»Oberko­chen in der guten alten Zeit« — so steht auf der Postkar­te zu lesen, die neben einer Gesamt­an­sicht des Ortes eine Abbil­dung der ehema­li­gen Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on enthält. Offen­bar war dem Gestal­ter der Postkar­te die »Schell«, wie man das Gasthaus nach Anton Schell­mann, einem frühe­ren Besit­zer, nannte, Inbegriff alter Gemüt­lich­keit und Gesel­lig­keit. Zur Erinne­rung: Anton Schell­mann hatte 1866 das Braurecht im damals bestehen­den Gasthaus übernom­men und 1878 dort die Scheu­ne in einen Tanzsaal umgebaut, so daß »die meisten Oberko­che­ner jener Zeit dort das Tanzen gelernt haben« (HVO-Bericht in BuG 1988/Nr. 7). Heute steht auf dem Platz der ehema­li­gen Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on an der Bahnhof­stra­ße (in Richtung Bahnhof linke Seite) ein Geschäftshaus.

Oberkochen

Dennoch scheint die »gute alte Zeit« in vielen Stücken auch sehr kompli­ziert gewesen zu sein, wie die folgen­den Betrach­tun­gen zu einer Verord­nung des »König­lich evange­li­schen Consis­to­ri­ums« zeigen sollen, die »sämtli­chen Kirchen- und Schul­die­nern zur Pflicht macht, »von Georgii 1825 (23. April) an den Ertrag der verän­der­li­chen Einkom­menst­hei­le alljähr­lich gewis­sen­haft und pünkt­lich zu verzeich­nen.« .… »Damit von diesen Vormer­kun­gen zu jeder Zeit amtli­cher Gebrauch gemacht werden kann«, war verlangt, die Aufstel­lung »unter folgen­den Rubri­ken« zu fertigen:

  1. Güter-Genuß:
    a) Gärten,
    b) Wiesen
    c) Aeker
    d) Weinberg
    e) Waldung
    f) Fisch­was­ser
  2. Zehen­ten und Gilten:
    a) große Zehen­ten
    b) Heu- und Oemd-Zehen­ten
    c) kleine Zehen­ten
    d) Wein Zehen­ten
    e) leben­di­ger Zehen­ten
    f) Gilten (= Abgaben) an Geld und Naturalien
  3. Bürger­li­che Beneficien
  4. Rechte und Gerechtigkeiten
  5. Emolu­men­te
  6. Accidenzi­en

Dieser Gliede­rung sind von schwä­bi­scher Gründ­lich­keit zeugen­de Bemer­kun­gen angefügt, die auszugs­wei­se wieder­ge­ge­ben werden:

»ad 1)« sind die Güter einzeln nach Größe (»in württem­ber­gi­schem Maß«!) und Lage zu verzeich­nen. Bei selbst verwal­te­ten Gütern ist »der Jahres-Ertrag an den verschie­de­nen Arten erzeug­ter Natura­li­en, deren laufen­de Ortsprei­ße (= ortsüb­li­che Preise) und der Betrag der Baukos­ten (= Kosten für Anbau und Erzeu­gung)« anzuge­ben, »bei den verpach­te­ten aber der Pacht­schil­ling an Geld und Natura­li­en nebst den Haupt­be­din­gun­gen des Pachta­kords so genau als nach den Umstän­den möglich ist, aufzuschreiben.«

Und in der Tat, es gab vieler­lei derar­ti­ge »Umstän­de«. Z.B. mußte der Pfarrer lange­zeit das ihm zuste­hen­de Holz selbst schla­gen lassen, Macher­lohn und Beifuhr aus eigener Tasche bezah­len, oder der Schul­meis­ter hatte die Schul­stu­be mit dem ihm zuste­hen­den Holz zu behei­zen, was natür­lich dazu führte, daß die Schul­stu­ben nie überheizt waren, — Umstän­de also, die das Einkom­men schmä­ler­ten. Auch der Pfarrern zuste­hen­de Weinan­teil beim festen Einkom­men gab in »weinfer­nen« Gegen­den wie Oberko­chen Anlaß zur Einkom­mens­min­de­rung, da der Trans­port teilwei­se selbst zu bezah­len war und Wein, der nicht im eigenen Haushalt verbraucht wurde, oft nur unter Verlust veräu­ßert werden konnte. Dieser Zustand änder­te sich erst, als ab 1834 der »Besol­dungs­wein« in Bargeld ausbe­zahlt wurde.

»ad 3)« »Unter den bürger­li­chen Benefi­ci­en werden Almandt­hei­le wie die Güter ad 1) behan­delt; der Wert der Pförch­näch­te (siehe nachste­hen­de Anmer­kung) wird nach dem Verkaufs-Regis­ter der Commun einge­setzt; bei den bürger­li­chen Holzga­ben die Quanti­tät und Quali­tät und der Geldwerth des Holzes bemerkt, und die Baukos­ten davon beson­ders gerechnet.«

(Der Wert der »Pförch­näch­te« (= Pfärch­näch­te), errech­ne­te sich aus der Zahl der Nächte, in denen der Schäfer seine Herde zum natür­li­chen Dünge­vor­gang auf den entspre­chen­den Äckern über Nacht im dort aufge­stell­ten Pferch beließ. Die Pfärch­näch­te wurden auf dem Rathaus jeweils verstei­gert. Die Schaf­dün­gung in einer Nacht koste­te etwa den Tages­lohn eines Fabrik­ar­bei­ters« (aus C. Schrenk, Alt-Oberko­chen, S. 30/31). Noch im ersten Jahrgang von »Bürger und Gemein­de« im Jahr 1953 findet sich in der 7. Ausga­be vom 17. April als »Amtli­che Bekannt­ma­chung« der Hinweis, »der Pferch wird wieder wie in den Vorjah­ren jeden Freitag abends 18 Uhr in Zimmer 3 des Rathau­ses verstei­gert. Die erste Verstei­ge­rung findet am 17. April statt.« Hinwei­se auf Fortset­zung dieser Tradi­ti­on in den folgen­den Jahren finden sich nicht.)

»ad 5)« Bei den Emolu­men­ten (d.h. Einnah­men bei Taufen, »Leichen«, Hochzei­ten, und entspre­chend der Zahl der Konfir­man­den und der Kinder, für die Schul­geld bezahlt wurde) ist die Zahl »summa­risch anzuge­ben .… und was die Einnah­me im Ganzen je von jeder der verschie­de­nen Gattun­gen von Emolu­men­ten in jedem Jahr betra­gen habe.«

»ad 6)« »In Bezie­hung auf die Accidenzi­en (freywil­li­gen Geschen­ke)« genügt eine allge­mei­ne Ertrags­schät­zung abzüg­lich »etwaiger auf diesel­be sich bezie­hen­der Gegen­leis­tun­gen«. Ausdrück­lich zu bemer­ken sei jedoch, »wieviel Wein man als sogenann­ten Herbst­trunk erhal­ten habe, und wie hoch sich der Werth in Geld berech­nen lasse.«

Zur Praxis der offizi­ell einzu­rech­nen­den »freiwil­li­gen Geschen­ke« gibt eine Verord­nung vom 5. Juli 1842 inter­es­san­te Einblicke:

Obwohl, wie oben gezeigt, ein Teil des Einkom­mens offizi­ell durch »Accidenzi­en« (= freiwil­li­ge Geschen­ke gem. Ziff. 6) herein­kom­men sollte, durften keine Geschen­ke, die als Bestechung zu erach­ten waren, angenom­men werden. Wo die Grenze zu ziehen war, blieb oftmals unklar. Daß sich hieraus Proble­me ergeben konnten, macht die o.g. Verord­nung deutlich. Natür­lich war »unter­ge­ord­ne­ten Gehül­fen und Dienern der Obrig­keit, welche zu öffent­li­chen Dienst­ver­rich­tun­gen ordnungs­ge­mäß bestellt waren« verbo­ten, Geschen­ke, die als Bestechung gelten konnten, in irgend einer Weise anzuneh­men. Der o.g. Erlaß des »König­lich evange­li­schen Consis­to­ri­ums« geht aber noch einen Schritt weiter, indem er eindring­lich ausführt, »daß bei Verfeh­lun­gen gegen die Bestim­mun­gen des Artikels 408 des Straf­ge­setz­bu­ches Absatz 2 mit Geldbu­ßen von 25 bis 200 Gulden zu bestra­fen sei«, wenn »der Diener, welcher zwar ein ihm selbst (zum Zwecke einer Bestechung) überreich­tes Geschenk zurück­ge­wie­sen, den Vorgang aber nicht inner­halb drei Tagen nach der Zurück­wei­sung zur Anzei­ge bei seinem Amtsvor­ge­setz­ten gebracht hat«.

Die Straf­an­dro­hung galt auch für Geschen­ke an Angehö­ri­ge. Hier mußte ebenfalls die Zurück­wei­sung inner­halb der Dreita­ges­frist gemel­det werden.

Wie deutlich wird, waren die Vorschrif­ten sehr streng, die Strafen drako­nisch und reich­ten bis knapp zur Hälfte eines Jahres­ein­kom­mens! Daß man trotz­dem in der Praxis oft »fünfe gerade sein ließ«, ist angesichts der legalen Übung, Geschen­ke als Teil des Einkom­mens zu dekla­rie­ren, nicht verwun­der­lich. Jedoch sollte genau diese Unbeküm­mert­heit im Umgang mit Geschen­ken unter­bun­den werden. Deshalb beginnt der Erlaß mit der Bemer­kung, es »ist die Wahrneh­mung gemacht worden, daß Verfeh­lun­gen … vorlie­gen«, und schließt unmiß­ver­ständ­lich ab mit dem Hinweis: »Auf beson­de­ren Befehl.«

Am Schluß des Erlas­ses, der zur Aufzeich­nung der Einkom­mens­ver­hält­nis­se verpflich­te­te, standen noch detail­lier­te Durchführungsvorschriften:

Die Dekane haben »die ihnen unter­ge­be­nen Geist­li­chen und Schul­leh­rer zur genau­en Befol­gung dieser Anord­nung anzuhal­ten«. Bei Visita­tio­nen (= Besuch und Kontrol­le durch die Vorge­setz­ten) sind die Aufzeich­nun­gen einzu­se­hen und darauf zu achten, »ob sie in gehörig geord­ne­ter Form« geführt würden.

»Geist­li­che und Schul­leh­rer, welche in Absicht auf die Führung dieser Verzeich­nis­se ihre Oblie­gen­hei­ten nicht erfül­len«, seien »die geeig­ne­ten Erinne­run­gen zu geben, und nach Beschaf­fen­heit der Umstän­de, sie dem evange­li­schen Consis­to­ri­um zur gebüh­ren­den Ahndung anzuzeigen.«

Soweit diese Anord­nung zur genau­en Beschrei­bung des verän­der­li­chen Einkom­mens der württem­ber­gi­schen »Kirchen- und Schul­die­ner« vom Jahr 1825 samt der Verord­nung von 1842 zur Geschenk­pra­xis. Anzumer­ken ist noch, daß die Besol­dungs­struk­tur insge­samt jedoch noch wesent­lich komple­xer war, da zu den verän­der­li­chen Teilen noch die unver­än­der­li­chen Antei­le des Einkom­mens kamen und beide sich wieder in sogenann­te »Compe­tenz­prei­se« (= vom könig­li­chen Kameral­amt bezahl­te Einkünf­te) und »Etatprei­se« (= Einkünf­te, die vom Pfarrer bzw. Schul­meis­ter am Ort eigens zu verdie­nen waren) unterteilten.

Insge­samt ermög­li­chen die darge­stell­ten Verord­nun­gen uns heute inter­es­san­te und aufschluß­rei­che Einbli­cke in damali­ge Verhält­nis­se. Sie zeigen aber überdies sehr anschau­lich, wie doch die »gute alte Zeit« auch sehr kompli­ziert und vielfach bis in Kleinig­kei­ten hinein regle­men­tiert sein konnte. Oder war es nur so, daß die Menschen damals sehr viel mehr Zeit hatten, Zeit, um mit Nachbarn und Freun­den zu schwät­zen. Zeit, um nach getaner Arbeit in den Gasthäu­sern Gesel­lig­keit zu pflegen, aber auch Zeit, um vieles bis ins Detail festzu­le­gen und dann auch noch Zeit, die Durch­füh­rung der Verord­nun­gen gründ­lich zu überwachen?

Volkmar Schrenk

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