Die Wälder rings um die Stadt Oberkochen stehen im Besitz der Realgenossenschaft. Die Oberkochener Genossenschaft ist nicht die einzige auf der Ostalb. Weitere große Realgenossenschaften gibt es in Essingen und Unterkochen, etwas kleinere, von ihrer Entstehung her aber vergleichbare Waldgenossenschaften gibt es in Auernheim, Röttingen und Schweindorf. In den übrigen Landesteilen ist diese Waldbesitzform heute dagegen recht selten. Die Realgenossenschaft Oberkochen ist, was ihren 872 ha umfassenden Waldbesitz betrifft, Rechtsnachfolger der früheren Realgemeinde. Realgemeinden sind eine in Ostwürttemberg einst weit verbreitete und traditionsreiche Form dörflichen Gemeinschaftseigentums an Wald und Weiden.
Geht man einige Jahrhunderte in der Geschichte zurück, so zeigte Oberkochen damals den typischen Aufbau eines süddeutschen Bauerndorfes.
Am nächsten am geschlossenen Dorf lagen die Gärten, hier Krautstriche genannt, z.B. in der Schwörz.
Anschließend daran begann die Feldflur, die damals vor allem aus Äckern, viel weniger als heute aus Wiesen, bestand. Gegen die Grenzen der Gemarkung hin schlossen sich schließlich der Wald und die Weiden an. Während die Äcker von jedem Hofbesitzer selbst bestellt wurden, nutzte man Wald und Weiden gemeinschaftlich als Allmende, ohne daß daran individueller Besitz abgetrennt wurde. In Süddeutschland konnten die meisten Dorfgemeinschaften im Mittelalter dieses Allmendland vor dem Zugriff der Grundherrschaften bewahren und in ihrem Besitz erhalten.
So auch in Oberkochen. Die wichtigsten Weideflächen waren der Volkmarsberg und die Heide, die vorwiegend der Schafweide dienten. Die Wälder wurden so vielfältig genutzt, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können. Man bezog von dort Bau‑, Brenn- und Handwerkerholz. Neben der Holznutzung war auch die Waldweide von großer Bedeutung. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Stallhaltung des Rindviehs eingeführt wurde, wurde alljährlich von Georgi (23.4.) bis Martini (12.11.) eine Gemeindeherde zusammengestellt und in den Wald ausgetrieben. Um 1820 umfaßte diese ca. 400 Stück Rindvieh.
Mit dem Übergang zur Stallfütterung gewann die Streunutzung eine große Bedeutung. Daneben rupfte man im Wald Futtergras für den Winter, schnitt Besenreis und Flechtruten, sammelte Bucheln und Eicheln, Wildobst und Beeren, gewann Steine und Dolomitsand.
Einige andere gewerbemäßige Nutzungen kamen dazu, weil die Oberkochener gelegentlich Holz weiterverkauften, so die Köhlerei, die die Eisenschmelzen der Umgebung, aber auch die Unterkochener Glashütte mit Holzkohle versorgte, und die Aschenbrennerei, die Pottasche aus Holz ebenfalls für die Glasherstellung erzeugte.
Ursprünglich durfte jeder, der in Oberkochen »eigenen Rauch« hatte, also einen Hof besaß, an den Waldnutzungen in gleichem Maße teilhaben. Diese Gemeindemänner bildeten auch die Gemeindeversammlung, die diese Nutzungen näher regelte.
Da sich die Bevölkerungszahl des mittelalterlichen Dorfes nur wenig veränderte, bestand zunächst kein Bedarf, die Nutzungsrechte zu beschränken. Ein Wandel dieser Verhältnisse stellte sich in Ostwürttemberg im 16. Jahrhundert ein, als die Eisenindustrie zu einer ersten Blütezeit kam. Diese benötigte in großen Mengen Holz zur Holzkohleerzeugung. Holz wurde in Ostwürttemberg zur knappen und damit gut bezahlten Ware.
Zum anderen führte der Bevölkerungsanstieg im Gefolge dieser Industrialisierung zu einer immer stärkeren Belastung der dörflichen Versorgungsquellen, deren wichtigste neben der Landwirtschaft der Wald war.
Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß aus diesen zwei Gründen — Erhaltung einer zusätzlichen Einkommensquelle und (vermutlich noch wichtiger) Schonung der dörflichen Ressourcen — im 16. Jahrhundert in Oberkochen, aber auch in vielen anderen Gemeinden Ostwürttembergs, die Nutzungsrechte an den Gemeinschaftswäldern in der Form beschränkt wurden, daß nur die Besitzer der damals im Ort vorhandenen Höfe fortan ein solches Recht genießen sollten. Da damit das Nutzungsrecht an bestimmte Liegenschaften (Realien) gebunden worden war, war die Realgemeinde entstanden, die von den jeweiligen Hausbesitzern gebildet wurde. In Oberkochen waren es allem Anschein nach bei der Begrenzung 89 Häuser, von denen jedes mit einem ganzen Nutzungsrecht, oder wie man hier sagte, einem Gemeinderecht oder einer Gemeindegerechtigkeit, ausgestattet wurde.
Wer von nun an nach Oberkochen zuzog, konnte zwar, wenn er ein ausreichendes Vermögen besaß, ins Oberkochener Bürgerrecht aufgenommen werden. Damit war er in der Gemeindeversammlung stimmberechtigt. In den Besitz eines Gemeinderechts konnte er jedoch erst durch den Erwerb eines der berechtigten Häuser gelangen, sei es durch Kauf, Einheirat, Erbschaft oder Beleihung durch die Dorfherrschaften.
Dennoch gab es bis weit ins 18. Jhdt. hinein kaum Bürger, die kein Gemeinderecht besaßen.
Der erste, von dem bekannt ist, daß er deshalb an den Allmendnutzungen nicht in vollem Umfang teilnehmen durfte, ist Oberkochens erster evangelischer Pfarrer Ulrich Nicolai, der sich 1587 bei seiner württembergischen Regierung beschwerte, daß ihm die Gemeindegerechtigkeit vorenthalten werde. Die Beschränkung, deren Zeitpunkt nicht genau bekannt ist, muß aber damals schon einige Zeit zurückgelegen haben, sonst hätte Württemberg wohl kaum diese Benachteiligung seines Pfarrers hingenommen. Aber so mußte auch der evangelische Pfarrer auf ein Gemeinderecht solange warten, bis seine Herrschaft zu Beginn des 18. Jhdts. ein Anwesen in Oberkochen erwarb und ihm mitsamt der darauf liegenden Gemeindegerechtigkeit überließ.
Der katholische Pfarrer in Oberkochen war dagegen stets im Besitz eines solchen Rechts gewesen.
Die Gemeinderechtsverhältnisse in Oberkochen konnten sich auch über den Dreißigjährigen Krieg hinweg erhalten, obwohl ein Großteil der Bevölkerung diese Schreckenszeit nicht überlebte.
Im 18. Jhdt. gab es jedoch einige Veränderungen. Spätestens damals wurde es üblich, daß Gemeinderechte geteilt werden konnten, wenn etwa im Rahmen einer Erbschaft auch der Hof aufgeteilt wurde. Die ersten halben und vierteln Rechte entstanden in dieser Zeit.
Im Aalener Protokoll von 1749, einem Vertrag zwischen den beiden Dorfherrschaften Württemberg und Ellwangen, in dem sie ihre Rechtsbeziehungen in Oberkochen regelten, wurde schließlich im Einvernehmen mit der Gemeinde die Zahl der Gemeindegerechtigkeiten auf 93 erweitert, indem einige in der Zwischenzeit neuentstandene Höfe damit ausgestattet wurden. Damit war die endgültige Zahl der Rechte, die in den 93 heutigen Realrechten fortbestehen, erreicht.
Für die Realgemeinde bedeutungsvoll waren die Veränderungen, die das 19. Jhdt. brachte.
In dem Maß wie in Oberkochen das Gewerbe und die Handwerker an Bedeutung gewannen (Hafnerei, Bohrermacher), wuchs die Bevölkerung stark an. Die neue staatliche Ordnung brachte zudem eine Liberalisierung der Aufnahme in das dörfliche Bürgerrecht und damit der Mitbestimmung in der Gemeinde.
Bisher waren die meisten Gemeindebürger auch Gemeinderechtsbesitzer gewesen. Deshalb war es auch nicht nötig gewesen, die Verwaltungen der Gemeinde und der Realgemeinde zu trennen.
Nun aber wurde es immer offensichtlicher, daß die Realberechtigten irgendwann nicht mehr die Mehrheit der Dorfbürgerschaft und des Gemeinderats stellen würden. Wie auch in Essingen, Unterkochen und anderen Orten beantragten die Realberechtigten deshalb 1838 erstmals beim Oberamt eine getrennte Realverwaltung.
Der Staat hatte bis in die 1830er Jahre die Ansicht vertreten, daß es sich bei dem Besitz der Realgemeinden um gemeinschaftliches Privateigentum der Berechtigten handle. Ab 1840 und verstärkt nach der Revolution von 1848 änderten die staatlichen Behörden jedoch ihre Auffassung. Sie sahen die Allmenden nun als öffentliches Eigentum der Gemeinden an. Mit ein Grund dieses Sinneswandels war, daß der Wald in dieser Zeit eine lukrative Einkommensquelle war, die die Finanzierung der wachsenden Auf- und damit Ausgaben der Gemeinden wesentlich erleichtert hätte.
Die Gemeindeaufsichtsbehörden, das Oberamt in Aalen und die Kreisregierung in Ellwangen, lehnten deshalb mehrfach die Wünsche der Realberechtigten nach einer getrennten Verwaltung ab und versuchten alles, um das Eigentum an den Allmenden der Gemeinde zu sichern. Dabei stießen sie auf den erbitterten Widerstand der Gemeinderechtsbesitzer und im übrigen auch des Schultheißen, Gemeinderats und Bürgerausschusses, die allesamt selbst Realberechtigte waren und seitens der Gemeinde erklärten, die Gemeinde erhebe keinerlei Eigentumsansprüche auf den Realgemeindebesitz.
Zahlreiche Beschwerden der Gemeinderechtsbesitzer, die teilweise bis zum Innenministerium liefen und Drohungen, den Rechtsweg zu beschreiten, andererseits Verwarnungen der Gemeindeaufsichtsbehörden an die Gemeindeorgane und fruchtlose Maßnahmen zur Eintragung eines Eigentumsanspruchs der Gemeinde im Grundbuch bestimmten das Geschehen bis 1865, ohne daß der Streit hätte beendet werden können.
Noch dramatischer verlief es in einigen Nachbarorten wie Essingen oder Lauterburg, wo die gleiche Auseinandersetzung mehrfach bis vor die Gerichte getragen wurde, die dann meistens das Eigentumsrecht der Realberechtigten an den Wäldern anerkannten.
Schließlich kam es 1866 in Oberkochen zu einer Einigung zwischen realberechtigten und nichtberechtigten Bürgern, Gemeinde und Gemeindeaufsichtsbehörden, die zwar die Frage nach dem seitherigen Eigentumsrecht nicht klärte, aber für die Zukunft eindeutige Verhältnisse schuf. Dabei wurde der bisherige Gemeinderechtsbesitz geteilt und das Eigentum dem jeweiligen Hauptnutznießer zugesprochen. Die Gemeinde erhielt den Volkmarsberg und die Heide, von wo sie seither den Schafweidepachtzins bezogen hatte, dazu die erst im 19. Jhdt. in Gemeindebesitz gelangten Bilz- und Riesenmähder und das Sixenfeldle.
Durch Aufforstung dieser Flächen entstand im Laufe der Zeit wieder ein ansehnlicher Gemeindewaldbesitz.
Die Realberechtigten erhielten die Wälder zu eigen, mußten sich aber verpflichten, diese gemeinschaftlich zu bewirtschaften und nicht aufzuteilen. Außerdem mußten sie den nichtberechtigten Oberkochenern auch weiterhin die ihnen bis dahin schon zustehenden Nutzungsrechte (Leseholz und Buchelsammeln, etc.) gewähren und der Gemeindekasse eine Abfindung von 16 000 Gulden für die bisher von der Gemeinde aus dem Wald bezogenen Nutzungen (Schulhausholz, Hirtenholz, etc.) bezahlen.
Das Zustandekommen dieser pragmatischen Einigung war das persönliche Verdienst des Ellwanger Regierungsrates Weinheimer, der als Vermittler die Verhandlungen geleitet hatte. Eine ähnliche Übereinkunft hatte er kurz zuvor in Unterkochen erreicht. Die Oberkochener Einigung diente ihrerseits dann als Vorbild für die Klärung der Rechtsverhältnisse in Essingen 1868.
Die Oberkochener Übereinkunft von 1866 kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie verhinderte bis auf den heutigen Tag die Aufteilung der Realwaldungen, was in den meisten Landesteilen der Regelfall war und heute große Strukturprobleme in Form von kleinstparzellierten Wäldern schafft. Die umgekehrte Lösung, der Übergang des Waldes an die Gemeinde, hätte diese in jahrzehntelange Schulden gestürzt, hätte nun doch sie die Nutzungsrechte der Realberechtigten abfinden müssen.
Nicht zuletzt führte die Rechtsbereinigung auch zu einer Verbesserung der Waldwirtschaft. In der Zeit der unklaren Eigentumsverhältnisse waren die Wälder nämlich arg heruntergewirtschaftet worden.
Nun gründeten die seitherigen Gemeinderechtsbesitzer noch im Jahre 1866 die Realgenossenschaft, die bis heute Eigentümer der Waldungen ist, und an der auch heute noch 93 Anteile (Realrechte) bestehen, die nach wie vor überwiegend im Besitz Oberkochener Bürger sind.
Die neue Genossenschaft unternahm große Anstrengungen, die Wälder wieder instandzusetzen, insbesondere durch Aufforstung und Beschränkung der Nebennutzungen. In diesem Jahrhundert schließlich ging man auch vom alten Niederwaldbetrieb über zum Hochwaldbetrieb, dessen Wirtschaftsziel hochwertiges Stammholz und nicht nur Brennholz ist.
Vieles gäbe es noch über die Entwicklung der Genossenschaft und über die Wandlungen in der Waldbewirtschaftung seit ihrer Gründung zu berichten. Das würde aber den Rahmen dieses Beitrages sprengen.
Ohne Zweifel kann Oberkochen aber stolz sein auf die lange Tradition, die in der Realgenossenschaft bis heute fortbesteht.
Quellen:
Unterlagen aus den Archiven der Realgenossenschaft, der Stadt Oberkochen, des Forstamts Oberkochen und den Landesarchiven Stuttgart und Ludwigsburg.
Ausführliches Quellenverzeichnis bei Chr. Schurr, »Vom Nutzungsrecht zum Waldbesitz«, Diplomarbeit, Forstwiss. Fakultät, Universität Freiburg i.Br., 1985
Christoph Schurr