Oberko­chen besaß früher zwei schie­nen­glei­che Bahnüber­gän­ge, denen je ein Bahnwär­ter­häus­chen zugeord­net war. Dort wohnte der Strecken- und Bahnwär­ter mit seiner Familie. Zwar war die Eisen­bahn, als sie 1864 Oberko­chen erreich­te und auch die Häuschen erbaut wurden, schon den Kinder­schu­hen entwach­sen und es mußte kein Strecken­wär­ter mehr zu Fuß oder Pferd vor jedem Zug herge­hen und durch Schwen­ken einer roten Fahne mit Horn oder Pfeife auf den heran­na­hen­den Zug aufmerk­sam machen.

Dennoch war der Dienst des Bahnwär­ters wichtig und verant­wor­tungs­voll. Auf der Oberko­che­ner Strecke verkehr­ten 1890 je 5 Perso­nen­zü­ge in beiden Richtun­gen. Die Abfahrts­zei­ten waren
nach Aalen: 6.26, 8.31, 12.50, 4.28, 7.34 Uhr,
nach Heiden­heim: 7.27, 11.36, 2.45, 6.12, 8.45 Uhr,
wobei man damals am Tag zweimal 12 Stunden rechnete.

Die heuti­ge Zählung von 0.00 bis 24.00 Uhr wurde erst im Mai 1927 einge­führt. Dabei entstan­den über die Frage, ob es nun »auch 13 schla­gen« könne, große Kontro­ver­sen. Auf die sogenann­te »Mittel­eu­ro­päi­sche Einheits­zeit« hatte man sich schon früher geeinigt. In Aalen wurden z.B. die »für das bürger­li­che Leben maßgeb­li­chen Uhren nach denen der Eisen­bahn gerich­tet« und in der Nacht zum 1. April 1892« behufs des Übergangs um 23 Minuten voergestellt«.

Zwischen den Zügen hatte der Bahnwär­ter täglich mindes­tens zweimal seinen Strecken­ab­schnitt zu kontrol­lie­ren und auch kleine Handgrif­fe selbst an Ort und Stelle auszu­füh­ren. Deshalb gehör­ten Hammer und Schrau­ben­schlüs­sel zu seiner Ausrüs­tung. Dazu kam noch die Bedie­nung der Bahnschran­ken, wenn das Läutwerk ein entspre­chen­des Zeichen gab. Waren die Schran­ken geschlos­sen, setzte der Bahnwär­ter seine Dienst­müt­ze auf, nahm Haltung an — dem Zug könnte ja ein Salon­wa­gen mit hohen Herrschaf­ten angehängt sein — und beobach­te­te den vorüber­brau­sen­den Zug. Daß in der umgehäng­ten Dienst­ta­sche wohlver­wahr­te »Knall­kap­seln« sich befan­den, ist keine Legen­de, daß damit aber auf der Oberko­che­ner Strecke bei Gefahr je ein Zug zum Halten gebracht worden wäre, ist nicht bekannt.

Da das Einkom­men eines Bahnwär­ters nicht üppig war, mußte in der Freizeit — und vor allem von der Bahnwär­ters­frau — Garten­bau und etwas Landwirt­schaft betrie­ben werden. Jeder Bahnwär­ter hatte eine oder mehre­re »Bahnwär­ters­kü­he«, sprich Ziegen und meist auch Hühner und Hasen.

1890: Bahnwär­ter vom Zug überfah­ren
Am Abend des 13. März 1890 war der Oberko­che­ner Bahnwär­ter Engel vom Posten Nr. 8, dem in Richtung Aalen liegen­den Bahnwär­ter­haus, auf seinem Dienst­gang. Um 7.34 Uhr — heute würde man 19.34 Uhr sagen — sollte der beschleu­nig­te Perso­nen­schnell­zug von Ulm nach Aalen (er führte Wagen 1., 2., 3. Klasse) im Bahnhof Oberko­chen abfah­ren. Da der Zug etwas Verspä­tung hatte, wollte Bahnwär­ter Engel als pflicht­be­wuß­ter Beamter noch auf der anderen Seite des Übergangs die Warnleuch­ten aktivie­ren, denn um Öl zu sparen, waren tagsüber die Dochte soweit als möglich zurück­ge­dreht. Offen­bar kam dann der Zug doch rascher als gedacht heran, »Engel wurde von demsel­ben erfaßt und mit solcher Wucht auf die Seite geschleu­dert, daß der Unglück­li­che einen Schädel­bruch, einen Bruch des linken Beines und verschie­de­ne Rippen­brü­che erlitt, wobei der Tod alsbald eintrat«, so schil­dert die Aalener »Kocher-Zeitung« den Hergang des Unglücks und fährt fort: »Die Frau, durch das länge­re als sonst gewohn­te Ausblei­ben ihres Mannes beunru­higt, suchte nach demsel­ben und fand ihn alsbald tot am Bahnüber­gang liegend. Engel war ein pflicht­eif­ri­ger, ruhiger Mann; er hinter­läßt eine Witwe und drei erwach­se­ne Kinder«.

Nachfol­ger
Der Nachfol­ger des am Posten Nr. 8 Verun­glück­ten war Bahnwär­ter Traber. Von diesem übernahm 1898 Johan­nes Vogel, selbst Sohn eines Bahnwär­ters und allge­mein nur »Hans« genannt, den Schran­ken­wär­ter­dienst. Er stamm­te aus Hohen­berg, seine Frau war aus Schwabs­berg gebür­tig, wo sie 1899 heira­te­ten. Der jüngs­te Sohn Ulrich erzähl­te über den Dienst seines Vaters: »Die Tagschicht meines Vaters dauer­te von 1/2 5 Uhr früh bis 6 Uhr abends. Dann machte meine Mutter die Nacht­schicht bis 11 Uhr nachts«. Zum Dienst gehör­te die Bedie­nung der Schran­ken und je einmal am Vor- und Nachmit­tag war die Strecke abzuge­hen. Der zum Posten Nr. 8 gehören­de Strecken­ab­schnitt reich­te vom Einfahrts­si­gnal beim Bahnhof bis kurz vor die Spran­zen­müh­le bei Unter­ko­chen, während sich der südli­che Abschnitt von der Bahnhof­aus­fahrt bis zum Seegar­ten­hof erstreck­te. Am zugehö­ri­gen Posten Nr. 9 waren die Bahnwär­ter Hauber und später Haßler eingesetzt.

Die Enden der Strecken­ab­schnit­te waren durch sog. Kontroll­stö­cke markiert. An diesen mußte der Bahnwär­ter morgens eine vierecki­ge, nachmit­tags eine runde Blech­ta­fel aufhän­gen als Beweis dafür, daß er seinen Kontroll­gang pflicht­ge­mäß absol­viert hatte.

Zur Aufbes­se­rung des Einkom­mens betrie­ben auch die Oberko­che­ner Bahnwär­ter neben ihrem verant­wor­tungs­vol­len und auch nicht ganz ungefähr­li­chen Dienst Landwirt­schaft auf den von der Bahn gepach­te­ten Abhän­gen und Grünstrei­fen entlang der Schie­nen. Und »wir Kinder«, so erzähl­te Herr Vogel, »mußten immer den Gelei­sen entlang die »Katzen­schwän­ze« und anderes Unkraut heraus­zie­hen, damit stets alles sauber war«. Ob die Kinder dafür etwas bekom­men hätten, war die Gegen­fra­ge. »Nein, wir halfen so mit und als ich später nach Aalen in eine Schrei­ner­leh­re kam, erhielt ich 50 Pfennig in der Woche«.

Nach Johann Vogel übernahm Karl Bayer den Bahnwär­ter­pos­ten. Ihm folgten später als Bahnwär­ters­leu­te Familie Josef Kiz.

Feldkreuz und Bettel­brun­nen
Herr Vogel berich­te­te u.a. auch über das Feldkreuz im Kreuz­wa­sen, das heute an der Klein­gar­ten­an­la­ge in Höhe des alten Bahnüber­gangs steht: »1915 hat ein Sturm das alte Kreuz umgewor­fen. Mein Vater ließ von Schlos­ser Schie­ber in Aalen ein neues Kreuz herstel­len. Den Stein, auf dem es aufge­rich­tet wurde, holte Müller Elser aus einem frühen im »Langen Teich« vorhan­de­nen Stein­bruch. Gemau­ert hat das Ganze der späte­re Toten­grä­ber Eugen Schaupp im Kriegs­jahr 1916«. Seit wann das Vorgän­ger­kreuz existiert hatte, war nicht zu ermit­teln. Ob es als Gedenk­kreuz für den 1888 verun­glück­ten Bahnwär­ter Engel aufge­stellt worden war?

Im Zusam­men­hang mit dem Bahnwär­ter­haus ist in BuG vom Januar 1954 eine andere offene Frage angespro­chen: »Unter­halb des Bahnwär­ter­hau­ses an der Straße nach Unter­ko­chen«, so wird geschrie­ben, »befin­den sich die Reste eines alten Brunnens, der im Volks­mund »Bettel­brun­nen« genannt werden soll … Es wäre inter­es­sant, warum der Brunnen so bezeich­net wird. Wer näheres darüber weiß, möge dies dem Bürger­meis­ter­amt mittei­len«. Offen­sicht­lich sind keine Antwor­ten einge­gan­gen, da die Sache später nicht mehr erwähnt wurde, obwohl ein Vertrag, der im Jahre 1901 mit der Stadt Aalen über deren Quell­fas­sun­gen abgeschlos­sen wurde, die »späte­re Unter­hal­tung des Brunnens für alle Zeiten der Gemein­de Oberko­chen« übertra­gen hatte.

Andere Unfäl­le
Übrigens: Bahnüber­gän­ge waren durch­aus Gefah­ren­quel­len. Am selben Tag, als der Oberko­che­ner Bahnwär­ter Engel verun­glück­te, kam an einem Wasser­al­fin­ger Bahnüber­gang eine Frau ums Leben. Am 25. Januar 1892 verlor der Lauch­hei­mer Handels­mann Kaufmann — wohl ein Namens­vet­ter des durch die Geschich­te mit dem entlau­fe­nen Stier im Herbst 1892 bekannt gewor­de­nen Viehhänd­lers David Kaufmann (BuG-Bericht Nr. 121) — am südli­chen Oberko­che­ner Bahnüber­gang sein Leben. »Er wurde vom Zug überfah­ren und erlitt solche Verlet­zun­gen, daß er bald darauf den Geist aufgab« (Aalener Kocher-Zeitung vom 27. Januar 1892).

Oberkochen

Das Bild aus der Sammlung von Foto Stelzen­mül­ler (Origi­nal im Besitz von Fam. Vogel) entstand in den frühen zwanzi­ger Jahren unseres Jahrhun­derts. Es zeigt den Bahnwär­ter Johan­nes Vogel (1867 — 1947) mit der jüngs­ten Tochter Johan­na und Erwin Betzler, einem späte­ren Schwie­ger­sohn. (Herr Betzler konnte Anfang Juli dieses Jahres seinen 91. Geburts­tag feiern: Nachträg­lich noch herzli­che Glückwünsche!).

Wohltä­tig ist das Feuers Macht …
so schreibt Bürger­meis­ter Bosch in BuG vom 15. Febru­ar 1974 über das Ende des zum Strecken­pos­ten Nr. 8 gehören­den Bahnwär­ter­häus­chens. Mit Fertig­stel­lung der Oberko­che­ner Umgehungs­stra­ße und der Aufhe­bung der beiden schie­nen­glei­chen Bahnüber­gän­ge Ende Novem­ber 1960 waren Posten und Häuschen überflüs­sig gewor­den. Im Gegen­satz zum Bahnwär­ter­haus am südli­chen Oberko­che­ner Bahnüber­gang, das in Privat­be­sitz überging und hübsch ausge­baut wurde, ist das auf dem Foto gezeig­te nördli­che Bahnwär­ter­haus nicht mehr vorhan­den. In den letzten Kriegs­ta­gen des Jahres 1945 schwer beschä­digt, wurde es zwar danach wieder bewohn­bar gemacht. Da das Häuschen auf einem Grund­stück erbaut war, das der Stadt Aalen gehör­te und inner­halb deren Wasser­schutz­zo­ne lag, dräng­te Aalen seit 1959 auf seine Besei­ti­gung. Die Oberko­che­ner Verwal­tung dagegen wollte es wegen der herrschen­den Wohnungs­not möglichst lange erhal­ten. Dies gelang bis ins Jahr 1974 hinein. Doch dann kam das endgül­ti­ge »Aus«: Im Febru­ar 1974 wurde das Haus bei einer Feuer­wehr­übung »heiß abgebro­chen«. »Den Rest«, so schrieb Bürger­meis­ter Bosch damals, »werden in den nächs­ten Tagen die Planier­rau­pen besor­gen. Dann ist ein weite­res Kapitel Oberko­che­ner Eisen­bahn­ge­schich­te endgül­tig abgeschlossen«.

Volkmar Schrenk

Nachtrag zu Bericht 141
»Etwas über das Bahnwärterhäuschen«

Von Herrn Anton Feil, Bahnhofs­vor­stand i.R., erhiel­ten wir zu obigem Bericht folgen­de ergän­zen­den Mitteilungen:

Die Nachfol­ge von Schran­ken­wär­ter Vogel hat Karl Bayer am 25.5.1928 angetre­ten. Nach seiner Zurru­he­set­zung am 30.9.1954 folgte am 11.10.1954 Josef Kriz, der dort bis zum 15.12.1959 Dienst tat.

Vom 16.12.1959 bis zur Aufhe­bung des Wärter­pos­tens am 25.10.1963 war Clemens Blank Schran­ken­wär­ter auf Posten 8.

Am 26.1.1963 ging das Wärter­haus in den Besitz der Gemein­de Oberko­chen über. Es wurde bis zum Jahr 1974 wohnlich genutzt.

Verbun­den mit einer Feuer­wehr­übung wurde das Wärter­haus am 11.2.1974 — wie schon richtig erwähnt — »warm« abgebrochen.

Zur Erläu­te­rung: Bei der Numme­rie­rung an der Bahnli­nie zählt jede Betriebs­stel­le. So hatte der Bahnhof die Nr. 9, das ehema­li­ge Bahnwär­ter­haus in Höhe der Fa. Günther und Schramm (es wurde beim Bau der Umgehungs­stra­ße abgebro­chen) hatte die Nr. 10 und der frühe­re Übergang Hauber — Hassler (heute Hut) die Nr. 11. Am Seegar­ten­hof (Birkach) Posten 12 usw.

Dietrich Bantel

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