Beim diesjährigen Ausflug des evangelischen Gemeindedienstes wurde u. a. die in Renovierung befindliche Synagoge von Oberdorf besichtigt. Dabei kam auch die Geschichte der Namensgebung der Oberkochener Waldflur »Judenangst« zur Sprache, wie sie 1892 in der Aalener »Kocher-Zeitung« stand.
Weidmannsheil 1892: Treibjagd mit Aalener Metzgershund — Blattschuß für einen Ochsen
Es war Anfang September 1892. Der Viehhändler David Kaufmann aus Lauchheim war nach Oberkochen gekommen, um dort Vieh aufzukaufen. Unter anderem hatte er bei Landwirt Arnold einen stattlichen Ochsen erworben. Nach stärkender Einkehr im »Goldenen Hirsch« bei Johann Georg Nagel machte sich der Troß auf den Rückweg. Über Ebnat und das Härtsfeld sollten die Tiere nach Lauchheim getrieben werden. Ob der Weg dabei über den »Ochsentrieb« führte (so lautet ein Flurname südlich des Rodsteins), oder ob, wie der Bericht in der »Kocher-Zeitung« vom 22. September 1892 angibt, direkt über die Ebnater Steige getrieben wurde, läßt sich nicht mehr genau sagen.
Ebenso bleibt unbekannt, ob der Treiber in der Hitze des Altweibersommers dem Bier des Hirschwirts nachtrauerte, oder gar der vom Hirschwirt erzählten Geschichte nachträumte, in der dieser zwei reisende Tuchhändler mit Hilfe des Oberkochener Schultheißen in Königsbronn dingfest gemacht hatte. Tatsache ist aber: Ein Stier riß sich, vielleicht durch Wild erschreckt, plötzlich los und verschwand in den Büschen und trieb sich etwa drei Wochen lang im Waldteil »Büchle« herum.
Folgen wir nun dem Chronisten der Zeitung, die am 20. September meldete: »Waldarbeiter, die das Tier schon öfter sahen, nahmen sich Mühe, es einzufangen, jedoch jedesmal ohne Erfolg. Gestern Nachmittag nun wurde unter Aufgebot einer größeren Mannschaft und unter Zuziehung des hiesigen Forstschutzpersonals eine Jagd nach dem Stier veranstaltet, wozu auch ein für solche Zwecke als gut bezeichneter großer Hund eines Metzgers von Aalen verwendet wurde, doch auch diesmal ohne Erfolg. Heute nun soll ein wiederholter Fang nach dem ziemlich abgemagerten Tier veranstaltet werden«.
Zu dieser Aktion kam der Viehhändler Kaufmann aus Lauchheim persönlich nach Oberkochen. Jedoch war die Jagd abermals vergeblich. Kaufmann ließ sich dadurch aber nicht entmutigen, mobilisierte am folgenden Tag abermals Förster und Waldarbeiter und hatte tatsächlich Glück: »Der Stier des D. Kaufmann, welcher beim Transport von hier nach Lauchheim entsprungen ist, wurde heute nachmittag bei der veranstalteten Treibjagd in der Tannenkultur im Büchle von dem Forstwächter Ebert durch einen Kugelschuß in die Brust erlegt«, so berichtet die »Kocher-Zeitung« mit Datum vom 21. September 1892. Damit wenigstens nicht alles verloren war — man hätte ja den toten Stier auch in den nicht allzuweit entfernten »Gaulhimmel« (Abdeckplatz) bringen können — wurde »der Stier, etwa drei Jahre alt, mittelst Fuhrwerks in den Ort gebracht und dort ausgehauen«, so endet der Zeitungsbericht.
Einer anderen Oberkochener Überlieferung zufolge (Heimatbuch S. 248) waren es sogar zwei Stiere, die sich losgerissen hatten. Bei einer der Treibjagden sollen die Tiere plötzlich vor dem Besitzer aufgetaucht sein, weshalb dieser auf einen Baum kletterte, den er nicht mehr verlassen konnte, bis der Fangschuß des Försters den wild gewordenen Tieren den Garaus gemacht hatte. Alfons Mager dagegen berichtet im November 1928 in den Blättern »Der Spion von Aalen« auch nur von einem ausgerissenen Stier, stellt aber die Pointe der Geschichte noch etwas deutlicher heraus: Als Förster Ebert den Stier sichtete, schrie sein Besitzer laut auf, kletterte im Nu auf die nächste Tanne und verbarg sich in den dichten Zweigen. »Erst als Ebert berichtete, daß das Ungetüm erschossen sei kam Herr K. erleichtert von seinem Hochstand herab. Der Stier wurde ausgehauen und das Fleisch als Wildbret verkauft. Damals war Oberförster Weiger Vorstand des Forstamts Oberkochen. Als witziger und humorvoller Mann benannte er den Waldteil, der zuvor »Büchele 2« hieß und in dem sich der Schlußakt dieses Abenteuers abspielte, »Judenangst« denn der Viehhändler war Jude gewesen.
Volkmar Schrenk
