»… Zahlrei­che Häuser prang­ten im Flaggen­schmuck. Schon morgens in aller Frühe gingen weißge­klei­de­te Fräuleins von Haus zu Haus und boten Blumen und Postkar­ten feil«, so berich­tet der Ortschro­nist am 27. März 1911, also genau vor 80 Jahren, in der Aalener »Kocher-Zeitung« über ein Ereig­nis, das am Sonntag zuvor Oberko­chen bewegt hatte. Was war der Anlaß zu solchem Tun? Nun, man feier­te im ganzen »Ländle« den

SCHWÄBISCHEN BLUMENTAG

als Huldi­gung für das Württem­ber­gi­sche Königspaar.

Im Jahre 1911 konnten König Wilhelm II. und Königin Charlot­te, eine gebore­ne Prinzes­sin zu Schaum­burg-Lippe, die Silber­hoch­zeit feiern und auch das zwanzig­jäh­ri­ge Regie­rungs­ju­bi­lä­um des Königs stand an. Schon 1910 waren große Diskus­sio­nen im Gange über die richti­ge Art, diese Ereig­nis­se zu feiern. Sollte man große Ausstel­lun­gen landauf, landab organisieren?

War das Cannstat­ter Volks­fest der rechte Ort für ein großan­ge­leg­tes Fest? Obwohl sich zu diesen Fragen in einigen Städten schon Komitees gebil­det hatten, sprang der Funke nicht über. Dies geschah erst, als Frau von Kübel — ihr Mann war Gehei­mer Kabinetts­rat — die zünden­de Idee hatte, zu Ehren des könig­li­chen Jubel­paa­res landes­weit Papier­blu­men, Postkar­ten und Schlei­fen zu verkau­fen und den Erlös carita­ti­ven Einrich­tun­gen zu spenden.

Auch in Oberko­chen war ein Ausschuß für den Blumen­tag gebil­det worden, und als der lang geplan­te Tag da war, betei­lig­te sich die ganze Bevöl­ke­rung. Eines hatte man aber nicht tun können: gutes Wetter zu garan­tie­ren. So war »das Wetter misera­bel«. Eine Zeitungs­mel­dung aus Aalen besagt sogar, es habe »in der Nacht stark geschneit, und dem Auge präsen­tier­te sich eine »schöne« Winterlandschaft«.

Doch die Oberko­che­ner ließen sich, wie viele andere auch, von den Wetter­ka­prio­len nicht sonder­lich beein­dru­cken, sie feier­ten dennoch, wie der Chronist beschreibt: »Vor und nach dem Gottes­dienst wurde man von den Blumen­mäd­chen auf Schritt und Tritt überfal­len, — wenn auch der überfall nicht gefähr­lich war, höchs­tens für den Geldbeu­tel. Dem guten Werk und wohl auch den hübschen Verkäu­fe­rin­nen zulieb fanden Nelken und Postkar­ten raschen Absatz … Den Verkäu­fe­rin­nen mit ihren dufti­gen weißen Kleidern hätte man wohl ein besse­res Frühlings­wet­ter gegönnt…, doch war das Vorrats­la­ger für Blumen und Karten schon am Nachmit­tag geräumt«. In Oberko­chen hatte es also nicht des Tricks eines anderen Ortsvor­ste­hers bedurft, der, so dem »Riech­be­dürf­nis der Bürger Rechnung tragend«, die Papier­blu­men mit Nelken­öl aus der Apothe­ke besprü­hen ließ.

Was am Tag sonst noch geschah, können wir ebenfalls der Zeitung entneh­men: »Zum Abschluß fand im »Hirsch« ein gut besuch­tes Bankett statt. Rühmend sei die präch­ti­ge, geschmack­vol­le Dekora­ti­on des Saales hervor­ge­ho­ben. Nach der Begrü­ßungs­an­spra­che von Herrn Schult­heiß Frank wickel­te sich ein reich­hal­ti­ges Programm ab. Die Festre­de hatte Pfarrer Heilig übernom­men. Gesangs­vor­trä­ge des Sänger­bunds, des Kirchen­chors, des Turnge­sang­ver­eins, Dekla­ma­ti­on einer Schüle­rin, Klavier‑, Violin‑, Zither- und komische Vorträ­ge (Franzl) wechsel­ten in bunter Reihen­fol­ge mitein­an­der ab, so daß alle Besucher Gelegen­heit hatten, sich angenehm zu unterhalten«.

Aber nicht nur Unter­hal­tung war gefragt, für den guten Zweck sollte auch Geld einge­nom­men werden. 187 M kamen in Oberko­chen zusam­men. Vergleicht man das Porto einer Postkar­te damals — auf den verkauf­ten Festkar­ten war eine Drei-Pfennig­mar­ke einge­druckt — mit dem heuti­gen von 60 Pfenni­gen und nimmt dies als Vergleichs­re­la­ti­on, so hätten die Oberko­che­ner nach heuti­gem Geld damals rund 3.700 DM gespen­det. Damit konnte sich Oberko­chen im Vergleich mit anderen Gemein­den sehen lassen (Essin­gen 115 M, Hofen 115 M, Hüttlin­gen 126 M, Unter­ko­chen 240 M).

Da nicht nur »im Ländle« gesam­melt worden war — selbst in Ameri­ka hatten Schwa­ben­ver­ei­ne sich betei­ligt — kamen insge­samt 512.762 Mark zusam­men, die vom könig­li­chen Jubel­paar auf 540.000 Mark aufge­stockt wurden. Das Geld kam 8 verschie­de­nen karita­ti­ven Einrich­tun­gen zugute: Jugend­für­sor­ge, Tuber­ku­lo­se­be­kämp­fung, Notlei­den­den Weingärt­nern, Kranken­pfle­ge, Zufluchts­stät­ten in Württem­berg, Stiftung »König-Wilhelm-Trost« und dem »israe­li­ti­schen Asyl- und Unterstützungsverein«.

Wie die auf den 8. April 1911 — dem eigent­li­chen Tag der Silber­hoch­zeit — erschie­ne­ne »Chronik der Schwä­bi­schen Blumen­ta­ge« feststell­te, war somit »was vom Volke kam wieder an das Volk gegan­gen. Als die Schwa­ben so ihr Königs­paar ehrten, haben sie erlebt, daß anderen Freude machen selbst erfreut«. Sicher­lich haben die Oberko­che­ner vor 80 Jahren auch diese Erfah­rung gemacht, denn sie hatten ja auch ihren Teil beigetragen.

Oberkochen
Oberkochen

Zu den Bildern:
1) König Wilhelm II. und Königin Charlot­te im Jahr ihrer Eheschlie­ßung 1886. Wilhelm war damals noch Kronprinz, er hatte 4 Jahre zuvor seine erste Frau Prinzes­sin Marie von Waldeck-Pyrmont durch Tod nach einer Geburt verlo­ren. Seine zweite Frau war Prinzes­sin Charlot­te zu Schaum­burg-Lippe.
Wilhelm II. wurde 1891 Nachfol­ger seines Onkels König Karl, er konnte also 1911 auch das zehnjäh­ri­ge Regie­rungs­ju­bi­lä­um feiern.

2) Die zum Blumen­tag verkauf­ten Postkar­ten zeigten verschie­de­ne Motive; u.a. waren auch »des Königs Spitzer Ali und Rubi« abgebil­det. — Sollten sich in irgend­ei­nem Oberko­che­ner Haushalt noch die einen oder anderen Karten aus dem Verkauf vor 80 Jahren befin­den, so wäre das zukünf­ti­ge Heimat­mu­se­um natür­lich nicht der schlech­tes­te Ort, wo diese als Spende oder Dauer­leih­ga­be ausge­stellt werden könnten.

Volkmar Schrenk

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