Vor einiger Zeit erwarb ich eine Postkar­ten­an­sicht von Oberko­chen aus der Zeit um 1920. Dem Druck­ver­merk auf der Karte ist zu entneh­men, daß die Karte, Orig. H. Sting, Tübin­gen, 60806, im Verlag Fr. Fleury, Oberko­chen, erschie­nen ist. Es dürfte sich um eine im Licht­druck­ver­fah­ren repro­du­zier­te fotogra­fi­sche Ansicht handeln, — die Druck­far­be ist verblaut.

Wir sehen von der Rodhal­de über Neubau­ten im Kapel­len­weg (dem Weg, der zur 1950 abgebro­che­nen Wiesen­ka­pel­le führte, — heuti­ges Gelän­de der Fa. Beier) und auf den katho­li­schen Fried­hof entlang der Bahnli­nie über den Ort Richtung Heide.

Die Postkar­te ist 1920 in Oberko­chen abgestem­pelt, an einen Haupt­leh­rer Arno in Bodnegg im Oberamt Ravens­burg gerich­tet und von dessen Sohn Bernhard verfaßt und unterschrieben.

Herr Rektor Stauden­mai­er von der Dreißen­tal­schu­le konnte den Schul­ak­ten entneh­men, daß Bernhard Arno im Jahre 1920 als »Unter­leh­rer« in den Schul­an­na­len geführt ist. Leider gibt es bis jetzt keine weite­ren Infor­ma­tio­nen, als die, die dem Postkar­ten­text selbst zu entneh­men sind.

Der Text ist in einer äußerst klein und zierlich ausge­führ­ten deutschen Schrift geschrie­ben mit so viel Text auf einer Postkar­ten­hälf­te, wie andere kaum in einem einsei­ti­gen Brief unter­brin­gen. Offen­bar antwor­tet Unter­leh­rer Arno, erst kurze Zeit in Oberko­chen, auf einen ziemlich fürsorg­li­chen und neugie­ri­gen Brief seiner Eltern, nament­lich seiner Mutter. Der Text ist Ausdruck einer Zeit wesent­lich stärke­rer familiä­rer Gebun­den­heit als dies heute von gleich­alt­ri­gen erwach­se­nen Kindern nachvoll­zieh­bar ist. Deshalb möchten wir dieses Dokument veröf­fent­li­chen und bitten darüber­hin­aus, daß uns Mittei­lung gemacht wird, falls jemand irgend­et­was über Unter­leh­rer Arno weiß oder feststel­len kann.

Der Text:
Meine Lieben!
Die Karte von Mama erhal­ten. Herzl. Dank. Die beiden Teppi­che mit dem Glas kamen mit der Matrat­ze hier an. Alles war noch gut verpackt, sämtli­che Schnü­re waren noch ganz. Was Besuche anbelangt, mache ich es so, wie Mama wünscht. Alle Sonnta­ge singe ich mit dem Kirchen­chor. Das Fronleich­nams­fest war hier nicht so schön wie in Bodnegg. Bei der Prozes­si­on war ich. Im Harmo­ni­um- und Orgel­spiel übe ich mich selbst jeden Tag. So, jetzt habe ich alles beant­wor­tet. Die Vorder­an­sicht der Karte ist nur ein Teil von Oberko­chen. Das Schul­haus ist nicht darauf, es liegt weiter links. Am Montag beginnt bei uns die Schule wieder. Ein Namens­tags­ge­schenk für Mama habe ich jetzt, aber ich bringe es erst in der nächs­ten Vakanz.

Es grüßt Euch
Euer dankba­rer Sohn Bernhard

Da Unter­leh­rer Arno erwähnt, daß die Schule nicht auf der Postkar­te, sondern weiter links liegt, konnte mit Sicher­heit davon ausge­gan­gen werden, daß er katho­lisch ist, weil er an der katho­li­schen Volks­schu­le (heute Dreißen­tal­schu­le) unter­rich­te­te, was von Herrn Stauden­mai­er bestä­tigt werden konnte. Mögli­cher­wei­se hat Unter­leh­rer Arno auch eine Rolle bei der katho­li­schen Kirchen­mu­sik gespielt, — zumin­dest könnte er Organist gewesen sein. Auf alle Fälle jedoch hat er im katho­li­schen Kirchen­chor mitge­sun­gen. Vielleicht ist er in den dorti­gen Proto­koll­bü­chern »gespei­chert«.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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