
Im Zuge von Restaurier- und Umbaumaßnahmen am Gebäude Nähboutique Steckbauer, Heidenheimer Straße 4, ist in den letzten Maitagen dieses Jahres ein schönes Fachwerk zutage getreten. Dies war Anlaß für den Heimatverein, sich näher für das Gebäude zu interessieren.
Im Rahmen der Darstellung der Geschichte der Oberkochener Industrie (Dr. Kämmerer) im Heimatbuch ist dieses Gebäude auf den Seiten 138 und 139 erwähnt. Das Gebäude, vormals Haus Nr. 41, wurde 1882 von Jakob Chr. Bäuerle (Firmengründer), erworben. Durch den Kauf war es ihm gelungen, ans Wasser des Katzenbachs zu kommen. Bereits ein Jahr später, 1883, erhielt er die Genehmigung, »ein 1,40 m hohes, 0,4 m breites oberschlächtiges hölzernes Wasserrad zum Betrieb eines Blasbalges einzusetzen und hierzu die Wasserkraft des Katzenbaches zu benutzen.« Im Heimatbuch ist die entsprechende Presseverlautbarung des Königlichen Oberamts vom 21. Mai 1883 abgedruckt.
Jakob Christoph Bäuerle starb 1891, und der älteste seiner 3 Söhne, Adolf Bäuerle, übernahm die Werkstatt. Er begann in diesem Gebäude mit der Produktion von Maschinenwerkzeugen für die Holzbearbeitung. Bereits 1926 wurden, noch in diesem Geäude, die ersten Maschinen produziert.
Das Gebäude selbst wurde nach den Unterlagen der Gebäudebrandversicherung von 1942 im Jahr 1852 gebaut.
Nun fand sich bei den Akten auf dem Rathaus ein Plan mit Antrag auf Genehmigung vom 24. September 1909. Hier heißt es wörtlich: »Adolf Bäuerle — Bohrerfabrikant in Oberkochen. Antrag auf Genehmigung eines 1‑stöckigen 7,20 m langen u. 4,50 m breiten Werkstattanbaus an der nordwestlichen Giebelseite seiner Werkstätte u. Wohngebäudes Nr. 41 in Oberkochen von Stein unter Giebeldach und einer 3,00 m langen und 2,50 breiten Waschküche mit Pultdach an der nordwestlichen Seite.«
Wo im Situationsplan von 1883 noch ein Gemüsegarten eingezeichnet ist, befindet sich nun ein ziemlich großer »Sammelweiher«, der mit einem künstlichen Damm abgestaut ist. Von diesem führt, unter der neuzuerrichtenden Waschküche hindurch, oder zumindest durch sie hindurch, eine Einlaufrinne, durch die das Wasser geführt wird, das zum Betrieb des im Hauptgebäude befindlichen Wasserrads benötigt wird. Sogar das große eiserne Rad, über das dann die Transmission betrieben wurde, ist im Plan zu erkennen.
Das Wasser aus Einlaufrinne (Kanal) und aus Oberlauf des Sammelweihers (Leerschuss) wurde kurz hinter dem heutigen Standort des Bohrermacherbrunnens wieder zusammengeführt. Gebäude 4 und Sammelweiher sind zur Verdeutlichung grau angelegt.
Bei Grabarbeiten im hinteren Erdgeschossbereich sind Reste des alten Kanals zum Vorschein gekommen.

Links in der Planskizze vom 21.9.1909 verläuft die Heidenheimer Straße (Ortsweg Nr. 1). Von dort aus ist unsere Aufnahme der Giebelseite des Gebäudes gemacht, im Plan durch eine kräftige Linie und einen Pfeil markiert. Bei näherem Betrachten stellte sich heraus, daß der bemerkenswerte Fachwerkgiebel leider ziemlich vom Zahn der Zeit angenagt war, sodaß die Besitzer sich entschließen mußten, ihn auszubauen.
Er ist zwischenzeitlich exakt vermessen, und es bleibt zu hoffen, daß Wege gefunden werden, daß er wiedererrichtet werden kann unter Sichtbarbelassung des Fachwerks. Dies wäre eine wünschenswerte Aufwertung des Gebäudes, aber auch der gesamten öffentlichen Platzsituation. Im Zusammenklang mit dem Bohrermacherbrunnen wäre hier ein sinnvoller Bezug zu den Anfängen der Alt-Oberkochener Industrie geschaffen.
Zu bemerken ist noch, daß die Giebelseite des Gebäudes, bis auf den Dachgiebel, in Stein ausgeführt ist.
Ergänzung zu Bericht 140
Unser Mitglied, Herr Eugen Trittler aus Unterschneidheim, teilt uns mit, daß das Gebäude Heidenheimer Straße Nr. 4 nach seinen Unterlagen (Kopie eines Katasterauszugs Oberkochen von Geometer Louis Eberhardt von 1830 — 1. Staatliche Vermessung in Württemberg) zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden habe, und nicht, wie von der Württembergischen Gebäudebrandversicherung im Jahr 1942 angegeben, im Jahr 1852 errichtet wurde. Als Besitzer ist in diesem Urkataster ein Ludwig Starz, Taglöhner, angegeben.
Dem Katasterplan von 1830 ist ferner zu entnehmen, daß Oberkochen vor 160 Jahren aus ca. 130 Gebäuden bestand. Das heutige Gebäude Heidenheimer Straße 4, in den Unterlagen der Württembergischen Gebäudebrandversicherung als »vormals Haus 41« angegeben, läuft in dem Katasterauszug von 1830 als »Haus 28«.
Da sich bei den Unterlagen auf dem Rathaus keine älteren Bauakten zu diesem Gebäude befinden, muß zunächst offen bleiben, wie alt das Haus nun wirklich ist. Es bestehen 2 Möglichkeiten: Entweder das Haus wurde tatsächlich 1852 neuerrichtet, anstelle eines baufällig gewordenen Vorgängers, oder das Haus bestand bereits 1830, wobei fraglich ist, seit wann. In letzterem Falle könnte die Altersangabe des seinerzeitigen Besitzers gegenüber der Gebäudebrandversicherung im Jahr 1942 unwissentlich oder absichtlich so ausgefallen sein, daß das Haus mindestens 22 Jahre jünger wurde.
Hierzu wären Kommentare von älteren Bürgern interessant: Die Altersangaben der Württembergischen Gebäudebrandversicherung von 1942 für Gebäude in unseren Berichten sind schon mehrfach als »viel zu jung« bezeichnet worden.
Dietrich Bantel