»Milch­krieg in Oberko­chen« so laute­te eine Überschrift in der »Kocher­zei­tung« am 27. Septem­ber 1911. Was war geschehen?

Am 19. Septem­ber hatten 9 Viehbe­sit­zer beschlos­sen, ab 21. Septem­ber den Liter Milch nicht mehr um 16 Pfenni­ge zu verkau­fen, sondern 18 Pfenni­ge zu verlan­gen. Nach Bekannt­wer­den dieser Absicht erhob sich bei den Käufern Protest und am Mittwoch, dem 20. Septem­ber, kamen 70 Milch­ab­neh­mer zusam­men und verlang­ten von Schult­heiß Frank, bei den Milch­lie­fe­ran­ten auf Rücknah­me der Preis­er­hö­hung zu dringen. »Der Herr Ortsvor­ste­her kam diesem Ansuchen durch Einbe­ru­fen einer Viehbe­sit­zer­ver­samm­lung auf Donners­tag, den 21. Septem­ber bereit­wil­lig nach, wenn auch seinen Bemühun­gen der Erfolg versagt blieb.« Denn diese Versamm­lung, zu der auch drei Milch­ab­neh­mer einge­la­den waren, beschloß, den festge­setz­ten Preis zu belas­sen, ihn allen­falls im kommen­den Jahr wieder auf 16 Pfenni­ge zurück­zu­neh­men. Die Konsu­men­ten mußten den Beschluß zähne­knir­schend hinneh­men, zumal die Milch »schon in vielen Häusern 18 Pfenni­ge kostet und ab 1. Oktober der Milch­auf­schlag ein allge­mei­ner sein wird«.

Heuti­gen­tags nimmt man 2 Pfenni­ge Mehrkos­ten bei Benzin, Bier und auch Milch kaum mehr wahr. Was waren aber damals vor 80 Jahren die tiefe­ren Gründe für den Preis­auf­schlag und auch für die Erbit­te­rung der Verbraucher?

Zunächst war das allge­mei­ne Preis­ni­veau sowohl bei den Einkom­men als auch im Verbrauch sehr niedrig und nicht mit den heuti­gen Verhält­nis­sen vergleich­bar. Die Taglöh­ne lagen im Sommer für Männer bei 2.30 Mark bis 3 Mark und bei 1 Mark bis 1.60 Mark für Frauen. Im Winter waren die Taglöh­ne um 40 bis 60 Pfenni­ge gerin­ger. Bei den »Viktua­li­en­prei­sen« wurde z.B. in Ellwan­gen am 9. Septem­ber 1911 notiert: 1 Ztr. Kartof­feln 5 Mark, 1 Pfund Schwei­ne­fleisch 70 bis 80 Pfenni­ge, 1 Gans 4 Mark, 1 Henne 90 Pfenni­ge, 1 Pfund Butter 1.20 Mark und 4 Eier 30 Pfenni­ge. Wenn man also bedenkt, daß ein »Spitzen­tag­lohn«. von 3 Mark nicht einmal für eine Gans, geschwei­ge denn für einen Zentner Kartof­feln reich­te und daß bei einem Liter­preis von 16 Pfenni­gen knapp 19 Liter Milch, bei 18 Pfenni­gen nur etwas über 16 1/2 Liter gekauft werden konnten, mag man die damali­ge Erregung besser verstehen.

Ein Grund zur Preis­er­hö­hung lag für die Landwir­te im heißen Sommer des Jahres 1911. Das gesam­te Land stöhn­te unter ungewöhn­li­cher Hitze. Allein unter dem Datum vom 31. Juli 1911 ist in der »Kocher­zei­tung« von Heilbronn bis Leutkirch über 8 durch Hitzschlag verstor­be­ne Perso­nen berich­tet, wie z.B. von einem Knecht, der »inner­halb weniger Minuten eine Leiche war«. Die Frucht auf den Feldern reifte vorzei­tig, aber auch Gewit­ter und Hagel­schlag verwüs­te­ten Flur und Felder; Wasser­man­gel kam dazu. Deshalb litt die Landwirt­schaft unter Futter­man­gel; dies wieder­um beding­te höhere Futter­kos­ten, da 1 Zentner Heu bis zu 3.20 Mark koste­te. Daraus erklär­te sich auch der Kompro­miß im »Milch­krieg«, der den Liter­preis zunächst auf 18 Pfenni­ge festsetz­te, mit dem Zusatz: »Haben wir aber nächs­tes Jahr ein Normal­jahr, so kostet die Milch wieder 16 Pfennige«.

Zuletzt war natür­lich das Preis­ni­veau der näheren und weite­ren Umgebung mitent­schei­dend. Ein Beobach­ter des »Milch­krie­ges« aus Unter­ko­chen fragte z.B. in der Zeitung nach, warum man »im nahen Oberko­chen die Milch um 18 Pfenni­ge liefern« könne? Oder aus Stein­heim wird berich­tet, Milch­händ­ler würden schon seit einiger Zeit den Liter Milch in Heiden­heim um 20 Pfenni­ge verkau­fen, den Bauern aber nur 13 Pfenni­ge bezah­len. Die Milch­er­zeu­ger dort kamen überein, künftig 16 Pfenni­ge zu verlan­gen, falls dies nicht akzep­tiert würde, jedoch eine eigene Absatz­ge­nos­sen­schaft zu gründen. Selbst München wurde in die Betrach­tun­gen mitein­be­zo­gen, denn dort hatte sich nach einer Notiz der »Württ. Zeitung« auch ein »Milch­krieg« zugetra­gen und die Milch koste­te dort »auch in äußeren Stadt­be­zir­ken und bei den Bassinwa­gen (sogar) 22 Pfenni­ge, statt bisher 20 Pfenni­ge«, wobei die Liefe­ran­ten aber nur 17 Pfenni­ge erhiel­ten. Hieraus folger­te der Chronist haarscharf den feinen Unter­schied zwischen München und Oberko­chen, indem er feststell­te: »Die Münche­ner Liefe­ran­ten müssen also die Milch um 17 Pfenni­ge liefern, in Oberko­chen muß der Abneh­mer die Milch um 18 Pfenni­ge holen.«

Wie bei vielen Ausein­an­der­set­zun­gen und Meinungs­ver­schie­den­hei­ten glätte­ten sich auch im »Milch­krieg« die Wogen im Lauf der Zeit. Nachdem der Gemein­de­rat sogar beschlos­sen hatte, eine Milch­waa­ge anzuschaf­fen und die Aussicht bestand, bei norma­len Witte­rungs­ver­hält­nis­sen wieder auf den alten Liter­preis von 16 Pfenni­gen zu kommen, kehrte »nach diesem Kampf, welcher vier Wochen tobte und manches Unlieb­sa­me mit sich brach­te, wieder Ruhe und Frieden« in Oberko­chen ein.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte