»Vom Oberen Kocher. Still und einsam, einge­schlos­sen in seine Bergesrie­sen und durch­schlän­gelt von der silber­hel­len Kocher­quel­le, liegt das Dörflein Oberko­chen, wartend besse­rer Tage, wo das eisige Winter­kleid dem herrlichs­ten Grün weichen muß. Mitten in dieser Einsam­keit erfreut uns nun schon das dritte Jahr der katho­li­sche Kirchen­chor mit herrlichen

Theater­auf­füh­run­gen«,

so lesen wir in der »Kocher-Zeitung« am Sonntag, 25. Dezem­ber 1887. Anlaß, über Theater­auf­füh­run­gen aus damali­ger Zeit zu berich­ten ist aber der 100. Todes­tag (21. April 1891) des Mannes, dem Oberko­chen diese Auffüh­run­gen zu verdan­ken hatte: Lehrer Ivo Ferdi­nand Gutmann, der »als wahrhaft christ­li­cher Mann, als kennt­nis­rei­cher Schul­leh­rer und guter Musiker zwölf­ein­halb Jahre« in Oberko­chen gewirkt hatte.

Kath. Kirchen­chor und Cäcili­en­ver­ein
Der katho­li­sche Kirchen­chor war 1827 von Pfarrer Lauth und Lehrer Balluff (Vater des späte­ren Hofopern- und Kammer­sän­gers Anton Balluff) gegrün­det worden.

Um den Kirchen­chor finan­zi­ell und ideell zu unter­stüt­zen, bilde­te sich ca. 50 Jahre später der sogenann­te »Cäcili­en­ver­ein«. Dieser war das Dach, unter dem geist­li­che und weltli­che Chormu­sik, aber auch Theater­spiel gedei­hen konnten, voraus­ge­setzt, daß tüchti­ge Dirigen­ten und Regis­seu­re in Person des jewei­li­gen Schul­meis­ters vorhan­den waren. Diesen Glücks­fall gab es in Oberko­chen in den achtzi­ger Jahren. Es war Lehrer Gutmann, der »Spiri­tus rector« der Theater­grup­pe, ein vielsei­ti­ger Mann, hochmu­si­ka­lisch und ein guter Lehrer und somit würdi­ger Nachfol­ger von Konrad Balluff.

»Stern von Bethle­hem«,
so hieß das im Jahr 1887 aufge­führ­te Stück. Die Berich­te darüber rühmen Beleuch­tung des Sterns durch »benga­li­sches Feuer« — nicht ganz ungefähr­lich! — »Pracht­vol­le Kostü­me, die von Lehrer Gutmann präzis einge­üb­ten Lieder, die leben­den Bilder mit Engeln, Hirten, der heili­gen Familie und den Königen aus dem Morgen­land«, — und den an Herodes gerich­te­ten Worten des Satans »lausch­ten die Zuhörer mit Schaudern«.

1888: »Die Bitte der Königin Esther«
»… der hiesi­ge Ort darf sich seit einigen Jahren geist­li­cher Festspie­le erfreu­en. Herrli­che, genuß­rei­che Abende wurden uns durch die Auffüh­rung »Die Bitte der Königin Esther’s in den hinter uns liegen­den Feier­ta­gen zuteil«, so schreibt die Aalener »Kocher­zei­tung« am Sonntag, den 15. Januar 1888.

1889: Nach Oberko­chen ins Theater per Eisen­bahn und zu Fuß
»Am letzten Sonntag brach­ten die Eisen­bahn­zü­ge zahlrei­che Besucher nach Oberko­chen, viele Besucher machten einen Spazier­gang nach unserem Orte. Den Anzie­hungs­punkt bilde­te das bibli­sche Schau­spiel »Moses«. Die Rollen aller Mitwir­ken­den sind gut ausge­führt; durch siche­res und gewand­tes Auftre­ten, durch fließend reinen Vortrag werden die Anwesen­den ganz in die Zeit der Israe­li­ten versetzt …«, so berich­te­te die Zeitung am 26. Januar 1889 über die »Produk­ti­on« des Jahres 1889, die an vier Sonnta­gen in der Restau­ra­ti­on Schell­mann über die Bühne ging.

Gastspie­le in Westhau­sen
Einen leben­di­gen Eindruck von der Quali­tät der Theater­auf­füh­run­gen vermit­telt der Bericht vom 9. Febru­ar 1888 über eine Vorstel­lung, die in Westhau­sen statt­ge­fun­den hatte:

»…Das Spiel war so natür­lich, so sicher und ruhig, die Dekla­ma­ti­on so tonrich­tig, deutlich und anspre­chend, die Gesän­ge so erhebend, die Kostü­me so passend und pracht­voll, die Dekora­ti­on der Bühne so dem Spiel angepaßt, daß sich jeder Zuschau­er darüber klar war, daß hier mit ganz beson­de­rem Verständ­nis dirigiert und ausge­führt werde und daß der Kunst­genuß kein gewöhn­li­cher, sondern als ein auf dem Lande höchst selten zu finden­der zu bezeich­nen sei.«

Nach einer Beschrei­bung des Spiel­ver­laufs werden einzel­ne Spieler, »rühmend namhaft gemacht: Pia Gutmann als Esther, Franz Grupp als Assue­rus, Anton Balle als Mardochä­us, Josef Bezler als Aman und Anton Schell­mann als persi­scher Fürst. Alle Achtung und Anerken­nung deren Leistun­gen! Ganz beson­de­res Lob aber dem sachkun­di­gen, geübten Leiter des Ganzen, dem Herrn Lehrer Gutmann!«

Der Pfarrer von Westhau­sen, ein Oberko­che­ner
Warum spiel­te die Oberko­che­ner Truppe — übrigens schon zum zweiten Mal — in Westhau­sen? Es mußten (wie in der Festschrift des katho­li­schen Kirchen­chors von 1977 nachzu­le­sen ist) immer­hin 27 Perso­nen mit dem Zug dorthin fahren, wofür aus der Vereins­kas­se 33 Mark und 40 Pfenni­ge für »25 Billet­te III. Klasse und 2 Billet­te II. Klasse« zu berap­pen waren; außer­dem waren Ausrüs­tung und Requi­si­ten per Fuhrwerk zu trans­por­tie­ren. Die Antwort können wir der Zeitung entneh­men: Der »hochwür­di­ge Pfarr­herr von Westhau­sen« war gebür­ti­ger Oberko­che­ner: Johann Micha­el Anton Hug, ältes­ter Sohn des Hafners Johann Micha­el Hug und seiner Frau Katha­ri­na Cäcilie geb. Friz. Am 15. Oktober 1825 geboren war er 1847 Pries­ter gewor­den und von 1883 bis zu seinem Tode 1892 Pfarrer in Westhau­sen gewesen.

Vor hundert Jahren gab es also in Oberko­chen eine leistungs­fä­hi­ge Theater­grup­pe, die vor allem Stücke mit geist­li­chen Themen spiel­te und deren Ruhm weit über Oberko­chen hinaus­reich­te. Somit hat der Repor­ter aus dem Jahre 1891 recht, wenn er schreibt:

»Oberko­chen hat das seini­ge getan, dem Publi­kum nichts gewöhn­li­ches, sondern höchst kunst­vol­les zu bieten, und es gereicht ihm zur größten Ehre, daß es unter allen Landor­ten solches gewagt hat … .«

Oberkochen

Zum Bild: Lehrer Gutmann war seit 1878 Nachfol­ger von Schul­meis­ter Moras­si. Nach ihm kam 1892 Lehrer Schnei­der. Gutmann leite­te den katho­li­schen Kirchen­chor und erteil­te auch Unter­richt an der 1880 von Oberko­che­ner Hafnern gegrün­de­ten »Indus­trie- und Zeichen­schu­le« (die Gemein­de hatte dafür keine Mittel aufbrin­gen können). Im Jahre 1891 wurde sein Gehalt wegen »Vermehr­ter Bemühun­gen zur Pflege kirch­li­chen Choral- und Kunst­ge­sangs« um 50 Mark erhöht.

Oberkochen

Theater­zet­tel einer Auffüh­rung »Der Stern von Bethle­hem«, 1887

Volkmar Schrenk

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