man habe seine Finger­ab­drü­cke an Kleidung und Ausrüs­tung des Försters gefun­den. Mit krimi­na­lis­ti­schem Scharf­sinn wurde der Fundort nicht als Tatort erkannt, denn die tödli­che Kugel hatte Förster Braun waagrecht durch­bohrt, Schrot­spu­ren waren — außer am Toten — in der Umgebung des Hochsit­zes nicht festzu­stel­len und schließ­lich konnte der Hund nicht schon auf dem Hochstand an den Förster gebun­den worden sein.

So in die Zange genom­men beteu­er­te Y. hartnä­ckig seine Unschuld am Tode Brauns, gab aber schließ­lich die Hilfe beim Trans­port der Leiche zu und bezich­tig­te zum Schluß seinen Schwie­ger­va­ter X. des Mordes. Auch dieser leugne­te länge­re Zeit mit Hinwei­sen auf seine Unbeschol­ten­heit, denn er besaß in Ochsen­berg ein schul­den­frei­es Anwesen von 19 Morgen und war neben­her noch Stein­bruch­ar­bei­ter. Nachdem bei einer Hausdurch­su­chung die Polizei im Heuscho­ber noch zwei Geweh­re und eine Menge Muniti­on gefun­den hatte und er sich immer wieder in Wider­sprü­che verwi­ckel­te, legte er ein Geständ­nis ab und sagte: »Der lieder­li­che Braun ist mir in den Weg gekom­men, da habe ich nicht anders können, ich habe schie­ßen müssen«. Diese Aussa­ge führte dann ein Viertel­jahr später zum Prozeß vor dem Schwur­ge­richt in Ellwangen.

Beiset­zung des Försters in Oberko­chen
Am 4. August 1926 beweg­te sich ein Leichen­zug durch Oberko­chen, wie man ihn zuvor noch nie gesehen hatte. Die gesam­te Einwoh­ner­schaft nahm Anteil, Kolle­gen, Vereins­ka­me­ra­den — Braun war Ausschuß­mit­glied im Vetera­nen- und Militär­ver­ein gewesen -, Forst­di­rek­ti­on, Holzhau­er­ge­sell­schaf­ten, Albver­ein hatten Abord­nun­gen mit Fahnen und Kränzen entsandt. Am Krieger­denk­mal (Linden­brun­nen) sang der Männer­chor einen Trauer­cho­ral und der evange­li­sche Fried­hof konnte die Trauer­ge­mein­de gar nicht fassen. Selbst der zum Zeitpunkt der Beiset­zung noch nicht gefaß­te Mörder hatte sich mit trauern­der Miene am offenen Grab eingefunden.

Ortspfar­rer Stöck­le hielt die Trauer­an­spra­che und fand ergrei­fen­de Worte für den Verstor­be­nen, aber auch tröst­li­che Gedan­ken für Frau Braun und die beiden noch minder­jäh­ri­gen Söhne. Wie die späte­re Frau des jünge­ren Sohnes, Frau Helma Braun, erzähl­te — Frau Braun ist den Oberko­che­nern als Verwal­te­rin der Ortsbü­che­rei noch im Gedächt­nis -, begann für die Familie eine schwe­re Zeit. Für die beiden Buben, die gute Schüler am Aalener Gymna­si­um waren, zu Hause aber fleißig mithel­fen mußten beim Futter holen, Hasen füttern, Holz machen, war der Schul­be­such nicht mehr erschwing­bar, denn damals mußte noch Schul­geld bezahlt werden.

Prozeß und Urteil
Bereits am 19. August 1926 konnte der Mord an Förster Braun als aufge­klärt gemel­det werden. Der Täter, der 46-jähri­ge Bauer X. und sein 24 Jahre alter Schwie­ger­sohn Y. waren festge­nom­men worden und hatten die Tat gestan­den. Beim Prozeß in Ellwan­gen wurde zunächst der Tather­gang wie zuvor schon beschrie­ben rekon­stru­iert. Haupt­punkt war die Frage, ob Mord vorliegt — wie der Staats­an­walt unter­stell­te — oder ob nach Meinung des Vertei­di­gers nur auf Totschlag zu erken­nen sei. Auch der Haupt­tä­ter selbst beton­te immer wieder, er habe ohne Überle­gung gehan­delt und sei im tägli­chen Leben auch leicht erreg­bar und aufgeregt.

Die Ankla­ge dagegen hielt wohlüber­leg­tes Handeln für gegeben. Dafür spreche die kurze Zeit des Einhal­tens nach dem ersten Schuß, die zielsi­che­re Abgabe des Todes­schus­ses (wobei der gleich­zei­ti­ge Schrot­schuß als techni­sches Verse­hen darge­legt wurde), auch das Verhal­ten nachher sei nur berech­nend gewesen, vom Versuch, einen Unfall vorzu­täu­schen, bis zur Teilnah­me an der Beerdi­gung, damit ja kein Verdacht auf ihn falle.

Dementspre­chend fiel das Urteil aus: »Der Angeklag­te wird wegen eines Verbre­chens des erschwer­ten Wider­stan­des gegen einen Forst­be­am­ten in Tatein­heit mit versuch­tem Totschlag zu der Zucht­haus­stra­fe von 3 Jahren und wegen Mordes zur Todes­stra­fe und zu dauern­der Aberken­nung der bürger­li­chen Ehren­rech­te verur­teilt. Der Angeklag­te hat auch die Kosten des Verfah­rens zu tragen.«

Das Todes­ur­teil wurde später in eine lebens­läng­li­che Zucht­haus­stra­fe umgewan­delt. Der Mörder aber richte­te sich selbst durch Erhän­gen in der Gefäng­nis­zel­le. So wurde durch Lust am Jagen und unbeherrsch­tes Handeln eines Augen­blicks Glück und Wohlerge­hen der Oberko­che­ner Försters­fa­mi­lie, aber auch die Zukunft der beiden Ochsen­ber­ger Bauern­fa­mi­li­en zerstört.

Der Bericht stützt sich auf:
1) Prozeß­be­richt mit ausführ­li­cher Schil­de­rung des Tather­gangs (Kocher-Zeitung vom 29.10.1926)
2) Bericht in BuG vom 29.11.1974 (Richard Wolff, — »Ein Zeuge schwieg«)
3) Artikel von Krimi­nal­di­rek­tor Busdorf über »Förster­mor­de«
4) persön­li­che Mittei­lun­gen von Frau Helma Braun, der für ihre Unter­stüt­zung freund­lich gedankt wird.

Volkmar Schrenk

Oberkochen
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